Mittwoch, 25. Juni 2014

kill your darlings

Was Dol­­­met­­­scher und Über­­­setzer ma­­­chen, ist der brei­­­ten Öf­­­fent­­­lich­­­keit oft nicht ge­­nau be­­kannt. Hier schrei­­be ich da­­rü­­ber. Heute: Was liegt auf dem Schreibtisch? Außerdem: Zeit für einen Rückblick.

Heute lese und höre ich: Wohnproblematik, Immobilienwirtschaft, sozialer Woh­nungs­bau, Stadtentwicklung, urban Gardening, Gentrifzierung und was derlei Stich­wor­te mehr sind. Das bedeutet, dass ich kaum aus der Studierstube raus­kom­me. Nächste Woche betreuen wir eine Konferenz zum Thema.

Zwischendurch fragt eine Kollegin: "Was waren eure lustigsten oder au­ßer­ge­wöhn­lich­sten Begebenheiten beim Dolmetschen?"

Set in der Ohlauer Straße
Dreh in Kreuzberg
Eine meiner be­son­de­ren Dol­metsch­si­tu­a­ti­o­nen war diese: Für einen deutschen Fern­­seh­film hatte der Ko­pro­du­zent einen fran­zö­si­schen Nebendarsteller ver­pflich­tet, daher durfte ich eine Woche lang an den Set, um zu dolmetschen. Wir drehten einen Gangsterfilm, das "Motiv" (= Dreh­ort) war der wunderschöne Parkgarten einer Wann­see­vil­la, der "Gangster" (mein di­rek­ter Dol­­metsch­kun­de) gab im Film eine Party, dann kam die Polizei per Hub­schrau­ber ein­ge­flo­gen.

Für die Partybilder wurden wir alle ge­schminkt und aufgerüscht. Ich durfte neben dem Dolmetschen eine Journalistin spielen, die den Gastgeber interviewte.

Dazu ließ sich das Team sogar einige Fragen einfallen, die ich gestellt habe. Als dann die Luftaufnahmen gedreht wurden, lagen wir alle schon am Boden, vom Vorabkommando der Polizei dazu befohlen. Es war ein schöner Augusttag ... nur leider kletterte das Thermometer knapp über 17 Grad — in der Sonne. Ich trug ein leichtes Sommerkleid, Sandalen, und damit die Bilder mit den vorherigen "Ein­stel­lun­gen" "auf Anschluss" gehen würden, durfte sich niemand etwas drüberziehen.

Inzwischen war auch der Nachmittag fast vorbei, die Sonne erreichte unsere Ecke im Garten auch nicht mehr. Also dolmetschte ich, auf akkurat unter mich ge­scho­be­nen Teilen einer Erste-Hilfe-Rettungsplane aus Metall ruhend, im Liegen mit Blick aus der Käferperspektive auf den Wannsee. Und dann kam auch noch der Wind vom Rotorblatt des Helikopters hinzu. Es folgte eine wilde Schie­ßer­ei­. Die Interviewszene ist am Ende leider aus dem Film rausgeflogen.

Nicht, weil sie nicht gut ge­we­sen wäre, so der Regisseur, aber der Sender wollte mehr von der teuren Technik sehen, die hier und an anderer Stelle extra auf­ge­bo­ten worden war. Ich erlebe auch oft bei der Übersetzung von Drehbüchern, dass zwischen zwei Versionen mir liebe Sze­nen raus­flie­gen. Kill your darlings nennen das die Dramaturgen: Schnei­de das raus, was du am liebsten hast, erst dann kommst du weiter, denn es verstellt dir den Blick.

"Kill your darlings" steht in roten Lettern auf einem alten Fenster, das an einen Baum gelehnt wurde.
An einem anderen Straßenrand in Kreuzberg
Der frühere Paris-Korrespondent von Radio Canada, Maxence Bilodeau, nannte das immer tuer les chiots, Welpen um­bringen.
Den Abend nach dem Dreh am Wannsee ver­brach­ten wir in der Hotelsauna. Den Film habe ich noch auf ir­gend­ei­nem alten Spei­cher­me­di­um. Als Archivarin bin ich bes­ser, was Texte, Worte und Fotos angeht. Bewegtbild ist so sper­rig.

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Fotos: C.E.

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