Mittwoch, 11. Juni 2014

Stilübungen im Drehbuch

Was Sie hier durch­­blät­­tern, lie­­be Le­­ser­­in, lie­­ber Le­­ser, ist mein di­­gi­­ta­­les Ar­beits­­ta­­ge­­buch. Ich be­schäf­ti­ge mich täg­lich mit Spra­chen und Inhalten, und zwar als Dolmetscherin und Übersetzerin.

Drehbücher zu übersetzen bedeutet, für einen bestimmten Zeitraum in die Haut eines anderen Autors zu schlüpfen. Mir kommt das, ähnlich wie das Dolmetschen, immer wie eine Art Rollenspiel vor. Ich mag diese Arbeit, nein, ich liebe beide Varianten des Sprachmittelns.
Passanten, ein Müllauto, der Pariser Boulevard ist zur frühen Stun­de noch fast leer. Schwenk über eine Fassade hoch über die Karyatiden, die ohne große Anstrengungen einen massiven, aus Stein gehauenen Bal­kon der Bel­etage in die Höhe stemmen. Die Balkontür steht offen. Dahinter liegt ein Büro, schwarze Designmöbel auf Fischgrätparkett, es ist groß und luftig. Von draußen klingt der nun ferne Lärm der Stadt herein. Das leise Echo eines klingelnden Telefons ist jetzt eindeutig erkennbar. In einer Bodenvase ein Strauß langstieliger Lilien: Auf der wei­ßen, pelz­ar­ti­gen Oberfläche einer der Blüten zeichnen sich Blutstropfen ab.
Gerne hätte ich bei der Verfilmung des Buches dieser Tage die Kommunikation des deutschen Hauptdarstellers mit dem Team erleichtert. Leider ist ein zentral am Film Beteiligter so schwer erkrankt, dass der Dreh auf unbestimmte Zeit ver­­­scho­­­ben worden ist. Es handelt sich um einen Streifen, in dem auch die Po­li­zei er­mit­telt. Dazu lerne ich Polizeijargon und Begriffe, die ich sonst nicht brauche (siehe unten).

Der Wille zum Einarbeiten in die jeweilige Filmthematik ist beim Dreh­buch­über­setzen immer entscheidend.

Handschriftliche Notizen mit vielen Durchstreichungen (les ratures).
Komplexe Texte brauchen ihre Zeit
Ich höre gerne dem Volk aufs Maul, so­gar den verschiedensten Völkchen, die Tür an Tür in den verschiedensten Ge­bie­ten und Gegenden wohnen. Ich habe mich schon im Jugendfreizeit­heim eines Pro­blem­kie­zes rumgetrieben (meine Ein­tritts­kar­te war Abi­vor­be­rei­tung fürs Schreiben von französischen Aufsätzen, die ich gegeben habe), bin in Hin­ter­zim­mern von Kneipen zocken gegangen (mit et­was Spiel­geld und dem am Leib ver­steck­ten Diktiergerät), habe über Hydra ver­mit­telt mit jungen Prosti­tu­ier­ten ge­spro­chen, den Ver­ein kannte ich von einer jour­na­listi­schen Recherche für Radio Canada, und was derlei Abenteuer mehr sind.

Was ist wichtig für Sie als Kunden? Aus aktuellem Anlass bringe ich hier erneut mein

Merkblatt Drehbuchübersetzung 
— Weniger ist mehr: Ermitteln Sie bitte die Länge ihres Dokuments (wenn Sie nicht wissen, wie das geht, klicken Sie hier). Wir legen die Anzahl der Zeichen in­klu­sive Leerzeichen zugrunde. Ein Übersetzer schafft in guter Qualität bei an­spruchs­vol­len Texten 10-12.000 Anschläge täglich, bei einfacheren Texten bis zu 15.000. 'Übersetzt' bedeutet das: zwischen 10 und 15 Seiten eines in Final Draft erstellten Dokuments. Hier gilt: Jeden Tag konzentriert weniger Zeilen zu über­tra­gen ist bes­ser als Akkordarbeit.

Vier-Augen-Prinzip: Idealerweise arbeiten immer zwei Kollegen an einem Pro­jekt, und zwar jeweils ein native speaker für die Ausgangs- und die Ziel­spra­che. Der Muttersprachler der Zielsprache ist federführend bei der Übersetzung, der andere liest gegen, leitet das Projekt und ist Ihr Ansprechpartner. Kommen mehr Sprachen im Drehbuch vor, erhöht sich entsprechend die Anzahl der Mitarbeiter.

Internes Lektorat: Korrektoren und/oder Fachleute lesen gegen — diesen Ser­vice bieten nur wenige an, fragen Sie deshalb bitte nach. Möglicherweise können aber auch Mitarbeiter Ihrer Firma diese Aufgabe übernehmen, dann müssen Sie sie nicht extern einkaufen.

— Talent und Sachkenntnis: "Nicht jeder kann ein Drehbuch schreiben". Dieser Satz ist für Sie vermutlich eine Selbstverständlichkeit. Aber nicht jeder kann auch ein Drehbuch übersetzen. Die beschreibenden Passagen sind oft von literarischer Qua­li­tät, die erhalten werden muss.

Gesprochene Sprache darf nicht nach raschelndem Papier klingen, weder im Original noch in der Übersetzung.

Erfahrung: Fragen Sie nach der Vorerfahrung. Besteht keine, haken Sie bitte nach, ob eventuell jemand mit Fachkenntnis den Nachwuchs 'an die Hand nimmt'.

Gute Zeitplanung: Ihr Drehbuch entstand nicht in einer Woche — Zeit ist auch für den Übersetzer wichtig, siehe den ersten Punkt. Gefragte Leute sind oft aus­ge­bucht, und wenn's auf den Dreh einer internationalen Koproduktion zugeht, tritt jedes Projekt nochmal kurz in die "heiße Phase" und bindet Kräfte. Also fragen Sie bitte rechtzeitig an, damit die Übersetzer ihren 'Workflow' planen können.

Wenn Sie weitere Fragen haben, sind wir gerne für Sie da. Bitte wenden Sie sich direkt über Mail an uns.


Vokabelnotiz
clouter une affaire [argot]— einen Fall abschließen
une arme blanche eine Stichwaffe
une déliquance en col blanc — white-collar-criminality die An­zug­trä­ger­ver­bre­chen [Versuch] ... oder etwas mit Schreibtischtäter, wenn das Wort nicht so sehr mit der deutschen Geschichte verbunden wäre.
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Foto: Archiv

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