Donnerstag, 13. März 2014

Noch eine kleine Gangstergeschichte

Bonjour auf den Sei­ten meines di­­gi­­ta­­len Arbeits­­jour­­nals, das in einer wenige Qua­drat­me­ter kleinen Box entsteht. Immer häufiger arbeite ich auch außerhalb der Kabine. Heute folgt ein Kurz­kri­mi ohne Leiche.

Nach getaner Arbeit sitzen wir reichlich ermattet im Restaurant — ein Kunde und ich. Jetzt muss ich ihm auch noch die Speisekarte übersetzen. Normalerweise stört mich das nicht, da dolmetsche ich spontan für Freunde oder Familie; diese Art Ver­traut­heit führt dazu, dass ich nicht merke, wie mein Kopf rödelt.

Persönliche Nähe kenne ich auch im Dolmetschprozess, aber sie ist nur Ergebnis von Pro­jek­ti­o­nen. Als Dolmetscherin identifiziere ich mich oft mit jenen, die ich vertonen darf. Das ist nicht in allen Fällen möglich. Die Anzahl der Vortragenden auf einer Kon­fe­renz spricht zumeist dagegen. Aber wenn ich mich über Tage auf nur einen Redner einlese, in seine Ge­dan­ken­welt hineinschraube, um die be­tref­fen­de Person am Ende gut syn­chro­ni­sie­ren zu können, ist der Vorgang hoffentlich nachvollziehbar, Sympathie vorausgesetzt.

Dieses Phänomen ändert sich gerade: Die Vielfalt der Kunden und die Dauer der Ein­sätze an der Seite ein- und desselben Men­schen nimmt zu, die Situation wird banaler. Krisenbedingt haben einige Kon­fe­renz­ver­an­stal­ter auf Französisch verzichtet, meine Arbeitssprache, und da es offenbar nicht so viele Beschwerden darüber ge­ge­ben hat, wie unsereiner gehofft hat­te, wird jetzt erst einmal häufiger auf simplified english konferiert. (Ich halte das für ein Über­gangs­phä­no­men, denn gute Kenntnisse der Sprache Shakespeares sind in Frankreich und Deutschland gleichermaßen selten, wie ja gerade erst wieder diverse Gazetten vermeldeten.)

Was im Konferenzbereich weniger wird, kompensieren Aufträge aus Politik, In­dustrie und Handel. Der Berufsalltag wird bunter, denn gearbeitet wird immer, auch in der Wirtschaft und für die Wirtschaft. Mitunter geht es so bunt her, dass ich das Gefühl habe, die Rubrik "Vermischtes" auf der letzten Zeitungsseite live zu er­le­ben. Dabei sehe ich mir über die Schultern und stelle fest, wie meine eingangs festgestellte Neigung zur Identifikation deutlich abnimmt.

Wie neulich erst. Wir Sprachmittler bekommen als erste mit, wenn neue Ge­schäfts­fel­der entstehen, Betrug beispielsweise, der übers Internet angebahnt wird (siehe mein gestriger Eintrag). Und so durfte ich mich vor einiger Zeit dieser Sache an­neh­men: Ein knitzer (*) mittelständischer Bauunternehmer aus Deutschland hat im Pariser Groß­raum ein besonderes Baustellenfahrzeug zu einem äußerst gün­sti­gen Preis ge­braucht erworben. Käufer und Verkäufer waren sich in einfachstem Eng­lisch über dessen Zustand, Ausstattung, Lieferbedingungen und Liefertermin einig geworden.

Der Käufer überwies vorab das Geld — der Verkäufer hatte Vorkasse verlangt. Au­ßer­dem war das Jahresende nah und die Investition sollte noch fürs alte Ka­len­der­jahr wirksam werden. Und dann war nichts geschehen, weder wurde das Fahrzeug geliefert, noch war es möglich, das Geld zurückzuerhalten.

So reiste also der deutsche Unternehmer nach Paris, um nach seinem Fahrzeug Aus­­schau zu halten, die Berichterstatterin im Schlepptau. An der angegebenen Firmenadresse, die wir einer eindrucksvoll gestalteten Internetseite entnommen hatten, entdeckten wir zu unserer großen Überraschung ein unrenoviertes Haus zwischen zwei Autobahnzubringern. Die Haustür stand offen, schien nicht mehr abschließbar zu sein, das Gebäude war noch zum Teil bewohnt, davon zeugten eine halbwegs aktuelle Zeitung, weggeworfene Weinflaschen, Kippen und weiterer Unrat. Im Erdgeschoss hing zwischen abplatzenden Putzstücken und Rußspuren ein nigelnagelneuer Metallbriefkasten an einer mit einer Metallplatte verstärkten Tür, darauf der Name und die Firma des vermeintlichen Händlers. Das war auch gleich schon der schaurigste Moment des ganzen Unterfangens.

Anschließend bleib meinem Kun­den nur der Gang zur Po­li­zei. Der Deutsche war sehr auf­­gebracht und sprach im Warteraum der Polizei sehr abträglich über Land und Leu­te. Zum Glück machten die Uniformierten we­nig später gro­ßen Eindruck auf ihn; das Ge­spräch wurde sach­li­cher, so blieben mir etliche un­schö­ne Wör­ter zu übersetzen erspart.

Später erfuhren wir, dass sich hinter der Metalltür im Abrisshaus die Reste eines kleinen Materiallagers befunden haben. Die Kürze des Einsatzes und die Ein­deu­tig­keit der Geschehnisse entlockte mir ein Stirnrunzeln und einen Anflug von Er­schöp­fung ob der vielen Details fürs Protokoll. Dabei liebe ich eigentlich meinen Beruf und die Vielseitigkeit der Situationen, die unserseiner außerhalb der Kabine er­le­ben kann.

Als wir schließlich im Restaurant saßen, war meine Haltung zu diesem Kunden ähn­lich zwiespältig: Wirklich zu fassen bekomme ich ihn nicht, er scheint weder Fisch noch Fleisch zu sein. Der Mann ist nicht ohne Witz und gute Ideen, wenn es um die eigene Firma geht, aber offenbar hoffnungslos naiv, wenn er im Ausland ein tech­ni­sches Großgerät zum Schnäppchenpreis ohne jede Ab­si­cher­ung erwerben will.


Vokabelnotiz
knitz — Süddeutsch für raffiniert, gewitzt
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Fotos: C.E.

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