Dienstag, 25. Februar 2014

Gebackene Fische und Ehemänner

Bonjour! Sie haben eine Seite meines digitalen Arbeitstagebuchs angesteuert. Als Dolmetscherin und Übersetzerin bin ich in Berlin, Paris und überall dort tätig, wo ich gebraucht werde. Ich arbeite für Politik, Medien, Wirtschaft und Kul­tur. In der Zeit vor der Konferenzsaison übersetzen wir vor allem Texte.

Jede Sprache hat ihre Eigenheiten und ihren Charme. Die Ideen, die sich in die Wör­ter der verschiedenen Idiome kleiden, sind nicht immer übersetzbar. Das fällt uns natürlich besonders bei der Arbeit auf. Hier zwei Beispiele dieser noch jungen Woche, die bislang unter dem geheimen Motto "bitte übersetzen, am besten bis gestern" zu stehen scheint.

In einem Text fand ich die wunderbare Redewendung noyer le poisson [nwa.je lə pwa.sɔ̃]. Ich bin keine Ang­le­rin, aber laut wiktionary.org  wird ein dicker Fisch, der an den Haken gegangen ist, eine Zeitlang hinter dem Boot her­ge­zo­gen, um ihn für den ul­ti­ma­ti­ven Kampf müde zu ma­chen. Im Anglerlatein heiße das "den Fisch ersäufen".

Als übertragene Redewendung ist mir der Ausdruck geläufiger, das jemand immer "um den heißen Brei herumredet". Mal sehen, was sich in der Übersetzung daraus machen lässt. Hier brauche ich Nachdenkzeit.

Ansonsten bin ich über den frischgebackenen Ehemann gestolpert. Natürlich nicht über den französischsprachiger Zunge von vor acht Tagen, der seine junge Braut Proust lesen und Godard sehen lässt. Sondern über die deutsche Redewendung, die in einem zu übersetzenden Text mitschwang. Wer backt da eigentlich diese Ehe­män­ner? (In den Kinderbüchern meines Vaters stand übrigens noch "Der Bäcker bäckt das Brot", mit doppeltem Ä, gesprochen wird das heute nicht mehr.)

Auf Französisch ist die Assoziation unbekannt. Da gibt es auch keine "ausgekochten Bürsch­chen", wenn ich das richtig weiß. Aber wer eine cuite hat, was schon recht ähnlich klingt wie bien cuit ("gut durch"), der hat einen gehoben, eher einen zu viel. Der ist durch.

Bei dem, was wir übersetzen, geht's manchmal hoch her. Ich spreche jetzt nicht von den Verträgen, die hier manchmal über den Tisch flattern, sondern über Ex­po­sés, Drehbücher und derlei. Die Texte haben es nämlich immer eilig. Dabei sind sie von der filmeigenen Textform her schon anspruchsvoll, zum Beispiel, wenn es sich um Treatments handelt, Filmerzählungen ohne Dialoge, die aber schon sehr aus­dif­fe­ren­ziert sind. Ein solches war auf Französisch zu überarbeiten, die früher ge­fer­tig­te Über­setzung zu aktualisieren, die Kollegin war dran.

Ich durfte mich einer Synopse zuwenden, eine Kurzpräsentation des Film­in­halts, die uns aus Babelsberg erreichte. Diese Texte kommen mir immer vor wie Instant­kaffee, sind sie doch das Konzentrat dessen, was der Film beinhalten soll. Am Ende des Herstellungsprozesses wird der Text oft für Katalogtexte au­di­o­vi­su­el­ler Märkte bearbeitet, wie sie z.B. in Cannes stattfinden. Da sitzt dann jeder Ne­ben­satz, je­des Semikolon, alle Kernbegriffe habe ihre Entsprechung an anderer Stelle, werfen hier ein Schlaglicht, dort den Schlagschatten, kurz: ein Text wie eine Wortskulptur, dreidimensional.

Und diese Skulptur darf jetzt auf eine Sprachreise gehen. Und der Zieltext soll nicht länger sein als der Ausgangstext (oder nur minimal), denn der Platz im Ka­talog ist stark be­grenzt. Dieses verbale Kunstgewerbe wurde gestern Abend für heute bestellt. Angekündigt waren neun Zeilen Text, die Textform blieb offen. Ist einem das Glück hold, stecken hinter derlei Anfragen wirklich nur neun Zeilen Kor­res­pondenz oder etwas in der Preislage. Reingeflattert kamen aber neun Zeil­chen mit winzigen Buchstaben und 120 Zei­chen je Zeile, also dem doppelten Umfang — und es entfaltete sich das raum­grei­fen­de, schillernde Sprachgebilde. Eine Synopse, die einen Film erst in einem Satz, dann in "sechs Zeilen" zusammenfasst, ist die im Produktionsprozess am meisten überarbeitete Textform.

Die Kollegin steckte wie gesagt im Treatment (eines anderen Films), also durfte ich ran. Normalerweise übersetze ich nur ins Deutsche, in meine Muttersprache. In der Morgenstund' lasen wir gegenseitig Korrektur und klärten Problemstellen, denn ihr deutscher Ausgangstext ist kompliziert. Wir lernen viel beim Übersetzen. Vor allem habe ich heute gelernt, für Kurztexte aus dem Filmbereich künftig die doppelte Zeit zu ver­an­schla­gen. Die wurden ja auch nicht "mal eben so runtergetextet".

P.S.: Die Verbindung der sprachlichen Stolperer beider Texte, den "Backfisch", kennt so in Frankreich auch niemand. Aber da sind die Franzosen nicht allein. Unter jüngeren Deutschen ist der Begriff ausgestorben. Der Backfisch, den ich meine, kommt genauso wenig aus der Backröhre, wie ein Teenager am Tee nagt.

______________________________  
Foto: C.E. (Archiv)

Keine Kommentare: