Montag, 31. März 2014

[kõt]

Bonjour ! Seit vie­­len Jah­­ren ar­­bei­­te ich als Dol­­met­­scher­in und Über­­setzer­in. Es ist mein zwei­­ter Be­­ruf (zu­nächst war ich Jour­na­listin). Hier kön­nen Sie Episoden mei­nes sprach­be­ton­ten Alltags mit­ver­fol­gen.

Weiblicher Kopf ls wilde Wandmalerei, das sein Konterfei in der Spiegelung einer Schüssel betrachtet
Zwei oder mehr Bedeutungen für ein- und dasselbe Wort
Als Vorlage für einen kurzen Dol­metscheinsatz bekomme ich die Tischvorlage, die eine Agen­tur übersetzen ließ. Es geht da­rum, ein französisches Unter­neh­men, das eine besondere technische Dienst­leistung anbietet, dies­seits des Rheins bekannt zu machen.
Und da steht dann "Zielgruppe: öffentliche Hand, Firmen der Fi­nanz­dienst­leistungen, Bun­des­ver­wal­tungen und Große Gra­fen." Ich denke an Grafik, Kurven und "gro­ße Gra­phen", nein, das kann es nicht sein. Der Text kam so spät rein, dass ich beim Kunden nie­man­den mehr fragen kann.

Mein Verlagskunde vom letzten Jahr hat oft das Wort grands comptes verwendet, er meinte die Großunternehmen am Markt, die er sich als Großkunden gewünscht hat (und zum Teil auch bekam), deshalb heißt also auch der Key account Manager (auf gut Deutsch, hüstel) in der Sprache Molières (naja, nicht ganz) der res­pon­sab­le grands comptes.

Dieses Wort ist ein Teekesselchen. Es gibt zunächst die contes de fées des frères Grimm, Märchen also, dann den eben erwähnten Grafen (den mit der comtesse, der Gräfin, meine ich, nicht den mit dem Vektor), und vom Verb compter, zählen, rechnen, ist le compte abgeleitet, die Rechnung oder auch das Bankkonto (mit einem er­gän­zen­den bancaire). Last but not least möchte ich Auguste Comte er­wähnen, den Mitbegründer der Soziologie (seine Büste steht vor meiner Uni in Paris).

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Illustration: Archiv

Sonntag, 30. März 2014

Frühling am Ufer

Bienvenue auf den Seiten des ersten Weblogs Deutschlands aus dem Inneren der Dolmetscherkabine. Sonntags werde ich immer privat.

Der Berliner Landwehrkanal, hier am Planufer und Umgebung, ist ein beliebtes Naherholungsgebiet für Leser und für solche, die einfach mal abhängen möchten. Wenn das Wetter dann auch noch mitspielt ...


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Fotos: C.E.

Donnerstag, 27. März 2014

Gedächtnis trainieren

Will­kom­men auf den Sei­ten des ersten Dol­met­scher­blogs Deutschlands aus dem In­ne­ren der Ka­bine. Hier schreibe ich über den Alltag von uns Sprachmittlern und gebe Lerntipps, die auch für Nichtsprachabeiter nützlich sein können.

Wer Reden oder Gespräche konsekutiv dolmetschen möchte ist gut beraten, wenn sie oder er sich im Vorfeld länger mit Rhetorik auseinandersetzt, denn da­mit fällt es einem später einfacher, Redestrukturen zu erkennen und zu re­pro­du­zieren.

Der andere Teil ist Gedächtnisschulung. Ich lasse keine Gelegenheit aus, meine grauen Zellen zu üben. Beispiel: Wir möch­ten ins alte Rixdorf, das ist der Kern Neu­köllns. Wir fah­ren an der Bus­hal­te­stel­le Son­nen­al­le ab, nehmen den Bus 41, fahren Richtung Baum­schu­len­weg und steigen Herzbergplatz aus. Hier das Bild, das ich mir vorstelle.

Je absurder die Idee ist, desto leichter fällt Ungeübten das Erinnern. Der ge­dach­te Einkaufszettel: Ein Rog­gen­brot­boot mit Möhrenstamm und Sa­lat­blatt­segeln gleitet über den Milchsee, der sich in der Mitte der Küche aus­brei­tet. 

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Illustration: C.E.

Mittwoch, 26. März 2014

Details

Hallo! Sie haben zu­fäl­lig oder ab­sicht­lich eine Seite meines digitalen Ar­­beits­­ta­­ge­­buchs auf­ge­schla­gen. Ich bin Dol­metscherin und Übersetzerin für Politik, Wirt­schaft, Me­dien, Soziales und Kultur. Daneben übersetze ich im Team, denn vier Augen sehen mehr als zwei.

Komm wir essen Opa. Komm, wir essen, Opa. Satzzeichen retten Leben.
Et si on mangeait les enfants ? Et si on mangeait, les enfants ? Les virgules, c'est important.Für uns sind Details wichtig. Daher arbeiten wir stets im Vier-Augen-Modus. Der Satz mit "Opa essen" ist jetzt auch in Frankreich angekommen.

Aber es gibt einen kleinen  interkulturellen Unterschied.

Frankreich hat mehr Kinder, wir haben den Rentnerberg, klar, dass sich das auch in Bei­spielsätzen ausdrückt. Kom­ma­gei­zig sind sie in beiden Län­dern.

Auf die Details kommt's oft an.

Und die deutsche Version ist dramatischer. (Auf Französisch steht hier nur: Kom­ma­ta sind wichtig. Oder soll ich doch lieber Kommas schreiben? Über diese Frage zer­mar­te­re ich mir jetzt allein nicht das Hirn. Bei Aufträgen arbeiten wir immer mit dem Vier-Augen-Prinzip, ganz gleich, ob der Zieltext auf Deutsch oder auf Fran­zö­sisch sein soll.)

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Illustration: das Netz (eigene Bearbeitung)

Dienstag, 25. März 2014

Zwitschern

Vogel in der Hand
Lieber den Spatz in der Hand
als die Taube auf dem Dach
Bonjour! Hier bloggt eine Dolmetscherin und Über­setzerin. Meine Hauptarbeitssprachen sind Französisch und Deutsch, daneben übersetze ich auch aus dem Englischen. Heute: Sprechübungen.

Hier ein selbst erfundener Zungenbrecher und ein anderer, den ich schon mit 13 gelernt habe:

Zwanzig tschetschenische Scharfschützen zielen auf zwölf zirpende Zilpzalps.

La reine Dinon dîna dit-on du dos d'un dodu din­don. (Wie zu hören ist, aß Königin Dido zu Abend etwas vom fleischigen Puter.)


P.S.: Ich hab wirklich nichts gegen Vögel.
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Foto: Archiv

Montag, 24. März 2014

Museum der Wörter 3

Hallo, hier bloggt eine Spracharbeiterin. Ab und zu erinnere ich an Begriffe, die wir den jüngeren Generationen heute erklären müssen.
            
          T
elegrammannahme, Postfuhramt, Wählscheibe.  

   

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Idee: H.F.

Donnerstag, 20. März 2014

Lerntipp: Lesepult

Hier bloggt eine Spracharbeiterin. Wie Dolmetscher und Übersetzer arbeiten, da­rü­ber schreibe ich in meinem Arbeitstagebuch. Wir Sprachmittler sind Lernprofis.

Kinder lernen nebenbei. Sie toben währenddessen rum oder spielen, ihre Auf­merk­sam­keit ist nicht vordergründig aufs Lernen fixiert. Das gilt für das Lernen im All­tag. Später kommen Schule und andere Bildungseinrichtungen hinzu. Das Lernen ändert sich, es wird bewusster.

Jugenstilkachelofen mit Deko, Buchstütze mit Buch
le lutrin das Lesepult
Viele Fachleute meinen, dass absichtvolles Lernen diesem Zufallslernen überlegen sei: "Man zeigt typischerweise eine bessere Ge­dächt­nis­leistung, wenn man das Ler­nen be­ab­sich­tigt, weil man mit größerer Wahr­schein­lich­keit Akti­vi­tä­ten aus­führt, die besser für eine gu­te Ge­dächt­nis­leistung ge­eig­net sind" (An­der­son, 2003, S.198).

Diese Trennung finde ich künstlich, denn es kann ja niemand evaluieren, was für eine Lernleistung hinter dem Erwerb der zivilisatorischen Grundtechniken steht. Auf jeden Fall ist bei den meisten von uns das Lernergebnis überzeugend, auch wenn wir uns als Babies nicht selbst gesagt haben: "So, Laufenlernen ist das Pro­gramm des Tages!" Und sicher, die kleinen Wesen üben auch hoch absichtsvoll, bis sie mit dem Löffel den Mund treffen und nicht mehr re­gel­mä­ßig von der Schwer­kraft in den Vierfüßlergang genötigt werden.

Die akademische Definition absichtsvollen Lernens ist mir jedenfalls zu begrenzt, was sich auch in der Art und Weise ablesen lässt, wie Kinder und Erwachsene in der Regel lernen (müssen): Die lernfördernden, für "gute Gedächtnisleistung ge­eig­ne­t(en)" Aktivitäten werden meistens sitzend und stumm ausgeführt. Es ist Zeit, an­de­re Lernformen in Schulen, Horten, Universitäten und Bibliotheken ganz selbst­ver­ständ­lich einzubauen und ja, da ergibt sich oft ein Raumproblem, das leuch­tet ein.

Mit meinen Beobachtungen bin ich nicht allein. Erste Änderungen lassen sich schon beobachten. Denn anstatt Schülern nicht nur auf­zu­er­legen, irgendwelche Früh­lings­blu­men­for­men aus bunten, geknüllten Krepp­pa­pier­­gel­chen auf bunten Kar­ton zu kleben, und diese auch noch dicht auf dicht im Schulflur aufzuhängen, so dass am Ende alle gleich aussehen, ist es doch viel besser, dort die ein­gän­gigsten Plakate auzustellen, die die Kids als Illustration ihrer Referate angefertigt haben.

Das habe ich schon in der Schule des weltbesten Patensohns vereinzelt be­ob­ach­tet. Den Stolz über das eigene Werk haben die Kids da genauso, und "im Vor­bei­ge­hen" findet auch noch Wissenszuwachs statt. (Und für alle Kinder ist es ein Ansporn und ein Mittel, sie dazu anzuregen, im Schulhort oder der Nachbarschaft aktiv Hil­fe nachzufragen.)

Oder aber der Zeitstrahl für geschichtliche Ereignisse, so einen sah ich neulich im Klassenzimmer einer anderen Schule wieder. Anders als in meiner Schulzeit in Süd­deutsch­land sind die Berliner Lernorte heute individuell gestaltet, was mich an die Schulen in Frankreich erinnert, wo auch Fachlehrer nicht-na­tur­wis­sen­schaft­li­cher Fächer ihre eigenen Räume hatten, die die Klassen dann aufsuchten: Das Dekor wechselte mit dem Fach.

Inzidentelles Lernen, wird diese beiläufige Lernart genannt. Wie beschrieben, lässt sich derlei provozieren. Der Weltkarte auf dem Klo seiner ersten Studenten-WG, die alle Staaten dieser Erde mitsamt den Hauptstädten darstellte, verdankt einer mei­ner Brüder die Erweitung seiner geopolitischen Kennt­nis­se.

Lerntipp: Ein Stehpult fürs Lesen einführen. Wem der Platz dafür fehlt, der schaue mal in seinen alten Schulsachen nach, oft gibt es noch irgendwo einen faltbaren Buch­stän­der, der auf einer Kommode, einem halbhohen Regal (oder auf dem Brett eines hohen Möbels) oder einem ähnlichen Ort Platz finden kann. Eine Kollegin nutzt den Notenständer, wenn sie nicht gerade spielt, bei mir ist es der Rand des Kachel­ofens. Und beim Daranvorbeilaufen einen kurzen Blick darauf werfen, bei Interesse wird er von selbst länger. So verschwimmen die Grenzen zwischen (ge­plant) zufälligem und absichtsvollem Lesen.


P.S. zu den Blumenbildern, die mich irritiert haben: In meiner Schulzeit wurden Thema oder Technik vorgegeben, es sei denn, es handelte sich um das Ab­zeich­nen ein- und desselben Gegenstands (selbst da gab es noch Variationen, bei der Wie­der­ga­be eines Asts mit Blättern beispielsweise.) Warum diese Einfalt? Bei dieser Knüll­­tech­nik wäre es doch spannender, neben Blumen noch Wiesen mit Schmet­ter­lin­gen, Scha­­fen, Häu­sern, Bäumen, Bergen und ganz oben im ewigen Eis noch ei­nen Schnee­mann ent­decken zu dürfen. Die Antwort hat mich überrascht: Kein Kind sol­le benachteiligt werden, weil es vielleicht weniger Phantasie oder Geschick als die anderen hat. Die Absicht ist ehrvoll, das Ergebnis niederschmetternd: Es sieht so aus, als hätte sich kaum ein Kind angestrengt, und lieblos ist es obendrein ge­worden. Denn dahinter steht mangelndes Vertrauen in die Fähigkeiten der Klei­nen und die Verachtung von Wettbewerb und Ansporn.
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Foto: C.E.

Mittwoch, 19. März 2014

In Arbeit (2)

Hallo und herzlich willkommen! Absichtlich oder geplant blättern Sie in meinem digitalen Arbeitstagebuch. Hier gewähre ich wieder einen Blick auf den Schreib­tisch.

Langweilig wird's mir nie. Ich übersetze gerade Reden, die am Jahrestag der Be­frei­ung eines deutschen Konzentrationslagers gehalten werden sollen.

Mit dieser Situation hatte ich übrigens 17-jährig meinen ersten, ungeplanten Einsatz als Dolmetscherin, weil mich der Lateinlehrer unserer Schu­le, der auch Französisch un­ter­richtete (aber wie eine tote Sprache), nach einer ähn­li­chen Si­tu­ation beim Schul­aus­tausch nach vor­ne schob und mir dann noch ab und zu Vokabeln zu­flüs­terte.

Dann darf ich einen Wohnungskauf dolmetschen, zum Glück habe ich von der Kol­legin, an die am Ende der Vertrag zur schriftlichen Übersetzung wandert, sie ist Juristin, die letzten drei Texte bekommen und bilde mich hier weiter.

Dringend: Zwei Kostenvoranschläge, zwei Drehbücher und ein Konferenzthema sind zu studieren und zu evaluieren. Auf der Konferenz wären wir zu viert, es sind zwei Sprachen einzuplanen. Wenn der Veranstalter uns auswählt, werden wir erst op­ti­o­niert, dann erhalten wir einen Vertrag. Eine solche Terminoption für Ende April läuft demnächst aus; aus Brüssel soll ich aber bis Freitag Bescheid bekommen. Es geht um eine Delegationsreise. Die Korrespondenz für zwei Arte-Filmprojekte, die ich sprachlich betreue, läuft nebenbei.

Ebenso das Lernen auf Auf-dem-Stand-Bleiben in den Bereichen allgemeine Politik, Wirtschafts- und Sozialpolitik, Medien und Gesellschaft und literarischer Markt. Für eine Baustellenbegehung bastele ich auch an meiner Lexik weiter.

Als Ghostwriter darf ich diese Woche einige Texte für ein Buch verfassen, aber was ein echter Geist ist, der schweigt.

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Foto: C.E. (Archiv)

Warndreieck

Bon­jour — gu­ten Tag … oder Bon­soir — gu­ten Abend! Hier le­­sen Sie re­gel­mä­ßig In­­for­­ma­­tio­­nen aus dem All­tag ei­nes Ber­li­ner Dol­­met­scher- und Über­setzer­bü­ros, stets unter Wahrung dienstlicher Geheimnisse.

Na klar, sicher, so machen wir das! (Versuch, einen zweiten externen Monitor an­zu­schlie­ßen.) Sch… au­to­ma­tic trans­la­tion!

Nur bestimmte Arten von Fällen können angezeigt werden. Wir empfehlen Ihnen überprüfen Sie dieses Feld aus Hand oder oder abgesehen davon, dass Sie vielleicht mit "Versuch und Fehler" vorgehe: || 1. Laden Sie die Dateien für die Bootloader, die die root-Dateien sein sollten. | 2. Auspacken Sie nun zu Ihrem C-Laufwerk auf Ihrem PC, wie Sie für die root-Dateien haben, dann mit Ihrem Wunsch auf dem Fastloader-Bildschirm. | 3. Nun versuchen, auf dem Bildschirm mit einem Telefon und einem Warndreieck, die Sie vorher nicht gehen. Sie müssen zu diesem Bildschirm zu bekommen, um Ihren Schritt 2 auf den root-Dateien ausgeführt werden. | 4. Sie sollten nun bei der Rück Bildschirm! Folgen Sie nun den Rest der "Complete Upgrade Leitfaden" Guide.

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Illustration: Irgendein Automat

Dienstag, 18. März 2014

Mit Stilen jonglieren: Drehbuch

Willkommen beim ersten deut­schen Web­log aus dem In­neren der Dol­met­scher­ka­bine. Wie Dol­met­scher ar­bei­ten, können Sie hier lesen. Ich arbeite mit den Spra­chen Französisch und Englisch. Wenn ich nicht auf Konferenzen zugange bin, laufe ich durch Werkhallen, über Baustellen oder halte mich in den Hin­ter­zim­mern der Politik oder im Kino auf. Vier bis fünf Tage in der Woche liebe ich es, Drehbücher zu übersetzen.

Drehbücher zu übersetzen ist wie Jonglieren mit drei Bällen, eine Grundübung in Flexilibilität. Ich berühre immer gerade einen Ball, habe die anderen beiden in der Luft und im Blick.

Denn ich darf mich wie eine Dichterin fühlen bei den Szenenbeschreibungen, das sind oft poetische Momente, bin ganz die pragmatische Texterin bei Re­gie­an­wei­sun­gen und die toughe Sloganschreiberin oder routinierte Hör­funk­au­to­rin bei den Dialogen. Dann kommt im Flug schon wieder der Wechsel. Die Bälle sind rot, blau und gelb, könnten unterschiedlicher kaum sein, und doch ähneln sie einander in Form und haptischen Eigenschaften.

Drehbücher übersetze ich in den kostbarsten Stunden des Tages: morgens nach dem Aufstehen. Dem Drehbuch gehört mein Vormittag. Ich liebe es, mich nach ei­nem kurzen Check der Mails zurückzuziehen und ins kreative Schreiben zu ver­sin­ken.

Eine Aufgabe, die oft harte Arbeit ist. Denn die drei "Farben" stehen nicht los­ge­löst voneinander im Text, sie fügen sich harmonisch ineinander und erzielen Ef­fek­te, ganz so, wie das Kreisen oder Hüpfen der Bälle des Jongleurs zur jeweils ge­such­ten äs­the­ti­schen Form wird.

Nach vier bis fünf Stunden ist meine Kreativität erschöpft. Nach der Mittagspause lese ich Korrektur, zum Teil auch die Texte von Kolleginnen, mit denen ich Ge­gen­le­se­zeit tausche, dann bereite ich andere Einsätze vor, lese, lerne, höre, schreibe.

Ach, und dann sind da ja auch noch meine Bücher! Je nach Drehbuchstoff bilde ich mich begleitend weiter. Ich studiere kritisch diverse Quellen oder muss mir etwas einfallen lassen: Das geht von Texten über Sprache und Leben in der Frühromantik bis zum Besuch einer illegalen Pokergemeinschaft, um mir den Slang abzuhören.

Die Preise von Drehbuchübersetzungen können stark schwanken, das geht mit 700 Euro los für einen kurzen Kinderfilm, sehr oft liegen wir in den Bereichen 1500 bis 3000 Euro, bei überlangen Werken mit Recherchebedarf und viel Be­gleit­ma­te­ri­al sowie Finanzierungsplänen kamen aber auch schon mal 5000 Euro zusammen, das waren dann auch fast zwei Monate Arbeit.

Die Idee mit dem Jonglieren liegt bei uns Sprachmittlern nahe. Wir "jonglieren" ja sonst in der Kabine mit Worten, während ich beim Drehbuchübersetzen mit Stilen und Sprachniveaus jongliere, meine "Helden" müssen in beiden Sprachen in­di­vi­du­ell klingen, denn noch ohne Bild macht nur die Sprache die Personen für die le­sen­den "Zuschauer" zu Persönlichkeiten.

Dolmetschkollege Max Haverkamp, ein Absolvent des Studiengangs Dolmetschen am Fachbereich angewandte Linguistik der ZHAW in Winterthur, Schweiz, hat die andere Variante der Sprachakrobatik vor einigen Jahren hier veranschaulicht:



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Foto: C.E.

Montag, 17. März 2014

Kabine und Luftfahrt

Bonjour! Sie lesen im digitalen Arbeitstagebuch einer Dolmetscherin und Über­setz­un­gen. Die Einträge erfolgen hier unter Wahrung aller Dienstgeheimnisse. Ich berichte hier meistens nicht an den Terminen der Geschehnisse und nur darüber, was von den Arbeitsabläufen her typisch ist.

Morgens nur kurz in der Kabine gewesen, für die Sitzung hat sich der Aufbau der mobilen Dinger fast nicht gelohnt, dann eilig nach Hause, eine Über­setz­ung steht an. Der Kunde warnte mich gestern um 21.00 Uhr vor, es war eher Zufall, dass ich ans Telefon ging. Für ihn bzw. seinen Vorgänger ha­be ich viele Jahre aus dem Fran­­­sischen übersetzt.

Nun war ein englischer Text für 11.00 Uhr angekündigt. Vom Kunden bzw. seinem Nachfolger, die Firma hat einen neuen stellvertretenden Geschäftsführer, weiß ich nur, dass er ab 12.00 Uhr im Flugzeug nach Deutschland sitzen soll.

Der Text trifft pünktlich ein! Ich sitze, adrenalindurchspült und voller Glücks­hor­mo­ne nach dem Flow der Morgensitzung, im Arbeitszimmer. Beim ersten Lesen will mir der Text grob einleuchten. Dann suche ich zwei, drei Begriffe und verhake mich schnell in Sekundärbedeutungen. Der Text, um den es geht, hat eine ju­ris­ti­sche Kom­po­nente. Kolleginnen übersetzen derlei mit der Diktiersoftware des Na­mens "Dragon", sie rufen "Drachen, zum Diktat!", setzen sich ihm auf die Flügel und schnipp!, Tagewerk erledigt, Text fertig.

Solches Zauberwerk bekomme ich nicht hin. Schon gar nicht mit solchen Schach­tel­ge­bil­den wie denen heute. Thomas Mann ist der reinste Waisenknabe dagegen (en­fant de chœur sa­gen die Franzosen dazu, Chorkind). Nix Zauberdrache, nix Flügel, das hier ist Mo­sa­ik­le­gen und erfordert eine ganz andere Kunstfertigkeit und Bo­den­haf­tung. Ich knie im Text. Und fange an zu hadern, stelle Fragen, die sich auf In­hal­te, aber auch auf den Stil des Texts beziehen, um das mal höflich zu for­mu­lie­ren.

Der Auftraggeber sitzt im Flugzeug, ist nicht erreichbar. Nach der Mittagspause rufe ich seine Sekretärin an mit der Frage, ob es begleitende Dokumente zum Text gibt, denn der Text soll am Abend fertig sein. (Eigentlich war geplant, dass der Au­tor und mein Drache gleichzeitig landen. Über die Textform hatte ich im Vorfeld andere Angaben erhalten.)

Die Sekretärin sucht, während ich an der Strippe bin, und sie findet. Begleittexte, Notizen und — das Textoriginal. Dann entschuldigt sie sich. Denn versehentlich war mir eine (von wem auch immer erstellte) englische Übersetzung zugesandt wor­den.

Ergebnis: Jetzt gehen der Drache und ich doch noch auf die Piste, und die Eng­lisch­kol­le­gin hat auch zu tun. Schön.

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Foto: C.E. (Archiv)

Sonntag, 16. März 2014

Puppenmacho

Als Dol­met­­scher­in und Über­­­setzer­­­in be­schrei­­be ich den Al­­ltag von Sprach­­mitt­­lern. Am letzten Tag der Woche folgen hier die "Sonntagsbilder".

Der Vorfrühling ist unterbrochen, in Berlin ist es stürmisch. Gestern früh, als alle schliefen, ist in meiner Nachbarschaft ein Dach runtergekommen. Zuhause ist Früh­jahrs­putz angesagt, of­fenbar nicht nur bei mir mir: Zu einer windstilleren Abenstunde habe ich mich ins Kaufhaus gewagt und hatte An­lass zur Heiterkeit. Anlass waren diese geschlechtstypischen Ar­ran­ge­ments: die Frauen gehen in der Masse auf, der Herr der Schöpfung hat viel Power, ein Sixpack und ist kopflos (da­für geht ihm ein Licht auf).

Als ich die Fotos schieße, sagt in meinem Rücken ein Mann zu seiner Frau: "Komm', Puppe, wir wagen uns raus in den Sturm." Alles sehr "gender" heute.

Schaufensterpuppenmacho

Schaufensterdamenkopfdoppel

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Fotos: C.E.

Samstag, 15. März 2014

Schwere Träume

Hallo! Hier bloggt eine Dolmetscherin über den ab­wechs­lungs­rei­chen Be­rufs­all­tag in der Spra­chen­welt. Die Tage wirken sich auch auf die Nächte aus, wie ich erst gestern beschrieben habe.

Schlechte Träume kennen wir alle. Hier ein Dolmetscheralbtraum aus der Eu­ro­pä­i­schen Kommission. Von dort habe ich noch nicht geträumt, nur suche ich seit 20 Jahren nach dem Raum fürs mündliche (deutsche) Abitur, nachdem ich einige Jah­re in Frank­reich zur Schule gegangen bin.

Dolmetscheralbträume kenne ich so: Ich stehe unter riesigen Lautsprechern, aus denen der rauschende Ton kommt, und soll in ein Mikro sprechen. Der Saal ist gut besucht, die Menschen machen Lärm, ich habe noch mehr Mühe, zu verstehen, was gesagt wird. Ein andermal hab ich von unlesbaren Untertiteln geträumt oder da­von, aus dem Japanischen dolmetschen zu müssen, dabei spreche ich kein Ja­pa­nisch. Oder ich träume von extrem kurzfristigen Lieferterminen.

Hier ist der Permanentlink, die Sache mit dem Vorschaufenster klappt irgendwie nicht.

http://videos.arte.tv/de/videos/ich-habe-von-europa-getraeumt--7811372.html

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Film: Arte
Danke, Hannes, für den Tipp!

Freitag, 14. März 2014

Tag des Schlafs

Willkommen auf den Seiten des 1. deutschen Blogs aus dem Inneren der Dol­­met­­scher­ka­bine. Diese Sprach­mitt­ler­arbeit zählt laut Weltgesundheitsorganisation zu den drei stressigsten Berufen. Da ist effektives Entspannen wichtig.

Heute war der World Sleep Day, seit 2008 wird das Event vom Verein World As­so­c­i­ation of Sleep Medicine (WASM) organisiert.

Der Tag sei als Ge­denk­tag den nutzbringenden Seiten guten, gesunden Schlafs gewidmet. Außerdem solle er die Ge­sell­schaft auf die so­zi­a­len Seiten von Schlafstörungen, Schlaf­me­di­zin und Vorsorge in die­sem Bereich hinweisen, denn mehr als 45 % der Welt­be­völ­ke­rung sei betroffen (andere Quellen schätzen 30 bis 40 %). Soweit das amerikanische Wi­ki­pedia.

Dass es einen weiteren "Tag des Schlafes" im Sommer gibt, und zwar am 21. Juni, fand ich an anderer Stelle. Die Barmer GEK meldet, dass jeder zehnte der schlaf­ge­störten Deutschen einer Behandlung bedürfen würde, so die ÄrzteZeitung im vergangenen Jahr.

Dieser Tage, in den Wochen vor den Kongressmonaten, lerne ich Neues. Denn min­destens zwei Jahrzehnte habe ich unter Schlafstörungen gelitten. Dieses Kapitel liegt nun hoffentlich hinter mir. Ich habe ein Schlaftraining begonnen, Sounder sleep system heißt es derzeit, ich denke, wenn es sich weiter verbreitet, wird sich ein deutsche Bezeichnung für dieses Tiefschlafprogramm finden lassen.

Es beruht auf sehr einfachen Beobachtungen und einer ebenso einfachen Technik. Große Bewegungen fördern den Wachzustand, kleine, möglicherweise nur ge­dach­te und wiederholte Bewegungen, die sogenannten mini moves, wirken auf das Ner­ven­system hemmend und ermöglichen, dass ein müder Körper in den Schlaf fin­det. 

Zu Informationen von Michael Krugman, der Ende letzten Jahrhunderts das System entwickelt hat, führt dieser Down­load­link. Es beruht auf Techniken, die Yoga, Qi­gong und Feldenkrais ent­lehnt sind. Zitat: Das autonome Ner­ven­system ist zwei­ge­teilt, es besteht aus zwei einander ent­ge­gen­wir­ken­den Teilen, wovon der eine, das sympathische Ner­ven­sys­tem oder der Sym­pa­thi­kus, physiologische Erregung und psychologische Wach­sam­keit hervorruft und mit der Stressreaktion und der sogenannten „Kämpfe-oder-Flie­he“-Reaktion in Ver­bin­dung gesetzt wird. Der an­de­re Teil des autonomen Nervensystems, das pa­ra­sym­pathische Ner­ven­sys­tem, führt Ruhe, Erholung, Ver­dau­ung und Bewahrung unserer vitalen Energien herbei. Kurz gesagt, der sym­pa­thi­sche ist ein erregender Mechanismus, der pa­ra­sym­pa­thi­sche ein hem­men­der.

Hier geht es zum Downloadlink einer Zusammenfassung der Diplomarbeit von Nicole Baden über die Me­tho­de, die direkt auf die motorischen Hirnrindenareale wirkt. Der Rest ist Trai­ning und Konditionierung. Seit ich übe, schlafe ich bestens, tief und innerhalb von 15 Minuten ein. Meine Neigung zum Mittagsschläfchen ist deutlich reduziert. Ich fühle mich wie neugeboren.

Rückblick: Autogenes Training habe ich schon mit acht Jahren gelernt, die Frau­en­zeit­schrift "Brigitte" hatte damals ein Kinderheft zum Thema produziert. Zum Ein­schla­fen sind mir diese Autosuggestionen aber zu komplex und der Geist fo­cus­siert viel zu stark auf die Reaktionen. Eine "kognitive Übererregtheit" wurde bei mir auch nach dem Dolmetschen festgestellt, dann |fahren| fuhren meine Gedanken Ka­rus­sell und wurden von mir simultan verdolmetscht. Um damit an­ge­mes­sen um­zu­gehen, übte ich mich in allerlei Entspannungsritualen und wusste, dass ich vor allem nach stressigen Einsätzen recht lange gebraucht habe, um wieder "run­ter­zu­kom­men". Vor allem in Kinderwochen war das sehr anstrengend, denn in den Mor­gen­stun­den mit Haseversorgen-und-in-die-Schule-Bringen bin ich im Tiefschlaf.

Mit meinen Schlafphasen war ich per Du. Alle 1,5 Stunden war ich wach, nur die ersten beiden Phasen schlief ich noch durch. Heute weiß ich, das die Tief­schlaf­pha­se vor allem in den fünf Stunden nach dem Ein­schla­fen liegt (und schlafe durch). Regelmäßige Ta­ges­rhythmen, die Teil einer guten Schlafhygiene sind, habe ich allerdings in den Kongressmonaten auch künftig nicht. Ende des Rückblicks.

Gesunder Schlaf lässt sich begleitend durch gute Lebensgewohnheiten fördern. Am Rechner zu arbeiten, ist für mich in den anderthalb Stunden vor dem Schla­fen­ge­hen tabu. Denn die bläulichen Leuchtdioden, die den Monitor erhellen, sig­na­li­sie­ren den Augen Tagaktivität. Auch andere Aspekte sollten Schlafgestörte un­ter­su­chen: Starkstromleitung oder Strom­ver­tei­ler­kasten in der Nähe, W-Lan-Sender, fun­­ken­­des Mobiltelefon, auch wenn die Aus­wir­kun­gen auf den mensch­li­chen Kör­per hier noch nicht abschließend untersucht wurden. Die oben zitierte Ärztezeitung empfiehlt Smartphone-Apps mit Ent­span­nungs­übun­gen. Pas d'accord! Mindestens das Mobiltelefon aus der Nähe des Bettes zu verbannen, gehört für mich zur Schlaf­­hy­­gie­­ne.
Gebt den Leuten mehr Schlaf — und sie werden wacher sein, wenn sie wach sind.                                               Kurt Tucholsky (1890 - 1935) 
Am 6. Mai 2014 startet ein neuer Kurs bei meinem Lehrer Bernhard Mumm. Kursort: Berlin-Kreuzberg, hier geht's zum Flyer. Eine Liste der an­er­kannten Lehrer gibt es hier, nach deutschsprachigen Regionen sortiert. Die offizielle Webseite des Programms mit vielen Links hier.

Ich trainiere weiter. Wie sich das System in intensiven Arbeitswochen bewährt, wird Gegenstand eines neuen Eintrags sein (klick).

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Foto: ABSCHIED, D 1930, R: Robert Siodmak;
Quelle: Deutsche Kinemathek

Donnerstag, 13. März 2014

Noch eine kleine Gangstergeschichte

Bonjour auf den Sei­ten meines di­­gi­­ta­­len Arbeits­­jour­­nals, das in einer wenige Qua­drat­me­ter kleinen Box entsteht. Immer häufiger arbeite ich auch außerhalb der Kabine. Heute folgt ein Kurz­kri­mi ohne Leiche.

Nach getaner Arbeit sitzen wir reichlich ermattet im Restaurant — ein Kunde und ich. Jetzt muss ich ihm auch noch die Speisekarte übersetzen. Normalerweise stört mich das nicht, da dolmetsche ich spontan für Freunde oder Familie; diese Art Ver­traut­heit führt dazu, dass ich nicht merke, wie mein Kopf rödelt.

Persönliche Nähe kenne ich auch im Dolmetschprozess, aber sie ist nur Ergebnis von Pro­jek­ti­o­nen. Als Dolmetscherin identifiziere ich mich oft mit jenen, die ich vertonen darf. Das ist nicht in allen Fällen möglich. Die Anzahl der Vortragenden auf einer Kon­fe­renz spricht zumeist dagegen. Aber wenn ich mich über Tage auf nur einen Redner einlese, in seine Ge­dan­ken­welt hineinschraube, um die be­tref­fen­de Person am Ende gut syn­chro­ni­sie­ren zu können, ist der Vorgang hoffentlich nachvollziehbar, Sympathie vorausgesetzt.

Dieses Phänomen ändert sich gerade: Die Vielfalt der Kunden und die Dauer der Ein­sätze an der Seite ein- und desselben Men­schen nimmt zu, die Situation wird banaler. Krisenbedingt haben einige Kon­fe­renz­ver­an­stal­ter auf Französisch verzichtet, meine Arbeitssprache, und da es offenbar nicht so viele Beschwerden darüber ge­ge­ben hat, wie unsereiner gehofft hat­te, wird jetzt erst einmal häufiger auf simplified english konferiert. (Ich halte das für ein Über­gangs­phä­no­men, denn gute Kenntnisse der Sprache Shakespeares sind in Frankreich und Deutschland gleichermaßen selten, wie ja gerade erst wieder diverse Gazetten vermeldeten.)

Was im Konferenzbereich weniger wird, kompensieren Aufträge aus Politik, In­dustrie und Handel. Der Berufsalltag wird bunter, denn gearbeitet wird immer, auch in der Wirtschaft und für die Wirtschaft. Mitunter geht es so bunt her, dass ich das Gefühl habe, die Rubrik "Vermischtes" auf der letzten Zeitungsseite live zu er­le­ben. Dabei sehe ich mir über die Schultern und stelle fest, wie meine eingangs festgestellte Neigung zur Identifikation deutlich abnimmt.

Wie neulich erst. Wir Sprachmittler bekommen als erste mit, wenn neue Ge­schäfts­fel­der entstehen, Betrug beispielsweise, der übers Internet angebahnt wird (siehe mein gestriger Eintrag). Und so durfte ich mich vor einiger Zeit dieser Sache an­neh­men: Ein knitzer (*) mittelständischer Bauunternehmer aus Deutschland hat im Pariser Groß­raum ein besonderes Baustellenfahrzeug zu einem äußerst gün­sti­gen Preis ge­braucht erworben. Käufer und Verkäufer waren sich in einfachstem Eng­lisch über dessen Zustand, Ausstattung, Lieferbedingungen und Liefertermin einig geworden.

Der Käufer überwies vorab das Geld — der Verkäufer hatte Vorkasse verlangt. Au­ßer­dem war das Jahresende nah und die Investition sollte noch fürs alte Ka­len­der­jahr wirksam werden. Und dann war nichts geschehen, weder wurde das Fahrzeug geliefert, noch war es möglich, das Geld zurückzuerhalten.

So reiste also der deutsche Unternehmer nach Paris, um nach seinem Fahrzeug Aus­­schau zu halten, die Berichterstatterin im Schlepptau. An der angegebenen Firmenadresse, die wir einer eindrucksvoll gestalteten Internetseite entnommen hatten, entdeckten wir zu unserer großen Überraschung ein unrenoviertes Haus zwischen zwei Autobahnzubringern. Die Haustür stand offen, schien nicht mehr abschließbar zu sein, das Gebäude war noch zum Teil bewohnt, davon zeugten eine halbwegs aktuelle Zeitung, weggeworfene Weinflaschen, Kippen und weiterer Unrat. Im Erdgeschoss hing zwischen abplatzenden Putzstücken und Rußspuren ein nigelnagelneuer Metallbriefkasten an einer mit einer Metallplatte verstärkten Tür, darauf der Name und die Firma des vermeintlichen Händlers. Das war auch gleich schon der schaurigste Moment des ganzen Unterfangens.

Anschließend bleib meinem Kun­den nur der Gang zur Po­li­zei. Der Deutsche war sehr auf­­gebracht und sprach im Warteraum der Polizei sehr abträglich über Land und Leu­te. Zum Glück machten die Uniformierten we­nig später gro­ßen Eindruck auf ihn; das Ge­spräch wurde sach­li­cher, so blieben mir etliche un­schö­ne Wör­ter zu übersetzen erspart.

Später erfuhren wir, dass sich hinter der Metalltür im Abrisshaus die Reste eines kleinen Materiallagers befunden haben. Die Kürze des Einsatzes und die Ein­deu­tig­keit der Geschehnisse entlockte mir ein Stirnrunzeln und einen Anflug von Er­schöp­fung ob der vielen Details fürs Protokoll. Dabei liebe ich eigentlich meinen Beruf und die Vielseitigkeit der Situationen, die unserseiner außerhalb der Kabine er­le­ben kann.

Als wir schließlich im Restaurant saßen, war meine Haltung zu diesem Kunden ähn­lich zwiespältig: Wirklich zu fassen bekomme ich ihn nicht, er scheint weder Fisch noch Fleisch zu sein. Der Mann ist nicht ohne Witz und gute Ideen, wenn es um die eigene Firma geht, aber offenbar hoffnungslos naiv, wenn er im Ausland ein tech­ni­sches Großgerät zum Schnäppchenpreis ohne jede Ab­si­cher­ung erwerben will.


Vokabelnotiz
knitz — Süddeutsch für raffiniert, gewitzt
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Fotos: C.E.

Mittwoch, 12. März 2014

Scheckbetrug

H­allo! Hier bloggt eine Sprach­arbei­ter­in. Was Fran­zö­sisch­dol­met­scher und -über­setzer umtreibt, wenn sie Schwer­punk­te wie Film, Fernsehen und Me­die­nwirt­schaft haben, lesen sie hier. Da­ne­ben arbeite ich auch mit der eng­li­schen Spra­che und in den Fel­dern Politik, Kultur und Soziales­.

Übersetzer, Dolmetscher und andere Spracharbeiter scheinen als potentielle Opfer im Visier der Internetbetrüger zu sein. Daher sind wir gut beraten, mit der glei­chen Sorgfalt und Hartnäckigkeit unsere (potentiellen) Kunden im Netz zu prüfen, wie wir dortselbst mögliche Über­setzungs­va­ri­an­ten durchspielen oder nach Nach­weisen für Fach­ter­mi­ni forschen.

Gerade hatte ich wieder so einen Fall. Es ging los wie eine ganz nor­ma­le Über­setz­ungs­an­frage: Neun Seiten Text aus dem Bereich So­zial­for­schung, recht komplex, die Ab­sen­derin war eine Privat­per­son in England, ihr Vorname hat mich irritiert. Die Daten der Dame habe ich in diverse Suchmaschinen ein­ge­ge­ben, denn ich habe Reachel mit E noch nie gehört. Dabei ging es um folgende Fragen: Gibt es diese Person am angegebenen Ort? Taucht sie im Web 2.0 auf? Hat sie Webvisitenkarten bei XING oder LinkedIn?

Eine Person dieses Namens fand sich nur in den USA, der Beruf könnte zum Thema des Texts passen. Ist da etwa jemand auf Reisen oder steckt die Dame viel­leicht mitten im Umzug? Ist der Aufsatz für eine Publikation oder eine Firma zu über­setzen? (Das Elaborat liest sich nach Unternehmenshintergrund.)

Ich gebe einen Preis im oberen Durchschnitt an und frage nach der Deadline. Die Dame geht darauf aber gar nicht ein, sondern möchte eine Vereinbarung über die Zahlungsweise treffen, während ich für einen verbindlichen Kostenvoranschlag nach der Firmenadresse und der internationalen Mehrwertsteuernummer frage. (Ihre Mailadresse lässt keine Rückschlüsse auf eine Firma zu.)

Die Person schreibt mir in rascher Folge Nachrichten, die immer knapper werden. Das kenne ich allenfalls von hochrangigen Chefs, aber nicht von Privatpersonen oder Se­kre­tär­in­nen. Ihre vierte Mail sieht aus wie befürchtet: Mir wird ein Scheck angeboten. Ich lehne diese Zahlungsart in knappen Worten ab.

Hier bricht auch der Kontakt ab. Was jetzt gekommen wäre, ver­läuft nach einem bekannten Sche­ma, das im Netz als cheque over­payment fraud, advance fee fraud oder overpayment scam bekannt ist. Der Dienstleister (oder auch die Dienst­leister­in) erhält einen Scheck, der auf eine höhere als die geforderte Summe ausgestellt ist. Postwendend trifft dann eine Nachricht des Ab­sen­ders ein, dass es sich um ein Versehen handele, verbunden mit der Bitte, den Dif­fe­renz­betrag auf ein Konto im Aus­land zu überweisen.

Der Kontoinhaber ist der Empfänger oder eine dritte Person. Allein hier schon soll­ten alle Glocken schrillen, ich sage nur: Geldwäsche. Während die Überweisung sofort losgeht, platzt der eingereichte Scheck nach Eintreffen der Differenzsumme auf dem fremden Konto, denn eine Scheckgutschreibung dauert länger. Am Ende kann das Geld nicht mehr zurückgeholt werden.

Betroffen von solchen Machenschaften sind nicht nur wir Sprachmittler, sondern auch Verkäufer von diversen Gerätschaften wie Gebrauchtwagen. Auf einer Web­seite steht, dass jede dieser Betrugsvarianten ein wenig anders, aber stets plau­si­bel ist. Ich hatte keine Lust auf eine Abenteuergeschichte, denn ich war mit einer solchen erst neulich in Paris. Davon schreibe ich hier morgen. Denn auch wir Über­setzer, Dolmetscher und andere Spracharbeiter erleben manchmal echte Krimis.

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Illustration: C.E. (Den Namen der "Dame" habe ich ver-
pixelt, denn es gibt in den USA jemanden, der so heißt.)

Dienstag, 11. März 2014

Error!

Das Ar­beits­ta­ge­buch, das Sie hier lesen, ent­steht in einer zwei Qua­drat­me­ter klei­nen Box. Denn mei­ne No­ti­zen aus dem Sprach­mitt­ler­all­tag schreibe ich in der Dol­met­scher­ka­bine … oder auch mal am Küchentisch.

Es gibt da diese berühmte Europäische Direktive mit der Kennung 2011/7/EU, der zufolge Rechnungen innerhalb von 30 Tagen nach Unterzeichnung des Vertrags zu begleichen seien. Wieso muss ich da sofort wieder an den Staat denken? Ich hatte bei staatlichen Stellen in letzter Zeit fol­gen­de Zah­lungszeit­räume: drei Tage, fünfzehn Tage, 115 Tage und zwei­hun­dert­ir­gend­was Tage. Habe nicht nachgezählt. Der niedrige dreistellige Wert war prompt der mit der größten Summe. Wenigstens kann ich mir bei diesen Kunden sicher sein, dass eines Tages das Geld eintrifft.

Dann muss ich an den 15-seitigen Vertrag voller Drohgebärden |einer Dol­metsch­agen­tur| eines Dolmetschermaklers denken, für die ich (eher versehentlich) vor einiger Zeit aktiv war. Hier steht schwarz auf weiß: "Unser Zahlungsziel beträgt 90 Tage. Die Auftragnehmerin erkennt diesen Punkt auch trotz anderslautender Ge­setze bindend an."

Mein letzter Satz heute ist geträllert und willentlich mit schweizerisch-gutturalem Auslaut versehen: "Aber ich bin doch keine Bank-ch!"

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Illustration: eigenes Archiv (2008)

Montag, 10. März 2014

Technik und H2O

Als Dol­met­­scher­in und Über­­­setzer­­­in be­schrei­­be ich den Al­­ltag von Sprach­­mitt­­lern. Da­­bei dür­­fen wir nicht nur mit Wörtern jonglieren, sondern auch mit Technik.

Technik und Flüssigkeiten passen nicht zusammen, das hat mir in Zeiten, als ich noch häufiger für Arte Reportagen re­cher­chiert/ver­dolmetscht/beraten habe, ein Cutter so unmissverständlich beigebracht, dass ich es eigentlich hätte verstehen müssen.

Kein Blick aufs Mundbild: Unihörsaal, viele Reihen, Sprecher, die uns den Rücken zukehren, ausgeklappter Laptop, daneben drohen Wasserflasche und gefüllter PlastikbecherTrotzdem konnte ich vor ei­­ni­­ger Zeit dieses Bild schießen. Wir saßen als Dolmetscher mal wieder außerhalb jeglicher Ka­bi­ne, mit dem Flüstermikrofon in der Hand, und strapazierten unsere Stimmbänder. Denn Flüstern ist anstrengend. Da der wissenschaftliche Tag an ein- und demselben Ort statt­­fand, wäre eigentlich mehr Technik prima ge­we­sen.

Wir aber saßen weit ab vom Schuss und mussten ganz schön die Ohren spitzen um zu hören, was wir da ver­­dol­­metschen durften. Aber die Bildungseinrichtung ist nicht gut dotiert und so ha­­ben wir eben möglich gemacht, was möglich war.

Die Wasserkippelei habe ich sofort beendet. Wasser und Technik passt nicht zu­­sam­­men. Gerade ärgere ich mich über meinen MP3-Player, den ich zum Joggen nehme. Ich trage ihn ihn der Jacke meines Sportanzugs, da sind bei Kälte eben noch zwei Schich­­ten darunter. Offenbar hat ihn der Schweiß doch erreicht, ich kann keine ein­­­zelnen Titel mehr ansteuern, Radio ist auch weg, es gibt nur noch die Titelliste alphabetisch wieder, ich spiele mir eben immer nur die eine oder zwei Hör­funk­sen­dun­gen von BBC oder France Culture auf, den/die ich hören möchte. Stoppen lässt sich das Ding leider auch nicht mehr.

Es war ein Markengerät, nicht dasjenige, welches zu meinem Rechner passen wür­­de, sondern eine durchaus auch seit längerem ebenso erfahrene wie berühmte Fir­­ma. Die Garantie ist gerade abgelaufen. Ist das meine Schuld oder muss ein Gerät­­chen so ein wenig Transpiration abkönnen? Will sagen: Wofür werden die sonst ge­­kauft, wenn nicht fürs Joggen? Und so richtig billig war es auch nicht.


Vokabelnotiz
la baladodiffusion — der Podcast
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Foto: C.E.

Sonntag, 9. März 2014

Am Studentenbad

Will­­kom­­men auf den Sei­ten einer Ber­liner Sprach­­ar­­bei­terin. Ich dol­­met­sche aus dem Deutschen, Fran­­zö­­si­­schen und Eng­­li­schen und schreibe hier über meinen ab­wechs­lungs­reichen Berufsalltag. Sonntags werde ich privat.

Vor einem Jahr litt ganz Berlin unter dem Winter, denn im Januar hatten die Ber­liner nicht ein Stündlein lang die Sonne gesehen, und zuverlässig schnee- und eis­frei war die Stadt erst ab Mai. Da fühlen wir Sprachmittler uns der Rest­be­völ­ke­rung gegenüber schon leicht im Vorteil, denn als Konferenzdolmetscherin kann (und muss!) ich als Dolmetscherin außerhalb der Kongresssaison in die Länder mei­ner Sprachen reisen.

Dieses Jahr fällt es der ganzen Stadt leichter, das Winterende auszuhalten. Beim Wort "Wintergrillen" habe ich sonst andere Bilder im Kopf! Die abgebildete Ge­mar­kung liegt 15 Fußminuten von uns entfernt und war bis Mitte der 1950-er Jahre eine Badeanstalt, wovon der Name "Studentenbad", den auch viele Spaziergänger heute noch kennen, bis heute zeugt. (Hier eine Beschreibung aus Boots­fahr­er­in­nen­sicht, hier ein historische Aufnahme von 1955 und damit ein Jahr vor Schlie­ßung des Bades.)


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Foto: C.E. (In ein zweites Fenster gela-
den, kann das Foto vergrößert werden.)

Samstag, 8. März 2014

Museum der Wörter 2

Hallo, hier bloggt eine Spracharbeiterin. Ab und zu erinnere ich an Begriffe, die wir den jüngeren Generationen heute erklären müssen.
            
          G
ouvernante, Strumpfband, Blaustrumpf.  

   

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Idee: H.F.

Freitag, 7. März 2014

In Arbeit (1)

Willkommen beim ersten deut­schen Web­log aus dem In­neren der Dol­met­scher­ka­bine. Wie Dol­met­scher ar­bei­ten, können Sie hier lesen. Ich arbeite mit den Spra­chen Englisch und Französisch. Wenn ich nicht auf Konferenzen zugange bin, laufe ich durch Werkhallen, über Baustellen oder halte mich in den Hin­ter­zim­mern der Politik oder im Kino auf. Heute mal wieder: Blick auf den Schreibtisch.

Gerade lese ich mich das The­ma Baubiologie ein. Ich wurde angefragt, im Rahmen eines Berliner  Bauprojekts zu ar­bei­ten. Der Bauherr ist Teil einer Baugruppe und stammt aus Frankreich. Dessen Vater be­zahlt als Ingenieur die In­vesti­tion, denn der Jüngste der Fa­mi­lie, der in Berlin geborene Filius bzw. Enkelsohn, hat ein Problem.

Er ist Mehrfachallergiker. Also stecke ich, nachdem ich vor Jahr und Tag schon wie­der­holt zum Thema Bioplastik, Wärmedämmung und Niedrigenergiearchitektur dol­metschen durfte, bald komplett in dieser Thematik drin, die zu einer meiner an­de­ren Spezialisierungen passt: Innenarchitektur.

Da ich ab und zu über die Themen schreibe, mit denen ich zu tun habe, wird sich meine Beschäftigung mit der Baubiologie hier niederschlagen. Denn vor den Dol­metsch­ein­satz hat der Gott der Sprachmittlerei das gründliche Vorbereiten ge­setzt. So darf ich mir demnächst in Ham­burg mit "Woodcube" auch das gesündeste Mehr­fa­mi­lien­haus der Welt be­sich­ti­gen. Das ist kein va­ku­um­ver­sie­gel­tes Gebäude, es gibt dort keine Verbundstoffe aus Kunstfasern, die verklebt worden sind und möglicherweise ausgasen, sondern ein Naturprodukt, das modern, resistent und (sollte das mal nötig sein) zu 100 % recyclingfähig ist.

Was ich sonst noch mache? Ab und zu korrespondiere ich mit französischsprachigen Menschen im Auftrag zweier Filmproduktionen, ich hoffe, dass die Drehs im lau­fen­den Jahr konkret werden. Dann begutachte ich ein Drehbuch, schreibe zwei An­ge­bo­te und lese weiter zu Europa- und Finanzpolitik, neben der ge­o­po­li­ti­schen Krise die beiden politischen Brandherde unserer Zeit. Dazu lese, se­he und höre ich Do­ku­men­te aus Frankreich, Belgien und England.

Erheiternd sind da­bei nur sprachliche (Wieder)Entdeckungen, die ich nebenbei mache. Während die Deut­schen vermeiden, Äpfel mit Birnen zu vergleichen, heißt es auf Englisch: it is important not to compare apples to oranges.


Linktipps: Hier geht's zum Verein Plasticontrol; es folgt ein Beitrag über "Plastik" aus dem Holzbestandteil Lignin, z.B. Arboform, hier ein TV-Beitrag über "flüssiges Holz" über YouTube:

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Foto: C.E.

Donnerstag, 6. März 2014

Übers Untertiteln

Die Texte, die Sie hier lesen, ent­stehen in einer zwei Qua­d­­rat­me­ter kleinen Box. Denn meine Notizen aus dem Sprach­mitt­ler­all­tag schreibe ich in der Dol­met­scher­ka­bine … oder an einem meiner etwas größeren Über­setzer­schreib­tische.

Wunsch -> Bitte, grundsätzlich -> immer usw.Viele Jahre habe ich Untertitel übersetzt. Ich habe mich gerne dieser Aufgabe sehr gerne gewidmet. Das Erstellen von Untertiteln ist eine Mischung von Übersetzung und Denk­sport. Außerdem sind Filmkenntnisse ebenso nötig wie ein Gespür für Rhythmus und Ti­ming. Das liegt zunächst einmal an der Länge (bzw. Kürze) der Titel selbst und an den vie­len störenden Schnitten. Das Auge kann in einer bestimmten Zeit nur eine bestimmte Anzahl von Wörtern "sehen", das oberste Ge­bot ist also: Verknappung. (Auf das Sehen komme ich am Ende zurück.)
Untertitelübersetzung ist so, wie sich die Über­setzung von Kreuzworträtseln anfühlen müsste, früher noch mehr als heute.

Denn schmale Buchstaben fielen damals weniger ins Gewicht als breite, es galt also, Wörter zu wählen, die möglichst viele Buchstaben wie l, t, i oder die platz­mä­ßig eher neutralen anderen Vokale verwenden, als Wörter, die vor Auf- und Abstrichen nur so strotzen (z.B. M, N, W). Kurz, das Wort Wunsch war nicht em­pfeh­lens­wert. Es hat nicht nur einen Buchstaben mehr als Bitte, sondern kann mit dessen Häufung schmaler Zeichen nicht mithalten. (Mir scheint jedenfalls, dass sich das geändert hat, denn bei den Titeln, die ich heute sehe, haben sich ähnlich wie bei vielen Typographien die Platzverhältnisse verändert. Sollte ich mich hier irren, liebe fachkundige Leser, bitte ich um kurze Rückmeldung.)

Kurz: Eine übersichtliche Menge möglicher Anschläge und die Neigung, schmalen Wörtern den Vorzug zu geben, beeinfluss(t)en den Übersetzungsvorgang. Im In­ter­net gibt es heute Reimlexika und Synonymseiten, aber Nachweise über raum­spa­ren­de Textbausteine habe ich noch nicht gefunden. Also heißt es auszählen und probieren. Irgendwann kennt der Kopf die Anzahl der Anschläge und Schmal­buch­sta­ben intuitiv 'auswendig', das Ausprobieren wird weniger.

Getippt haben wir die Titel in der Courier-Schrift, da sie den unterschiedlichen Brei­ten der Buchstaben Rechnung trug. (Das bildet heute nur noch die Schrift "American Typewriter" ab, siehe Bilder, die mögliche Denkschritte abbilden.)

Deshalb rennen Protagonisten eher nicht durch die Titel, sie laufen weniger raum­grei­fend. Und das geschieht nicht immer wieder, sondern oft — was unter Um­stän­den (kürzer: zum Teil) zu einer kleinen inhaltlichen Veränderung führt, die es na­tür­lich (sicher) zu vermeiden gilt. Es kann sein, dass diese Art der Wortwahl auch dazu führt, dass Untertitel etwas antiquiert klingen (und nicht altmodisch). So erleben Wörter wie stets ihr Revival (statt immer), oder anstelle des Satzes: "Paul kommt nur selten zu Besuch" wählen wir Untertitler die Redewendung "Paul macht sich rar".

Das gilt, um das Gesagte gleich wieder einzuschränken, sicher nicht für alle Filme. Wir haben selbstverständlich (gewiss) auch das Publikum im Kopf. Verstehen schon 10-jährige diese Redewendung, wenn der Film zum Beispiel ein Kinderfilm ist? Wohl eher nicht. "Wir sehen Paul selten" könnte, je nach Situation, die Lösung sein. Denn anders als beim Buch kann ja niemand zurückblättern, die Titel müssen sofort eingängig sein. 

Auch grammatikalisch führt die Untertitelei zu Veränderungen der Sprache. Wäh­rend wir umgangssprachlich sagen würden: "Anne? Die habe ich erst neulich ge­trof­fen?", sagt die Figur im Filmuntertitel eher: "Anne? Die traf ich erst neulich." Den Grund kennen Sie jetzt.

"Eingedampft" wird auch die gesamte Textmenge. Dazu ist aber Fin­ger­spit­zen­ge­fühl nötig, die Auswahl muss in Kenntnis des Films und seiner Dramaturgie statt­fin­den, das Fehlende soll mitschwingen. Zentrale Begriffe, die irgendwo eingeführt werden (im Fachjargon "planting"), und die anderswo wieder auftauchen (Fach­be­griff "pay off"), dürfen nicht versemmelt werden. Dann kommen noch die Rhyth­mus­prob­le­me, ein Titel sollte nicht über einem Bildschnitt stehenbleiben, und wenn viel im Bild passiert, ist auch Reduktion angesagt. Wichtig: Lesende Zu­schau­er dürfen nicht in Panik verfallen, dass sie oder er etwas verpassen könnte.

Nachvollziehen lässt sich das auch ohne große Fremdsprachenkompetenz mit den Untertiteln für Hörgeschädigte. Auch die einsprachig untertitelnden Kolleginnen und Kollegen haben dieses Problem und kennen die einschlägigen Tricks.

selbstverständlich ->gewiss, immer wieder -> oft etc.Bevor ich auf das "Sehen" der Titel zu­rück­kom­me, noch eine Bemerkung zur Un­ter­ti­tel­far­be. Neulich schlug jemand vor, die Buch­sta­ben in einen Kasten zu setzen, wie es bei Arte zu Beginn üblich war, da stand alles auf einem gelben Balken. Hier streiten sich die Fachleute. Ein solcher Eingriff ins Bild ist entstellend. Allerdings hat Lesbarkeit auch Vorteile. Die Probleme, die wir heute damit haben, fühlen sich für mich allerdings wie Mini-Probleme an. Damals (einst), auf dem Silbergelatinematerial, wurden die Titel aus der Beschichtung herausgebrannt. Da war dann der transparente, weiße Titel auf wei­ßem Bildhintergrund (helles Kleid, Tisch­decke o.ä.) wirklich nicht zu lesen.

So. Die Lesetheorie von Untertiteln besagt, dass Worte gar nicht einzeln entziffert, sondern in ihrer Gesamtheit wahrgenommen werden, also das Schrift­bild im Gehirn so verarbeitet wird, wie ein Symbol oder das Bezeichnete ganz reell verarbeitet werden würde. Das spricht für Titel und dafür, dass trotz Texts im Bild auch der Rest des Films "gesehen" werden kann.

Außerdem ist erwiesen, dass das mit der Zeit das "Erkennungstempo" ebenso zu­nimmt wie die Geläufigkeit im Umgang mit Schrift oder Sprache, die auch eine Fremdsprache sein kann. In Skandinavien werden nur Programme synchronisiert, die für Kinder oder Rentner hergestellt wurden, alles andere wird untertitelt. Sowohl in den Bereichen Lese- und Schreibkompetenz als auch in Fremdsprachen sind die Menschen aus skandinavischen Ländern durch die Bank weg besser. Ob die Ergebnisse der PISA-Studien nicht zu einem Großteil daran liegen? Ich vermute das stark. Und empfehle beim Sprachenlernen den Einsatz von Filmen, dabei die Un­ter­ti­tel in der jeweiligen Sprache einschalten. Hören bei gleichzeitigem Lesen ver­stärkt den Lerneffekt auch dann, wenn der Untertitel ein Synonym anzeigt.

Fortsetzung folgt demnächst. Thema: Details der "Un­ter­ti­tel­unterbezahlung", die mich veranlasste, das Feld zu wechseln. Die verbliebenen Kollegen finden sich ge­rade zusammen, um Aktionen zu durchzuführen.


Weiterführende Links: Ein Plädoyer für Untertitel auf Buurtal (Alexandra Kleijn).
Und hier wird beschrieben, was Dolmetscher schon lange wissen (ich bereite mich zum Teil so vor): Das Hörverständnis auch bei Akzenten steigt durch fremd­sprach­lich untertitelte Filme, Link zur Max-Planck-Gesellschaft (Holger Mitterer/James McQueen): "Da muttersprachliche Untertitelungen dieser Art von Lernen eher im Wege stehen, sollten auch in Fernsehprogrammen fremdsprachliche Untertitel als optionales Angebot zur Verfügung stehen, fordern die Wissenschaftler."
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Illustrationen: C.E.

Mittwoch, 5. März 2014

Drei Mal nichts oder: Untertitellektorat

Willkommen auf meinem Blog. Die Welt der Französischdolmetscher und -über­setzer beschreibe ich hier. Heute: Untertitel, der erste Teil einer zweiteiligen Miniserie.

Beispielseite des Korrektorats
N­eue Titel: der französischsprachige Teil noch ohne Timecodes
Neulich habe ich fünf Stun­den dafür aufgewandt, um aus ei­ner fertigen, längst be­zahl­ten Un­tertitelung die "…" rauszunehmen, die nach ei­ner komischen Lo­gik wie­der­holt an einem Zeilenende auf­tauch­ten, um dann auch den nächsten Un­ter­ti­tel ein­­zu­leiten. Der Ge­dan­ke da­hin­ter war klar, die Pünkt­chen sollten Sätze ver­bin­den, die auf mehrere Ti­tel auf­ge­teilt waren. Im Film gab es viele unterbrochene Sätze.

Nur standen da einmal Pünktchen, ein andermal keine; eine Logik dahinter war auf den ersten Blick nicht erkennbar. Die Pünktchen waren wohl immer dann an Ende und Anfang der Zeilen geraten, wenn die Wortsuchphasen der Interviewten ein we­nig zu lange ge­dauert hatten. Ich mutmaße hier. Und ja, die Untertitelung war durch­aus von mir. Ich habe sie spät abends geschrieben, im letzten Quartal 2013, das recht stressig war, und ich hatte eine anderssprachige Un­ter­ti­tel­vor­lage vor­lie­gen, die mich stellenweise dazu verleitet hat, nur auf die Übersetzung zu achten und nicht auch auf die In­ter­punk­tion. Wie schön, dass ich noch mal randarf …

Der letzte Satz funktioniert auch ohne dieses Satzende-in-die-Luft-Hängen, das ich bei eigenen Texten eine Zeitlang geliebt habe. Es ist etwas manieriert, klingt un­ent­schlossen oder so, als käme noch was nach. Außer in Drehbüchern, da fallen sich die Figuren oft ins Wort, da sind die Pünktchen wichtig (und eindeutig). In anderen Tex­ten kürzen sie Zitate ab oder verschweigen Wortteile von gros mots, auf Deutsch "Kraft­aus­drücke". Außerdem ist nicht zu vergessen, dass damit auch (…) Auslassungen mar­kiert werden.

Per Word und mit einem PC werden die Punkte per Tastenkombination so ein­ge­ge­ben: [Strg]+[Alt]+[.]. Dieser Griff erzeugt die Auslassungspunkte an einem Stück. Denn es handelt sich hierbei nicht um die Folge dreier Punkte, sondern um ein ei­genes Sonderzeichen. Das lässt sich spätestens beim Löschen bemerken. (Wenn die … allerdings von Hand gesetzt worden sind, also durch dreimaliges Drücken auf die [.]-Taste, dann geht das nicht so flink.) Für Apfelrechnernutzer ist es etwas kom­pli­zier­ter, die Punkte finden sich unter Sonderzeichen. Bei Drehbuch­über­setz­un­gen über­schrei­be ich ja die Vorlage, also erspart mir Recycling einige Klicks.

Was war noch an der Untertitelung zu korrigieren? Meine Übersetzung habe ich nicht selbst in die Untertitelungs­soft­ware eingegeben, sondern leider im Trocken­schwimm­modus erstellt. Diese Zeilen wurden von einer Person den Filmdaten hin­zu­gefügt, die kein Deutsch kann. (Da es schon anderssprachige Untertitel gab, war das Ti­ming für den Anfang der Titel meistens eindeutig.) Also durfte ich viele Um­lau­te (wieder) reinbauen, mit der die französische Fassung der Schnitt­soft­ware "Avid" of­fenbar nichts anfangen konnte. Außerdem waren Rhythmusprobleme zu klären.  Zwischendurch hat noch eine Deutschsprachige am Zuschnitt der Titel gearbeitet, leider aber dabei Tippfehler eingebaut.
 
Ich fürchte, die Korrekturschleife wäre nicht ganz so ausführlich ausgefallen, wenn mir der Urheber den Film z.B. in niedriger Auflösung anvertraut hätte. Dann hätte ich die Übersetzung direkt in eine Untertitelungssoftware reingeschrieben, die Da­ten (auch für das Timing, also Ein- und Ausblendungen der Titel) wären dann ins Schnitt­­pro­­gramm eingespielt worden.

So ist dieses verd… Misstrauen gegenüber Dritten hier leider Ursache für Mehr­ar­beit. Den Re­gis­seur kenne ich eigentlich ganz gut, das Misstrauen wird in der Bran­che al­ler­dings schon kaum noch infrage gestellt und scheint in Zeiten, in der re­gel­mä­ßig Raubkopierer die Kreativen um ihre Ein­nah­men betrügen, Teil der DNA der Men­schen geworden zu sein. Und da Filmdaten nur über Datentransferseiten aus­ge­tauscht werden können und es überall im Netz Undichtigkeiten gibt …

Meinen Job habe ich übrigens für trois fois rien gemacht, "drei mal nichts", na klar, für die kleinen Punkte eben. Trois fois rien ist umgangssprachlich und bedeutet ei­gentlich "für so gut wie nichts", hier lektorierte ich "für lau". Manche Projekte sind wichtig und haben trotzdem kein Geld. Die erlaube ich mir, ein wenig zu för­dern. Meine Vollzahlerkunden erlauben mir diese Freiheit. Danke!

Morgen folgen noch einige grundlegende Gedanken zu Untertiteln.

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Illustration: aus dem Text
*L bedeutet lisibilité (Lesbarkeit) oder Layout

Montag, 3. März 2014

Portfolio

Will­kom­men auf mei­nen Blog­sei­ten! Hier schrei­be ich über mei­nen viel­sei­ti­gen Berufs­all­tag.

Neben dem Dolmetschen und Übersetzen werde ich einige Male im Jahr für re­dak­tionelle Tätigkeiten gebucht, und zwar immer dann, wenn aus­län­di­sche Me­dien­ver­tre­ter mehr brau­chen als nur eine Sprach­mitt­lerin oder wenn Hoch­schu­len eine er­fah­rene Dozentin suchen.
Der Hintergrund dazu liegt in mei­ner Ver­gan­gen­heit.

In einem ersten Berufsleben war ich Journalistin, dann habe ich sieben Jahre an diversen Hochschulen der Berliner Region gelehrt, mein Schwerpunkt lag auf Blockseminaren.

Hier einige Details:

— Führen von Interviews für elektronische Pressemappen (EPKs)
— Recherchen für Sender und Autoren
— Zweisprachige Moderation
— Sprechen (ausgebildete, warme Altstimme; Deutsch und Französisch akzent- und dialektfrei)
— Lehre: Französisch für Filmschaffende, Medienwirtschaft, Französisches Kino, Lerntechniken, Arbeitsorganisation

Gerne werde ich auch für Sie tätig!

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Foto: C.E. (Archiv)