Mittwoch, 7. Mai 2014

Wählen Sie unabhängige Spracharbeiter!

Auf den Seiten meines Blogs begrüße ich Sie herzlich. Hier schreibe ich über mei­nen Berufsalltag als Dolmetscherin und Übersetzerin, aber auch ganz all­ge­mein darüber, was die Arbeit von Sprachmittlern auszeichnet.

Über Agenturen habe ich hier schon wiederholt berichtet.

Das Wort WARE auf einen Sockel gesprayt
Leider gibt es zu viele Fach­frem­de, die programmieren können und die sich von der Marge bei den Sprach­dienst­leistern was abschneiden möchten." Problem: Das "Was" kann bei 20 bis 30 Prozent liegen, in einigen selbst­er­leb­ten und im Kollegenkreis kol­por­tierten Fällen kamen al­ler­dings Abzüge von 50 bis 70 % vor.

Die Sprachenbranche ist nicht reguliert, und was anderswo ausbeuterischer Wu­cher wäre, wird von diesen Firmen, die genauso gut Dachpfannen oder Matratzen ver­kaufen könnten, als "normal" betrachtet.

Da verwundert es nicht, wenn ein Agenturbetreiber einer Kollegin schreibt, die aufgrund eines schwierigen Textes einen hohen Preis veranschlagt:
Es gibt keine schwierigen Texte oder Sprachkombinationen. Es gibt le­dig­lich Übersetzer, die sich in bestimmten Fachbereichen weniger gut auskennen, bzw. die sich anmaßen, in die Fremd­sprache zu übersetzen, und deshalb diese Bereiche oder diese Sprachkombination in eine Fremdsprache als schwieriger empfinden. Das Ergebnis solcher Über­setzungen ist in der Regel trotz höheren Aufwandes qualitativ schlech­ter. Diesen höheren Aufwand versuchen diese Übersetzer pa­ra­dox­er­wei­se mit einem höheren Preis zu kompensieren, statt umgekehrt für das qualitativ schlechtere Ergebnis einen niedrigeren Preis zu ver­an­schla­gen. (...) An eine Lieferung qualitativ min­der­wer­ti­ge­rer Texte, sei es, dass sie als besonders schwierig empfunden werden oder dass sie aus der Muttersprache in die Fremdsprache übersetzt wurden, sind wir, selbst gegen entsprechende Preissenkung, nicht interessiert.
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, solche Fuzzis sollten wir einfach aushungern lassen. Die haben keine Ahnung und machen Euch zu Galeerensklaven.

Kopf auf einen Sockel gespraytLiebe Investorin, lieber Investor, schauen Sie genau hin, wem Sie ihr Ven­ture capital anvertrauen. Die Idee, Über­setzer könnten für Minigagen Bruch­stück­texte übersetzen ist genau bescheuert wie der Gedanke der schnellen, billigen, guten Te­le­fon­dol­met­scher.
Im Netz gibt es tatsächlich Firmen die be­haup­ten, Dol­met­scher könnten per Handy zum Beispiel für Kran­ken­hau­spatienten übersetzen und die Start up, die dieses anbietet, wäre dafür die ideale Mak­ler­fir­ma. Sie würde von den Betroffenen einen Euro die Minute nehmen und den Sprach­mittlern 30 Cent zahlen: Hohe Rendite garantiert!

Mit Verlaub, diese Idee ist schlecht, denn ohne Vorbereitung läuft nichts. Das gilt für uns wie für die meisten inhaltsbasierten Berufe wie Lehrer, Anwälte oder Un­ter­nehmensberater. Vor Ort gibt es ständig Gesprächssituationen, die geklärt wer­den müssen, ein Teil der Informationen kommt über den schmalen Telefonkanal schlicht nicht durch. (Beispiel: Stammt der Patient aus einer Kultur, in der Männ­lein wie Weiblein über den eigenen Schmerz nicht sprechen dürfen, sind Aussagen wir I'm OK hinfällig. Wenn ich den Sprecher aber nur höre, kann ich nichts ein­schätzen.) Abgesehen davon, dass vertrauliche Gespräche grundsätzlich in ge­schlos­senen Räumen geführt werden sollten.

Wenn sich dann nämliche Start up, als sie merkt, dass die eigene Idee vielleicht doch nicht so viele hunderttausend Euro erwirtschaftet wie gehofft, auf das Kon­fe­renzgeschäft schmeißt, kann es passieren, dass Dolmetschtage, die Sie, lieber Endkundin, liebe Endkunde, mit 900 Euro bezahlen, beim den Sprach­mittlern als 300-Euro-Tage aufgerufen werden. Meinen Sie, dass die famose Start up so die Besten der Branche findet?

Merke: 80 % der Agenturen sind Makler. Bitte wählen Sie stattdessen lieber ein Dolmetschnetzwerk oder einen in einem solchen engagierten Sprachmittler. Fragen Sie nach einschlägigen Erfahrungen der Dolmetscher zu Ihrem Bereich, Lebensläufe usw. Bei Netzwerken engagieren "beratende Dolmetscher" nur jene Kollegen, mit denen sie auch persönlich zusammenarbeiten möchten. Das ist ein Garant für Qualität.

Zurück zur Frage, ob es schwierige Übersetzungen gibt oder nicht. Da darf ich gleich an meine Fast-pro-bono-Arbeit (*) aus der Woche vor Ostern denken: Reden zum 69. Jahrestag einer KZ-Befreiung waren ins Deutsche zu übertragen. Da schrieb jemand von der "Erlebensgeneration" (so heißt die wirklich) eine feierliche Gedenkstundenrede mit lauter Querverweisen von damals zu heute, wo jedes dritte Wort eine ganze Welt mitschwingen ließ. In einer zweiten Rede für den Folgetag erklärt der Zeitzeuge Schülern den Alltag in einem Außenlager, das ein Straflager mit Fabrik war. Da musste ich nicht nur die deutsche und eu­ro­päi­sche Geschichte permanent mitdenken, die Fachtermini des kalten Krieges drauf­ha­ben (und großenteils vermeiden), sondern auch die Honoratioren am Sonntag und die Schüler am Montag vor Augen haben. Das war vielleicht ein Gefriemel! Veranschlagte Zeit: Fünf Stunden. Damit verbrachte Zeit: das Dreifache, wobei ich an vier Tagen immer wieder neu angesetzt habe.

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Fotos: C.E. (gesehen in Kreuzberg)
(*) Es gibt einen Zuschuss für die Drucke, den Toner
und die Amortisierung des Gerätes oder so.

2 Kommentare:

Diandra hat gesagt…

Wow. Echt jetzt?

Ich sitze gerade in einem Büro voller Übersetzer, die exklusiv medizinische Berichte in ihre Nicht-Muttersprache übersetzen. Du hättest den Sturm der Entrüstung eigentlich bis zu dir rüberhören müssen. Und wir sitzen in Bonn.

(Unabhängig davon, braucht einer von euch zufällig ein Alibi?)

caro_berlin hat gesagt…

Naja, dieser Absender hat seine eigenen Vorstellungen ... vor allem von der Preisgestaltung, ich glaube, sonst interessiert ihn wohl nicht viel.

Auch ich übersetze manchmal in die Nicht-Muttersprache, aber immer mit muttersprachlichem Lektorat. Meistens kurze Texte aus meinen Fachbereichen, so wie Ihr mit Medizin ja auch hochgradig spezialisiert seid!

Grüße nach Hessen,
C

P.S. Das geklammerte P.S. verstehe ich leider nicht.