Donnerstag, 27. Februar 2014

Originelle Spezialisierung

Hallo! Hier bloggt eine Sprach­arbei­ter­in. Was Fran­zö­sisch­dol­met­scher und -über­setzer umtreibt, wenn sie Schwer­punk­te wie Film, Fernsehen und Me­die­nwirt­schaft haben, lesen sie hier. Da­ne­ben arbeite ich auch mit der eng­li­schen Spra­che und in den Fel­dern Politik, Kultur und Soziales.

Ja, es gibt ein Leben jenseits der Ber­li­na­le: kleinere Festivals, Drehbücher und Fi­nan­zie­rungspläne, die übersetzt werden dürfen. Wir Fachdolmetscher sind immer froh, wenn wir in der Kabine Platz nehmen dürfen. Mitunter dürfen wir vor dem Einsatz noch die Kolleginnen 'briefen', die vielleicht etwas weniger als wir Film­dol­met­scher mit der (heute kaum noch) flimmernden Bildkunst zu tun haben.

Beispiele. Le scénario original est de ... so beginnt ein typischer Pressekonferenzsatz, ein Satz, der seine Tücken hat. Denn leider ist es falsch, ihn so zu übersetzen: "Das originelle Drehbuch ist von ...", auch wenn der betreffende Film seine ungewöhnlichen Momente gehabt haben mag. Es handelt sich vielmehr um das Ori­gi­nal­drehbuch (und eben um keine Ro­man­ver­filmung).

Drei Sätze weiter ist vom script girl die Rede. Dumm, wenn aus la scripte dann "das Mädchen, das das Drehbuch ge­schrie­ben hat" wird, der Kontext vermag derlei ein­zu­flüstern. (Vermeiden lässt sich das nur durch Vorbereitung und "Briefing".)

Das Script girl wurde auf DDR-Deutsch "Ateliersekretärin" genannt. Sie ist immer am Set, schreibt ins Buch, welche Dialogteile in welchen Einstellungen gedreht wurden, nimmt eventuelle Dialogänderungen auf, da nicht immer alles exakt so umgesetzt wird, wie es original im Drehbuch steht. Die überarbeitete Fassung ist wichtig für die Etappen der Endfertigung.

"Original" ist überhaupt ein schwieriges Wort. Der Originalschauplatz heißt auf Fran­­zö­sisch décor naturel und nicht, wie Fachfremde vielleicht meinen mögen, das "natürliche Dekor". Diese Übelsetzung klingt sehr nach "Franzosentheorie", nach 1:1-Über­tra­gung, deren Opfer in den 1990-er Jahren die französische Soziologie in Deutschland geworden ist. Prägnantes Beispiel hierfür: La trajectoire de l'artiste, der individuelle Weg des Künstlers, der damals auf Deutsch regelmäßig mit "die Flugbahn des Künstlers" wiedergegeben wurde (und den heute viele in bestem Beamtendeutsch als "Laufbahn" des Künstlers übertragen).

Oder das von mir hier schon einmal vorgestellte "verweigerte Happy-End" für eine nicht erfolgte Risikoversicherung, completion bond oder "Fer­tig­stel­lungs­ga­ran­tie" auf Deutsch. Hintergrund dieses (wundervollen) Lapsus: Die Franzosen nen­nen derlei eine clause de bonne fin.

Das sind alles Originalbeispiele und keine originellen Beispiele. Und péché originel heißt "Sündenfall" auf Französisch. Ja, für uns Profis fühlt es sich wie ein solcher an, wenn mancherorts Amateure oder Profis mit anderen Fach­be­reichen zu Film­ter­mi­nen einbestellt werden. Schlussklappe!

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Foto: C.E. (Archiv)

Mittwoch, 26. Februar 2014

Museum der Wörter 1

Hallo, hier bloggt eine Spracharbeiterin. Ab und zu erinnere ich an Begriffe, die wir den jüngeren Generationen heute erklären müssen.
            
          K
opierstift, Testbild, Schreibmaschine.  

   

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Idee: H.F.

Dienstag, 25. Februar 2014

Gebackene Fische und Ehemänner

Bonjour! Sie haben eine Seite meines digitalen Arbeitstagebuchs angesteuert. Als Dolmetscherin und Übersetzerin bin ich in Berlin, Paris und überall dort tätig, wo ich gebraucht werde. Ich arbeite für Politik, Medien, Wirtschaft und Kul­tur. In der Zeit vor der Konferenzsaison übersetzen wir vor allem Texte.

Jede Sprache hat ihre Eigenheiten und ihren Charme. Die Ideen, die sich in die Wör­ter der verschiedenen Idiome kleiden, sind nicht immer übersetzbar. Das fällt uns natürlich besonders bei der Arbeit auf. Hier zwei Beispiele dieser noch jungen Woche, die bislang unter dem geheimen Motto "bitte übersetzen, am besten bis gestern" zu stehen scheint.

In einem Text fand ich die wunderbare Redewendung noyer le poisson [nwa.je lə pwa.sɔ̃]. Ich bin keine Ang­le­rin, aber laut wiktionary.org  wird ein dicker Fisch, der an den Haken gegangen ist, eine Zeitlang hinter dem Boot her­ge­zo­gen, um ihn für den ul­ti­ma­ti­ven Kampf müde zu ma­chen. Im Anglerlatein heiße das "den Fisch ersäufen".

Als übertragene Redewendung ist mir der Ausdruck geläufiger, das jemand immer "um den heißen Brei herumredet". Mal sehen, was sich in der Übersetzung daraus machen lässt. Hier brauche ich Nachdenkzeit.

Ansonsten bin ich über den frischgebackenen Ehemann gestolpert. Natürlich nicht über den französischsprachiger Zunge von vor acht Tagen, der seine junge Braut Proust lesen und Godard sehen lässt. Sondern über die deutsche Redewendung, die in einem zu übersetzenden Text mitschwang. Wer backt da eigentlich diese Ehe­män­ner? (In den Kinderbüchern meines Vaters stand übrigens noch "Der Bäcker bäckt das Brot", mit doppeltem Ä, gesprochen wird das heute nicht mehr.)

Auf Französisch ist die Assoziation unbekannt. Da gibt es auch keine "ausgekochten Bürsch­chen", wenn ich das richtig weiß. Aber wer eine cuite hat, was schon recht ähnlich klingt wie bien cuit ("gut durch"), der hat einen gehoben, eher einen zu viel. Der ist durch.

Bei dem, was wir übersetzen, geht's manchmal hoch her. Ich spreche jetzt nicht von den Verträgen, die hier manchmal über den Tisch flattern, sondern über Ex­po­sés, Drehbücher und derlei. Die Texte haben es nämlich immer eilig. Dabei sind sie von der filmeigenen Textform her schon anspruchsvoll, zum Beispiel, wenn es sich um Treatments handelt, Filmerzählungen ohne Dialoge, die aber schon sehr aus­dif­fe­ren­ziert sind. Ein solches war auf Französisch zu überarbeiten, die früher ge­fer­tig­te Über­setzung zu aktualisieren, die Kollegin war dran.

Ich durfte mich einer Synopse zuwenden, eine Kurzpräsentation des Film­in­halts, die uns aus Babelsberg erreichte. Diese Texte kommen mir immer vor wie Instant­kaffee, sind sie doch das Konzentrat dessen, was der Film beinhalten soll. Am Ende des Herstellungsprozesses wird der Text oft für Katalogtexte au­di­o­vi­su­el­ler Märkte bearbeitet, wie sie z.B. in Cannes stattfinden. Da sitzt dann jeder Ne­ben­satz, je­des Semikolon, alle Kernbegriffe habe ihre Entsprechung an anderer Stelle, werfen hier ein Schlaglicht, dort den Schlagschatten, kurz: ein Text wie eine Wortskulptur, dreidimensional.

Und diese Skulptur darf jetzt auf eine Sprachreise gehen. Und der Zieltext soll nicht länger sein als der Ausgangstext (oder nur minimal), denn der Platz im Ka­talog ist stark be­grenzt. Dieses verbale Kunstgewerbe wurde gestern Abend für heute bestellt. Angekündigt waren neun Zeilen Text, die Textform blieb offen. Ist einem das Glück hold, stecken hinter derlei Anfragen wirklich nur neun Zeilen Kor­res­pondenz oder etwas in der Preislage. Reingeflattert kamen aber neun Zeil­chen mit winzigen Buchstaben und 120 Zei­chen je Zeile, also dem doppelten Umfang — und es entfaltete sich das raum­grei­fen­de, schillernde Sprachgebilde. Eine Synopse, die einen Film erst in einem Satz, dann in "sechs Zeilen" zusammenfasst, ist die im Produktionsprozess am meisten überarbeitete Textform.

Die Kollegin steckte wie gesagt im Treatment (eines anderen Films), also durfte ich ran. Normalerweise übersetze ich nur ins Deutsche, in meine Muttersprache. In der Morgenstund' lasen wir gegenseitig Korrektur und klärten Problemstellen, denn ihr deutscher Ausgangstext ist kompliziert. Wir lernen viel beim Übersetzen. Vor allem habe ich heute gelernt, für Kurztexte aus dem Filmbereich künftig die doppelte Zeit zu ver­an­schla­gen. Die wurden ja auch nicht "mal eben so runtergetextet".

P.S.: Die Verbindung der sprachlichen Stolperer beider Texte, den "Backfisch", kennt so in Frankreich auch niemand. Aber da sind die Franzosen nicht allein. Unter jüngeren Deutschen ist der Begriff ausgestorben. Der Backfisch, den ich meine, kommt genauso wenig aus der Backröhre, wie ein Teenager am Tee nagt.

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Foto: C.E. (Archiv)

Montag, 24. Februar 2014

Von A(nschlägen) bis Z(eichen)

Bien­ve­nue beim Dol­­met­­scher­­web­­log aus Ber­lin. Hier ver­­su­che ich, Schlag­lich­ter auf un­se­ren eher we­nig bekannten Beruf zu werfen. Daneben arbeite ich in Ber­lin, Paris, Hamburg oder Cannes auch als Übersetzerin. Heute mal wieder: Grund­la­gen!

Eine Normseite, weil es mal wieder gefragt wurde, umfasst 1800 Anschläge und ist in etwa zwei Minuten "sprechbar". In Deutschland zumindest wird ge­rech­net: 30 Zeilen mit je­weils 60 Anschlägen inklusive Leerzeichen, so sollte eine Ma­nus­kript­sei­te aussehen.
In Frankreich ist le feuillet nur 25 Zeilen à 60 Zeichen lang, macht 1500 Zeichen.

(Welche Druckseite 3.300 Anschläge umfasste, siehe Foto, kann ich nicht mehr re­konstru­ie­ren. Das ist eine alte Notiz Altpapier!)

Weil einst Übersetzungen nach angefangenen Zeilen bezahlt wurden und kürzere Überschriften als eine Zeile gezählt haben, wurde, um diese unterschiedlichen Längen zu berücksichtigen, die Übersetzernormzeile auf 55 Anschläge inklusive Leerzeichen reduziert.

Bei Word gibt es unter "Extras" die Suchfunktion, mit der sich Anschläge auszählen lassen. Es gibt auch zahlreiche Zählprogramme im Netz. Mit dem Apfelrechner ver­wen­de ich das hier:
http://www.supermagnus.com/
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Foto: C.E. (Archiv)

Sonntag, 23. Februar 2014

Open air

Hallo! Dies ist der erste deut­sche Blog aus dem In­ne­ren der Dol­met­scher­ka­bine. Hier schreibe ich über Spra­chen (meine sind Fran­zö­sisch und Eng­lisch), über Über­setzungs- und Dolmetschungsprobleme und über glückliche Situationen. Sonntags werde ich privat.

Die Open air-Lesesaison ist eröffnet! (Dieses Foto ist das neueste Bild einer meiner Reihen, hier: Leser/innen im öffentlichen Raum.)


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Foto: C.E.

Samstag, 22. Februar 2014

Kreativität

Willkom­men! Wie schön, dass Sie auf den Sei­­ten meines Blogs ge­­lan­­det sind. Hier schrei­be ich, wie der Sprach­­be­­ruf, ich bin Dol­­met­­scher­in und Über­­setzerin für die französische Sprache (und aus dem Englischen), den All­tag verändert.

Diese Woche war stressig. Post-Berlinale-Infekt (ja, am Potsdamer Platz treffen sich nicht nur Menschen und Ideen, auch Bakterien und Viren), einige Nach­sich­tun­gen (mehr verpasst als gesehen, leider) sowie Texte, die es ins jeweils an­dere Idiom rüberzuwuppen galt, am besten zu gestern.

Übersetzen hat mit Kreativität zu tun, Kreativität mit Zeit. Dazu hier mein Lieb-Link der Woche:



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Film: Café Communications

Freitag, 21. Februar 2014

Tag der Muttersprache

Bonjour, Sie haben die Arbeitstagebuchseiten einer Übersetzerin angeklickt, die daneben in Berlin und anderswo für Politik und Wirtschaft, Kino und Kultur als Französischdolmetscherin tätig ist. Hier denke ich regelmäßig über meine Arbeit und ihre Grundlagen nach.

Heute ist der internationale Tag der Muttersprache. Dazu ein Zitat des kürzlich verstorbenen Nelson Mandela (1918 - 2013):
If you talk to a man in a language he understands, that goes to his head. If you talk to him in his language, that goes to his heart.Spricht man mit jemandem in einer Sprache, die er versteht, erreicht man seinen Verstand. Spricht man mit ihm in seiner Mut­ter­spra­che, erreicht man sein Herz.
Und zum gleichen Thema noch Worte, die auf Deutsch geschrieben wurden.
Wer seine Sprache nicht achtet und liebt, kann auch sein Volk nicht achten und lieben. (Ernst Moritz Arndt, 1769 - 1860)
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Bild: Wikicommons

Donnerstag, 20. Februar 2014

Gemischtes Doppel

Willkommen auf meinem Blog. Die Welt der Fran­zö­sisch­dol­met­scher und -über­setzer beschreibe ich hier. Heute: Komisches von der Konferenz.

Die meisten Dolmetscher sind Dolmetscherinnen. Nein, ich möchte jetzt nicht spe­ku­lie­ren über Frauen, die mehr sprechen, das Corpus callosum, das bei uns dicker ist, weshalb die Hirnhälften besser miteinander kommunizieren ... ich glaube, es liegt an vielen Faktoren, die zusammenspielen, Hormone, Sozialisation und neu­ro­na­le Verschaltungen (Ergebnis der ersten beiden Punkte). Mir fällt hier immer ei­ner meiner Lieblingssätze ein: Wäre das Gehirn so, dass wir es verstehen könnten, könnten wir es nicht verstehen.

Neulich saß ich mit einem Kol­legen in der Kabine. Ja, mit ei­nem Mann. Wir waren für ei­ni­ge Tage außerhalb Berlins tä­tig. Etwas irritiert waren wir, als uns der Kunde bei Tisch vor­sich­tig aus­gefragt hat. Es lief darauf hinaus, dass er an­nahm, das wir ein Paar seien. Das warf in ihm die Frage auf, warum seine Firma getrennte Zimmer gebucht hatte.

Wie er darauf käme, wollte ich wissen. "Naja, Sie sind so ein eingespieltes Team, man hört nur an der anderen Färbung der Stimme, wenn Sie sich abwechseln."

Das ist ja mal ein Kompliment! Auch wenn wir es ihm vor dem Hintergrund seiner "Sparbemühungen" entreißen mussten.

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Foto: C.E. (Archiv)

Mittwoch, 19. Februar 2014

Klassischer Bürotag

Bon­jour! Sie sind ab­sicht­lich oder zu­fäl­lig auf den Sei­ten einer Dol­met­scherin und Über­setzerin für die fran­zö­si­sche Sprache gelandet. Ich berichte hier über den All­tag der Französischdolmetscher und anderer Spracharbeiter — aus meiner streng sub­jek­ti­ven Perspektive. 

Zeiten wie nach der Berlinale und vor der Kongresssaison sind wunderbare Mo­men­te, um neue Routinen einzuführen. Dazu etwas am Ende. Hier, wie ein klassischer Bürotag außerhalb der Saison aussieht.

Vorbereitung: Besprechung mit Moderator
Berlinale nachbereiten. Notizen auswerten und noch einige verpasste Streifen bei den Mitarbeitervorführungen nachholen.

Auf dem Laufenden bleiben. Meine üb­li­chen Fachgebiete weiterlesen, ver­schlag­wor­ten, ausdrucken/Zeitung kaufen und Artikel bearbeiten und ablegen, ab und zu eine alte Lexik hervorkramen und durch­ge­hen. In meinem Bibliotheksflur stehen al­lein zwei Meter Akten und Fach­zeit­schrif­ten zu den verschiedensten Themen.

Inhalte vertiefen. Noch von Weihnachten liegen hier Bücher über Wirtschaft, Ar­chi­tektur und Bildungspolitik. Außerdem: Aktu­elle Europapolitik, Bankenkrise.

Sprachen aktivieren. Etwas zu lesen und zu verstehen bedeutet nicht au­to­ma­tisch, et­was aktiv auf der Platte zu haben. Daher sind jeweils eine Stunde Englisch und eine Stunde Französisch Teil meines Stun­den­plans, über die normale Le­se­zei­ten hinaus, denn ich lese natürlich auch in drei Sprachen.

Termin vorbereiten. Manchmal haben wir sogar das Glück, in der di­gi­talen Tee­küche im Vorfeld mehr zum Thema einer Veranstaltung erfahren.

Ablagen sortieren, ausmisten, Verwaltung. Das steht eigentlich an allen Ar­beits­ta­gen im Büro auf dem Programm, jetzt aber besonders, da es hektische Wochen gibt, in denen un­ser­ei­ner nur auf Achse ist und derlei notwendigerweise un­ter­blei­ben muss.

Kostenvoranschläge schreiben. Ein Drehbuch, ein Treatment, dessen Übersetzung es zu korrigieren gilt, zwei Konferenzen, vier Tage Begleitdolmetschen (Bil­dungs­rei­se) sowie eine sprachliche Baubetreuung, es geht um die behindertengerechte, energieeffiziente Sanierung einer historischen Remise in der Nachbarschaft für ei­ne belgische Bauherrin, die ihren Lebensabend in der Nähe von Tochter und Enkeln verbringen möchte, das könnte alles auf uns zukommen.

Entspannungstechniken lernen. Hier erlebe ich gerade eine Revolution. Nach zwan­zig Jahren mit Schlafstörungen lerne ich schlafen. Bei mir auf der anderen Uferseite (in Blickrichtung keine 30 Meter vom Arbeitszimmer entfernt) liegt ein Zentrum, in dem ich etwas trainiere, das sich sounder sleep system nennt: Hier wurden neurologische Erkenntnisse und Methoden der Alexander-Technik zu einer für mich höchst stimmigen und wirkungsvollen Einschlafhilfe verbunden. Ich be­rich­te an dieser Stelle demnächst ausführlicher darüber. Die Ent­span­nungs­me­tho­de wird mir sicher auch in der Kabine helfen, wenn die Saison wieder startet.

Das sind alles Arbeiten oder Aufgaben, die mit dem Berufsalltag eng verknüpft sind, die keiner sieht und die ich auch niemandem gesondert in Rechnung stellen kann. Sie müssen durch meine Honorare abgedeckt sein und fließen in dieselben ein, so, wie beim Kauf eines Designersofas der Preis natürlich nicht nur Material, Herstellung und Vertrieb abdeckt, sondern auch Entwicklung und Entwurf.

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Foto: C.E.

Dienstag, 18. Februar 2014

Standesamt

Hallo! Hier bloggt eine Über­setzerin und Dol­met­scherin für die Spra­chen Fran­zö­sisch und Eng­lisch. Der­zeit erhole ich mich von der Berlinale. Was mich nicht am Arbeiten hindert.

Heute bin ich mal wieder Leute ver­hei­ra­ten gegangen. Das ist immer eine schöne Sache. Auch beim zehnten Mal bekomme ich noch Gän­se­haut.

Dazu wurde ich, wie neulich geschildert, mal wie­der ad hoc beeidigt, denn die all­ge­mei­ne ge­richt­li­che Be­eid­igung brauche ich sonst nicht.

Die Braut war schön, das junge Paar schwer verliebt, die Gäste fröhlich, der Stan­des­be­am­te hat gut geredet.

Und da es sonst nichts zu berichten gibt, endet mein Blogeintrag auch schon wieder.

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Foto: C.E.

Montag, 17. Februar 2014

Action für dreifuffzich

Willkommen auf den Seiten eines digitalen Arbeitstagebuchs aus der Welt der Spra­­chen. Ich über­setze und dol­met­sche in den Be­reichen Wirt­schaft, Politik, Kul­tur und Film, Fran­zösisch und Eng­lisch sind meine Arbeitssprachen.

Ob ich in drei Tagen ein 90-seitiges Drehbuch übersetzen könne, werde ich ge­fragt. Es gebe da einige Actionszenen beim Dreh eines französischsprachigen Teams in Berlin, und die Berliner Verwaltung sowie eine deutsche Versicherung müssten sich einen Überblick über das Geplante verschaffen.

Ich zögere und erzähle von meinen sonstigen Zeiträumen (ab einer Woche habe ich sonst Zeit je Drehbuch, lieber noch vierzehn Tage inklusive Korrektorat).

Der Aufnahmeleiter meint's sicher gut mit mir: Ich müsse doch nicht alles auf den Punkt übersetzen, halt nur so den Inhalt, also ganz ungefähr würde ja auch rei­chen.

Ganz ungefähr? Für eine Versicherung und die Stadt Berlin, die mehr als nur eine Straße sperren muss? Es ist von pyrotechnischen Mitteln die Rede. Sprengstoff, aber nur Pseudo, für Film halt. Samt einer Schießerei im Hafen.

Der Vertrag letzte Woche war so eilig zu über­setzen, weil er von beiden Partnern aus Frank­reich und Deutschland in Ber­lin unterzeichnet und vor dem Trocknen der Tinte an of­fi­ziel­ler Stelle innerhalb der Nach­rei­chungs­frist abgegeben wer­den musste. Das wä­re an­ders nicht gegangen. Aber hier? Weiß das Team erst seit we­ni­gen Stunden, was geplant ist?

Der Aufnahmeleiter legt nach: Wir könnten es ja zu zweit, zu dritt oder zu viert über­setzen. Ich schlage vor, nur die ausgewählte Passage zu bearbeiten. Nein, es müsse schon das ganze Buch sein. Und man könne 400 Euro für den Job anbieten, das sei ja wohl schnell und leicht verdientes Geld. Ja, ich bin so frei und sage: "400 Euro am Tag? Das liegt leider unter meinem Satz."

Und ganz grundsätzlich: Genausowenig, wie ich ungefähr Auto fahren kann (und dabei Straßenlaternen und Ampeln ramme) oder man ein bisschen schwanger sein kann, genauso wenig kann ich ungefähr übersetzen. Und schon gar nicht für 133 Euro am Tag.

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Foto: C.E.

Sonntag, 16. Februar 2014

Sieben Jahre!

Willkommen auf den Seiten des ersten deutschen Weblogs aus dem Inneren der Dol­met­scher­ka­bine. Hier schreibe ich regelmäßig über meinen wechselvollen Be­rufs­all­tag, der auch am Übersetzerschreibtisch stattfinden kann.

Heute feiert mein digitales Arbeitstagebuch aus der Welt der Sprachmittler seinen siebenten Jahrestag. Ein herzliches Dankeschön, liebe Leser! Von Zuschriften weiß ich, dass die Mehrzahl noch in der Schule oder Hochschule ist oder einem ähn­li­chen Beruf wie ich nachgeht.

Bunte Torte mit sieben KerzenVielen Dank gilt den Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen, die mir Epi­so­den zuspielen, die ich ge­le­gent­lich mit anderen Mo­men­ten ver­schmel­­ze, denn wir Sprach­mitt­ler sind natürlich ans Schweigegebot gehalten — und so ist das Schreiben hier ein autobiofiktionales, das der Wahrhaftigkeit verpflichtet ist. Vielen Dank für Eure Er­mu­ti­gung und moralische Un­ter­stüt­zung! Danke auch liebe Ka­bi­nen­kol­le­gen und -kol­le­gin­nen dafür, dass ich ab und zu Auf­nah­men machen darf.

Ich weiß, dass Bild- und Tonaufnahmen ein Stressor mehr sind — und alles andere als selbstverständlich. Danke auch liebe Dolmetschkunden bei PR-Einsätzen dafür, dass ich Fotos machen (las­sen) durfte und darf.

Natürlich auch vielen Dank an Sie, liebe Kunden und Auf­trag­ge­ber! Ihnen verdanke ich man­che bemerkenswerte Situation, durch Sie durfte ich meinen Endkunden be­geg­nen und sie in fremd­spra­chigen Situationen begleiten. Und auch bei meinen Fast-Kun­den bedanke ich mich, auch wenn der Anlass mancher Begegnung, frag­wür­di­ge Arbeitsbedingungen oder Honorare, nicht immer erfreulich war.

Last but not least vielen Dank auch meinem lieben Korrektorat im Süden und der Beratung im Norden.

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Illustration gebaut aus Netzfunden

Samstag, 15. Februar 2014

Berlinalegeflüster: Zwölf Splitter

Hallo! Sie haben zu­fäl­lig oder ab­sicht­lich eine Seite meines digitalen Ar­beits­ta­ge­buchs aufgeschlagen. Ich bin Dolmetscherin und Übersetzerin für Politik, Wirt­schaft, Me­dien, Soziales und Kultur. Derzeit lasse ich die Berlinale ausklingen.

1. In der U-Bahn kurz vor dem Potsdamer Platz. Es steigen zwei Südosteuropäer mit einem Verstärker zu, der eine zückt die Fidel, der andere den Hut und geht durch die Reihen. Im gleichen Moment wie ich hebt eine junge Frau ihre Hände zu den Ohren und hält sich diese zu. Wir steigen beide am Potsdamer Platz aus und gehen in stummem Einverständnis zum Filmmarkt.

2. In einer "Generation14 plus"-Aufführung surrt direkt neben mir ein Handy. Fragend sehe ich meine Sitznachbarn an, sie zucken mit den Achseln. Dann surrt es immer wie­der. Weil die Sache nervt, treffen uns böse Blicke von vorne und hinten. Getuschel entsteht und wird immer lauter.
Am Ende prüfen alle um uns herum ihre Taschen. Irgendwann gibt der Anrufer auf.

3. Im Delphi: Am besten schläft es sich auf der Berlinale im Kino. Leider schnarcht der Mann drei Rei­hen hinter mir ziemlich laut. Die Umsitzenden versuchen, ihn zu wecken, aber immer wieder gleitet er weg. Schlafen im Film ist an sich nichts, was uns Festi­val­iers fremd ist, und es ist, um mit Godard zu sprechen, Ausdruck in den Vertrauen des Films. Die Kunst besteht vor allem bei gemütlicheren Streifen darin, stra­te­gisch immer dann aufzuwachen, wenn entscheidende Dinge geschehen. Und na­tür­lich nicht zu schnarchen.

4. Im wiedereröffneten Zoo-Palast. Der Teppichboden im Pfeffer-und-Salz-De­sign, Hochflor!, sieht noch gut aus. Die YSL-Premiere hat gerade begonnen, das Kino ist brechend voll. Die Platzanweiser suchen Sitzplätze für VIPs. Als langjährige Ber­li­nale-Mitarbeiterin gebe ich meinen Platz frei. Kommt der Anzugträger mit Wichtig-Wichtig-Miene vom Senat? Auf jeden Fall scheint ihm der Film egal zu sein. Die hal­be Vorführung hindurch ist sein Gesicht durch das Smart­phone erleuchtet, auf dem er nervös rumtippt. Ich finde keinen Sitz mehr und wundere mich, dass ihm meine bösen Blicke nicht im Rücken jucken. Das Licht stört. (Wer derjenige war, erfuhr ich Tage später bei der Lektüre der Süddeutschen Zeitung. Und "irri­tiert lau­fen sie durchs dunk­le Ki­no" ist ... naja, so ein Zei­tungs­mensch aus dem Film­sek­tor neigt wohl mit­un­ter zu Dra­ma­ti­sie­run­gen. Und natür­lich ste­hen wir zwi­schen­durch manch­mal. Ste­hen am Kas­ten, an dem sich die Laut­stär­ke re­gu­lie­ren lässt. Da hat dann auch die Feu­er­wehr nichts da­ge­gen.)

Zeitungsausriss: "Zwei Frauen werden von den Plätzen gescheucht. ... Es ist dann ... Mathias Döpfner, Chef des Springer-Verlags ... Der Film scheint ihn nicht zu interessieren, er plaudert mit seinem Freund, tippt ständig ... in sein Smartphone" SZ, 15./16.02.14 5. Berlinale-Sport: Der eine möchte mög­lichst viele Filme aus möglichst vielen Län­dern sehen, die andere erklärt die Ber­­li­na­le dann für vollständig, wenn sie von jeder Sek­ti­on mindestens einen Film gesehen hat, wieder ein anderer sammelt Genres. Sich einen Überblick zu verschaffen, ist bei ca. 600 Filmen oh­ne­hin nicht möglich. Al­lein um den Wett­be­werb vollständig zu se­hen, saß die Jury knapp 40 Stunden im Ki­no. Und wer von uns Besuchern und Mit­ar­beitern dann einen der prämierten Filme erwischt hat, ist glücklich. Die meisten Mit­arbeiter dürfen währenddessen ohnehin keine Filme zu sehen, sie halten den Laden am Laufen. Ihnen sei hier kurz gedacht.

6. Im Haus der Berliner Festspiele: Mit einem Arbeitsrichter aus Potsdam komme ich in der Schlange ins Gespräch, wir sitzen am Ende nebeneinander auf dem Bal­kon. Als ich meine Notizen mache, leuchtet er mir plötzlich mit einer LED-Ta­schen­lam­pe aufs Papier. Ich erschrecke, wie hell das ist. Reagiere erst etwas zu barsch, dann freundlicher. Danke, die Notizen schreibe ich blind, seit Jahren. Ich schreibe Vokabeln und szenische Momente auf, diese Berlinale mussten vier Ste­no­blöcke dran glauben.

7. Gedolmescht wird im Film "Tryptichon" von Robert Lepage und Pedro Pires, und zwar in einer Arztpraxis, und in Feo Aladags "Zwischen Welten" hat ein Dol­met­scher, der leider im Programm oft "Über­setzer" genannt wird, eine wichtige Rolle.

8. Bei "Tryptichon" gibt es wiederholt Übergänge, in denen jemand die Kamera verdunkelt oder auf sie zugeht oder etwas anderes geschieht, was dem Rum­wi­schen an der Optik entspricht, der bei "Meine Mutter, ein Krieg und ich" von Ta­ma­ra Trampe und Jo­hann Feindt wiederholt ein Sequenzübergang ist. Weil sich genau hierin die Filme sehr ähnlich sind, entstehen aufgrund der Mon­ta­ge­tech­ni­ken in mei­nem Kopf Be­zü­ge zwischen diesen zwei sehr un­ter­schied­li­chen Fil­men. Für jeden Zuschauer ist schon wegen der Filmauswahl die Berlinale komplett anders.

9. Meine Lieblingsproduzentin aus Kanada traf ich wie geplant zufällig bei Lepage, sonst sah ich nur bekannte Gesichter im Vorbeirennen, meistens drängten Ver­ab­re­dun­gen und Vorführtermine. Früher war mehr Zufall. Die Berlinale weist jedes Jahr einen neuen Spielort auf, so jedenfalls fühlt es sich an. Das ist für den Zufall schon mal abträglich.

10. Der Preisträger Resnais heißt nicht Allah mit Vornamen, und bei seinem Nach­namen wird weder das erste, noch das zweite "S" ausgesprochen, leider schwirren einige kuriose Varianten durch Raum und Äther. Wir sollten für Eigennamen bei der Berlinale eine akustische Aussprachedatei einführen. Bei der ARD gibt's sowas. Und den Moderatoren abtrainieren, an ihren Mo­de­ra­tions­kärt­chen zu kleben. Und über­haupt, wieder mehr Deutsch einführen. Zwei ausländische Gäste meinten unab­hän­gig voneinander, die Quasi-Abschaffung der deutschen Sprache am Potsdamer Platz sei, auf Frankreich übertragen, in Cannes undenkbar. Der eine meinte: "Hitler ist schuld", eine andere verwendete das Wort vom "deutschen Min­der­wer­tig­keits­kom­plex". Was aufs Gleiche rauskommt.

11. Dafür hat die Berlinale neue Dolmetschungen zu bieten: Die Filmgespräche zu vier untertitelten Filme wurden von Gebärdensprachdolmetschern begleitet! Das finde ich ganz wunderbar! (Oder hier, die Pressekonferenz zu "Kreuzweg"! Danke, Paul.)

12. Hier noch zwei Lieb-Links der Woche: Knigge für Kinogeher von Steffen Brück, Kulturradio (rbb). Und sitzenbleiben im Kino oder rausgehen, fragt die SZ an einer anderen Stelle: "Flucht vor dem Elend" von Paul Katzenberger.

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Fotos: C.E. || Ein Dank an die SZ für die
Genehmigung, den Ausriss zu bringen.

Freitag, 14. Februar 2014

Berlinalegeflüster: Bildung

Hallo und will­kommen auf den Sei­ten des di­gi­ta­len Ar­beits­ta­ge­buchs einer Dol­met­scherin mit den Fachgebieten Politik, Wirtschaft, Kultur und Kino. Derzeit lasse ich die Berlinale ausklingen.

Robert Lepage verlässt die Festivalbühne
Vor der Berlinale habe ich ein Dutzend Filme in Presseaufführungen gesehen, parallel zu meiner Arbeit sechs, davon einen zum 2. Mal, heute drei, morgen vier. Jetzt beginn der Weiterbildungsteil der Berlinale. Nächste Woche werde ich so oft es geht von den Mit­ar­bei­ter­wie­der­ho­lun­gen profitieren. Am Ende werde ich 35 bis 40 Filme gesehen haben.
Haus der Berliner Festspiele mit Vollmond
Denn um gut dolmetschen zu können, ist es gut, sich grundsätzlich im Werk der be­tref­fen­den Filmschaffenden aus­zu­ken­nen.


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Fotos: C.E. (Robert Lepage im Zoo-Palast und das Haus der Berliner Festspiele bei Vollmond)

Donnerstag, 13. Februar 2014

Berlinalegeflüster: Frühling!

Will­kom­men auf mei­nen Blog­sei­ten aus der Welt der Spra­che. Meine Fach­ge­bie­te sind Wirt­schaft, Politik, Soziales, Kultur und Film. Dieser Tage habe ich viel mit der Berlinale zu tun.

So warm wie diese war noch keine Berlinale. Den Mitbewohnern der seit Jahren bewährten Berlinale-WG geht die saubere, nicht allzu win­ter­li­che Wä­sche aus.

Die Berlinale-WG ist ein wesentlicher Bestandteil meines Filmfestivals. Während ich sonst immer morgens den neuesten Festivalflurfunk beim Frühstück erfahren durfte, weil ich mich überwiegend in Dolmetschkabinen und der Festivalbühne rum­trieb, lerne ich dieses Jahr, in dem sich die Aufgaben verändert haben, an der alten Stelle immer Neues, weil ich tagsüber in Hotelsuiten dolmetsche oder klei­nen Ta­gungsräumen, die Filme in der Küche im Streaming sehe oder im Ar­beits­zim­mer Vertragswerke übertrage, als wäre derzeit am Potsdamer Platz nichts los.

Dort, im Hyatt, können die Produzenten morgen wie geplant ihren Vertrag in zwei Fassungen unterzeichnen; "meine" französischen Verleiher indes sind heute schon abgereist und haben mir für mein privates Sehinteresse eine kleine Liste mit guten Filmen verehrt. (Sie wurden übrigens fündig und haben 1,5 Streifen gekauft.)

Es ist Frühling. Ein Tag im Mai ... dreisprachig.
Nun plane ich mein Fil­me­sich­tungs­wo­chen­en­de im Kino, bei dem ich für die Arbeit mög­­lichst viele fran­zö­sisch­spra­chi­ge Filme nachholen möch­te. Denn jene, die ich sehen durf­te, nähr­ten in mir ei­nen Ver­­dacht: Gerade schei­nen sich et­li­che Franzosen in Film­din­gen selbst zu suchen; sie re­ku­rieren oft auf film- und fo­to­gra­fie­ge­schicht­li­che Ele­men­te.

Noch nie sind mir so viele Polaroidbilder, Schrifttafeln wie zu Stummfilmzeiten und filmhistorische Anspielungen aufgefallen, sogar Georges Mé­liès taucht in einem Werk auf. Ist diese Häufung Zufall? (Oder gilt das derzeit auch für die Ci­ne­ma­to­gra­fien anderer Länder?)

Hier noch die Antwort auf eine Frage, die mir zugeschickt wurde. Wie das denn jetzt im Festivalpalast mit den Untertiteln gelöst werde, möchte eine Leserin wissen, wo ich doch vorgestern provokativ meinte, dass Deutsch und Französisch dort jetzt zu den Minderheitensprachen gezählt werden dürften: So wie auf dem Bild wird das gelöst. Es gibt zwei Zeilen Untertitel, eine davon auf Deutsch, auch die Pres­se­kon­fe­renzen werden noch in die deutsche Sprache verdolmetscht und in der Kin­der­film­sek­tion ist sie auch noch nicht tot. Sonst aber. Schon Teenager müs­sen so gut Englisch können, dass sie mit den Originalfassungen klar­kom­men.

Als Konferenzdolmetscherin mit der C-Sprache (passive Sprache) Englisch kann ich sagen: Auch ich verstehe oft die entscheidenden 5 % nicht. Zwischen dem Englisch, das in armen Gegenden der USA gesprochen wird und dem, was in Neuseeland oder Irland zu­hau­se ist, bestehen himmelweite Unterschiede. Es gab Filme auf der Berlinale, da wusste ich noch einigermaßen, worum es ging. Ein Journalist, der mal neben mir saß, kommentierte die Sache so: "Ich habe einfach nur die Bilder ge­nos­sen". Und am Ausgang wollte ein anderes Mal eine Frau, die mich aus früheren Jah­ren noch kannte, mehr von mir wissen. Wir rätselten gemeinsam weiter. Sie un­ter­richtet übrigens an einem Gymnasium — sorry, den Gag kann ich uns jetzt nicht ersparen, es ist das Fach Englisch.

Die Doppeltitel gibt es leider nur für Wettbewerbsfilme. Diese "Si­mul­tan­fas­sung" ken­ne ich seit Jahren aus Cannes. Das simultane Einsprechen ist in Südfrankreich schon vor Jahren eingestellt worden. Von französischsprachiger Seite habe ich da­zu, dass auch in Berlin nicht mehr eingesprochen wird, viele kritische Stimmen gehört. Nehmen sich die Einkäufer, Dramaturgen, Film­tech­ni­ker, Journalisten und Co. am Ende auch die Zeit, ihre Meinung in geschriebener Form mit­zu­tei­len, oder fürchten sie, derlei würde ohnehin nichts ändern? Viele, auch Deut­sche, wünsch­ten sich für die englischsprachigen Filme einfach englische Un­ter­ti­tel, die viel­leicht auch den Slang ein wenig übertragen könnten.

Aber mit dem Wünschen fange ich jetzt lieber nicht an. Die Liste würde zu lang werden. Dass das Berlinalewetter gerne dauerhaft warm bleiben darf, gehört sicher dazu. Es war an warmen Tagen viel an­ge­neh­mer als an kühlen Tagen in Cannes, obwohl dieses Festival bekanntlich im Mai statt­fin­det.

Nostalgie stellt sich unter den Verbliebenen in der Berlinale-WG ein, sogar schon für diese Woche: Das Festival ist so gut wie zu­en­de, beim Filmmarkt werden die Stände abgebaut. Ansonsten hat in diesem Jahr unsere Berlinale-WG nicht nur die Filmabspielstätte "Küche" hin­zu­ge­won­nen, sie ist jetzt auch Waschsalon und PR-Bü­ro fürs Filmdolmetschen, denn morgen treffe ich zu dem Thema eine Jour­na­listin. Jedes Jahr verändern sich die Aufgaben, und das ist schön!

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Foto: C.E.

Mittwoch, 12. Februar 2014

Berlinalegeflüster: Hirnlüften

Als Dol­met­scher­in und Über­setzer­in be­ob­achte ich das einzige deut­sche A-Fes­ti­val unter den Film­fes­ti­vals, die Berlinale. Vorgestern akquiriert, gestern erwähnt, die Folgen sind klar: Hausarrest! Ich übersetze einen Film­ko­pro­duk­tions­ver­trag, der dringend fertig werden muss. Daher: Rückblende!

Dolmetscherkritzelei
Interviews dolmetschen ist Hirnmarathon. Immer genau sein, nichts vergessen beim Übertragen der Antworten, die Antworten gleichen den­jenigen, die schon gegeben worden sind, weil auch die Fragen einander nicht selten gleichen, das macht eine be­son­dere Auf­merk­sam­keit nötig. Wenn diese Einsätze Stunden dau­ern, freue ich mich über jeden, der Fran­­zö­­sisch spricht oder versteht. Meistens haben die PR-Agenten, unsere Schutzengel, diese kurzen "Pausen" wunderbar zwischen zu verdolmetschende Interviews gestreut.
Also darf ich meinen Geist manchmal wan­dern lassen, damit ich mich auch von den oft sehr schnell gesprochenen Worten er­holen kann.

Die graue Hirnsubstanz wird dieser Tage als Hochleistungsorgan besonders ge­for­dert. Deshalb entspanne ich gerne bewusst die beanspruchten Hirnregionen, u.a. das Broca-Areal. Das ma­che ich, indem ich andere Regionen anspreche. Und ich denke, dass sich eine Ab­len­kung auch auf andere Bereiche des Zentralorgans aus­wirkt wie die limbische Schleife, die das Gedächtnis, aber auch Gefühle steuert. Soduko wäre jetzt gut — oder auch nicht, denn mit einem Ohr muss ich immer dem Geschehen folgen. Seit Jahren fotografiere ich zur Entspannung.

Fit sein ist die halbe Miete auf der Berlinale, die auf die Zielgerade zusteuert. Jetzt zeigt zum Glück nur mein Fotoapparat Ermüdungserscheinungen. Aber Jobs fo­to­gra­fie­ren ist ohnehin delikat. In den letzten Jahren sind die Optiken der Ka­me­ras sehr viel lichtstärker geworden, und bei Filmaufnahmen fürs TV steht nur noch eine kleine Leuchte da. Anders als noch vor x Jahren, ist der Drehort nicht mehr in gleißendes Licht getaucht. Ich traue mich erst nicht, die Kamera aus der Tasche zu nehmen, denn der Autofocus sendet kurz ein Lichtlein aus, um den Abstand zu messen. Ist dieser auf Sprechende gerichtet, die dabei gefilmt werden, sehen die Zuschauer später möglicherweise eine kleine Veränderung im Bild.

Also knipse ich nur, während die Interviewgäste aufstehen, sich verabschieden und neue hinzukommen, wenn das Gerät mitmacht, wobei das Aufnehmen gerade nicht das große Problem ist, meistens hapert es am Überspielen. Ver­ab­schie­dungs- und Begrüßungsmomente gibt es oft an so einem Tag. Ein Interviewtermin für Print­leute dauert 20 Minuten, der "Slot" für die TV-Aufnahmen nur acht Minuten. Eine Aufnahmeleiterin sitzt mitten im Raum und sagt die Zeit an.

Das Broca-Areal ist das zentrale Sprachzentrum
Und so zeichne ich mal wie­der. Wie gut, dass ich den Lieb­lings­fül­ler dabei habe. Vor mir sitzt eine Journalistin mit schönen langen Haaren und Brille, um sie herum das Kamerateam, das die Pres­se­agen­tur an­ge­stellt hat. Am Ende erhalten die Presseleute ihre Daten ausgehändigt, nie­mand kommt mehr mit Team, das ist wie ein großer Was­ser­durch­lauf­er­hitzer.

Jalil Lespert ("Yves Saint-Laurent") nennt am Samstag diese Übung "Ma­schi­nen­ge­wehr­re­den": Man bemühe sich um ein normales Tempo, spreche aber alles andere als normal, einfach viel zu schnell. Ich sage nicht direkt "Ja", das verbietet die Höf­lich­keit, sondern etwas mit on essaie de courir derrière, "unsereiner bemüht sich, hinterherzurennen".

Ohne zwischenzeitiges gutes Durchlüften der grauen Masse wäre das nicht möglich. Einmal kündigt mir die Aufnahmeleiterin wieder einen fran­zö­sisch­spra­chi­gen Pres­se­ver­tre­ter an. Ich bleibe trotzdem auf meinem Platz sitzen, falls Nachfragen sind, schalte aber geistig auf Pause um und setze meine Zeichnung fort. Der Journalist stellt seine Frage auf Deutsch: "Was hat Sie an der Figur Yves Saint-Laurent ge­reizt?" Ich verstehe sie, klar, die Sprache kann ich einigermaßen, realisiere aber nicht gleich, dass ich jetzt entgegen der Ankündigung doch dran bin. Alle Augen sind auf mich gerichtet, der Regisseur schaut mir direkt auf den Block. Ich zucke zusammen und bitte um Entschuldigung, spule im Geiste zurück, dol­met­sche, alle lachen. Was hat ihn denn nun an der Figur Saint-Laurent gereizt? Jalil Lespert feixt, schaut von meinem Block auf und beginnt seine Antwort mit: Le rapport au dessin! (Die Beziehung zum Zeich­nen.)

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Illustrationen: C.E. und Wikicommons

Dienstag, 11. Februar 2014

Berlinalegeflüster: Surfen

Hallo! Hier lesen Sie Notizen aus dem Arbeitstagebuch einer Dolmetscherin. Gerade bin ich wieder im Umfeld der Berlinale unterwegs — und habe neuerdings noch Kapazitäten frei. Das Festival ändert sich rasant.

Komisches Gefühl, an einem Berlinalemorgen ohne meinen sonst für die zweite Berlinalehälfte so typischen "Generalbass" aufzuwachen und außer einer Ko­pro­duk­tions­ver­trags­über­setzung kein Programm zu haben.

Hintergrund: Ich bin im 14. Jahr als Dolmetscherin in den Berlinalekulissen tätig, da­von 12 Jahre lang auch auf der Ber­­li­na­­le­­büh­ne. Vor einem Jahr wurden die verbliebenen Filmgespräche abgeschafft, die noch in die deutsche Spra­che ver­dol­metscht wurden. Heute findet alles auf Englisch statt.

Seit diesem Jahr werden auch keine Filme mehr simultan eingesprochen, was ich auch jahrelang gemacht habe. Die Sprachen Französisch und Deutsch sind auf dem Festival zu Minderheitensprachen avanciert wie Hindi und Swahili.

Was steht also auf dem Programm? Ich surfe über das Festival. Meine Wege führen mich in konzentrischen Kreisen um den Filmmarkt herum, auf dem ich zwei Ge­sprä­che sprachlich begleiten darf, meine spontanen Auf-Zuruf-Termine, Dienst­leistungen für Produzenten, wobei ich hoffe, dass am Ende Übersetzungsaufträge von Dreh­büchern, Antragsdossiers o.ä. abfallen. In beiden Fallen geht es um Part­ner­suche in Deutschland. Geldgeber treffen sich mit Machern. Und die Kreativen ziehen es weiterhin vor, in ihrer Muttersprache zu sprechen, wenn es um die künst­lerischen Vorhaben geht und wenn es genau sein soll.

Also habe ich die Gelegenheit, mich von den Wellen um mich herum mittragen zu lassen. Ich werde in einen Filme gespült, von dem ich vorher aber auch rein gar nichts wusste. Das fühlt sich ein wenig so an wie eine Sneak Preview, der Film ist eine an­ge­neh­me Überraschung. Wie viele Filme es auf der Berlinale jedes Jahr gibt, weiß keiner so genau, da es zu den of­fi­ziel­len Reihen auf dem Markt sicher hun­der­te Vorführungen gibt und so mancher seinen Strei­fen in der Tasche, z.B. auf dem Klapprechner, mit sich führt. Die Zahl 600 schwirrt durch den Saal, da sind Markt (450) und die filmische Schmuggelware auf diversen Speichermedien noch gar nicht mitgezählt.

Selbst, wenn mich jetzt das Kinogängerfieber ereilen sollte, wäre es nicht möglich, alle Festivalhighlights zu sehen. Mehr als vier, fünf Filme am Tag habe ich auch nicht geschafft, als ich zum Beispiel 2005 und 2006 in Cannes oder in Belgien für die französischen Filmtage Tübingen Filme ausgewählt habe. Ja, ich habe auch eine Vergangenheit als Filmkuratorin hinter mir, nicht nur als Journalistin, und das hilft durchaus im Tagesgeschäft als Medien- und Filmdolmetscherin.

Nach dem Film bildete sich vor dem kleinen Vorführraum eine Traube um den eng­lisch­sprachigen Regisseur. Und da waren sie wieder, die altgedienten ost­eu­ro­pä­i­schen Journalisten, deren Englisch mehr als bruchstückhaft ist. Dafür können sie seitenweise Goethe und Heine rezitieren ... und ich dolmetschte ad hoc aus dem und sogar ins Englische. Was überraschend gut ging.

Gerne wäre ich dann mit zwei Belgiern noch zur Kinder- und Jugendfilmsektion ge­gangen, Generation Kplus und Generation 14plus. Die haben sich im Haus der Kul­tu­ren der Welt eingerichtet. Die "Schwangere Auster" ist der einzige Berlinale­ort, an dem (bei den Kinderfilmen) die deutsche Sprache und das Einsprechen of­fiziell fortbestehen. Dort ist sogar eine Kinderjury aktiv! Ich hoffe auf das Nach­spiel man­cher Filme in der nächsten Woche, in der für die Mitarbeiter etliche Streifen in geschlossenen Vorstellungen noch einmal gezeigt werden.

Ich surfe weiter. Mit einer spontan getroffenen Dolmetschkollegin besuche ich die Kantine des Musicaltheaters am Marlene-Dietrich-Platz, das die Berlinale im Feb­ru­ar immer zum Festivalpalast umfunktioniert. Dann trinken wir einen Tee im Hyatt gegenüber. Hier ist viel los, im 1. Stock laufen die Pressekonferenzen, sind die Journalistenschreibzimmer und der Ticketcounter, um uns herum sitzen Film­schaf­fen­de und -politiker aus der ganzen Welt, ruhen sich aus oder verhandeln eifrig.

Zwischendurch verleihe ich wie gesagt meine Stimme. Der Abend gehört wieder dem Kino! Und zwar live und im Festivalpalast. Der Dolmetscherkollege macht seine Sache gut, also weitaus besser, als das, was noch vor einigen Jahren auf der Bühne zu sehen war. Aber trotzdem juckt es mich, am liebsten würde ich coachen. Ich halte mich zurück und eile auf dem Nachhauseweg noch kurz auf einem Em­pfang vorbei. Aber nur kurz, wegen der Stimme. Zum Einschlafen höre ich dann auch Musik mit echtem Generalbass, schön chromatische Sachen von JSB.

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Foto: Jan Hendrik Blanke

Montag, 10. Februar 2014

Berlinalegeflüster: Extreme

Hallo beim digitalen Arbeitstagebuch von der Dolmetschfront. Dieser Tage bin ich viel auf der Berlinale unterwegs.
 
Fünfter Berlinaletag, Mü­dig­keits­er­schein­ungen stellen sich ein. Die Stimme hält sich gut, zumal ich gestern Nacht exakt in dem Moment von der Party geflohen bin, als mit einem neuen Gästeschub viele Rau­cher die Location an der Spree besuchten. Tabakqualm ist für mein Organ das pure Gift, wes­halb ich nur sehr wenig auf Parties gehe.

Leider ballen sich immer mehr Interviewtermine in den ersten Festivaltagen zu­sam­men. Das verlängerte Wochenende ist der begehrteste Moment des Festivals. Sogar Interviews zu Filmen, die offiziell erst zu Wochenanfang laufen, werden Sams­tag oder Sonntag anberaumt.

Viele Journalisten stöhnen, die freien Journalisten besonders. Sie müssen ihre Ak­kre­di­tierung selbst bezahlen und können sie gar nicht mehr so amortisieren, wie sie es gewöhnt waren. Die oft sehr knappe Interviewplanung ist nämlich nur ein Teil. Das Filmesichten ist der andere. Etliche Werke (außer jenen, die im Wett­be­werb laufen) können schon in den Wochen vor dem Festival in eigens anberaumten Pressevorführungen gesehen werden, andere auf DVD oder per Streamingzugang. Aber manche Filme kommen eben erst mit Beginn des Festivals aus der Mischung, bei brandheißer Ware gibt es nur das echte Screening. Außerdem reagieren die Me­dien­ver­tre­ter auch auf heiße Tipps von Kollegen, denn schließlich schafft es nur ein Teil der vielen hundert Filme, die auf der Berlinale läufen, am Ende ins Kino.

Uns Dolmetschern geht es ähnlich schwierig. Freitag bis Sonntag hätte ich mich dreiteilen müssen, so gut war die Auftragslage. Montag und Dienstag kommt noch ein wenig hinterher, dann ist für mich die Berlinale offiziell schon zu Ende, was auch durch zwei Absagen verschärft wird. Mancher Star entscheidet sich auch gegen eine Filmpromo-Reise, ein anderer wurde leider bei seinem letzten Ber­lin­be­such von konkurrierenden Dolmetschamateuren abgeschreckt und zieht es jetzt vor, die Interviews gleich auf Englisch zu geben.

Das war mal anders. Einst dauerte die Berlinale auch für mich zehn Tage. Und da ich früher sogar noch am vorletzten Tag bei Verdolmetschungen von Pub­li­kums­ge­sprä­chen (*) neue, jobrelevante Kontakte gemacht habe, werde ich mich weiterhin viel unters Volk mischen.

Vielleicht richtet sich das Festival jetzt nach dem Filmmarkt, der fast schon wie­der zuende ist. Ausländische Verleih- und Vertriebsmenschen, die ich treffe, zei­gen sich enttäuscht ob des bislang eher schwachen Angebots und trösten mich zugleich, das wolle nichts heißen, oft ent­decke man kurz vor der Abreise noch Perlen. Ich berichte detailliert über die Pub­li­kums­re­aktionen eines bestimmten Berlinalefilms, den ich gesehen habe, so­wie über Alter und (mutmaßliche) Her­kunft der Zuschauer, soweit ich mir nach der Veranstaltung einen Eindruck davon verschaffen konnte. Nach dem Film war ich als eine der ersten draußen gewesen und hatte mir dann das Publikum genauer betrachtet.

Diese Angewohnheit habe ich mir in den Jahren zugelegt, in denen ich für den Wettbewerb Filme simultan eingesprochen habe, eine Dolmetschart, die dieses Jahr abgeschafft wurde. Um die Einsamkeit in der Ka­bi­ne zu kompensieren, hatte ich beim Einlass immer das he­rein­strö­mende Publikum be­ob­ach­tet, "Menschen tanken" nannte ich das scherzhaft.

Dieser Blick auf die Menschen nach der Vorführung ist noch einmal besser, denn sie stehen ja unter dem Eindruck des Films, ihre Gesichter sprechen oft Bände. Meine Verleiher hat's gefreut. Ansonsten standen heute Produktionsthemen auf dem Pro­gramm, die deutsche und französische Filmhersteller und -vertriebler glei­cher­ma­ßen interessieren.

Auch hier entwickeln sich die Exteme: Es gibt in meinen beiden "Arbeitsländern" deutlich mehr Filme, die mit extrem wenig Geld entstehen, und Großproduktionen lassen sich re­gel­mä­ßig mit sehr großen Budgets herstellen. Parallel dazu wird von Jahr zu Jahr die wirt­schaft­li­che Situation der Filme mittlerer Größe, les films du milieu, immer prekärer. Hierzu ein Link­tipp zu einem Interview in französischer Sprache mit Patrick Sobelman, für den ich auch schon gearbeitet habe Economie du cinéma : « Certains films aujourd’hui sont invisibles » ("Filmwirtschaft: Manche Filme sind heute unsichtbar") auf Rue89.

Der Tag neigt sich langsam dem Ende zu. Ich eile weg vom Potsdamer Platz, hin zum Spielort der Küchenberlinale: Kitchen Films, so könnte auch eine Film­pro­duk­tions­fir­ma heißen. Die Zuschauerreaktionen werden mir bei diesem Film fehlen. Die eine Ber­li­na­le­ein­sam­keit hat die andere abgelöst. Später eile ich noch in den Festivalpalast, ich freue mich auf echtes Publikum. Den anschließenden Empfang muss ich auslassen. In der zwei­ten Festivalhälfte ist es besonders wichtig, mit der Energie zu haushalten.


(*) die heute ausschließlich ins Englische verdolmetscht oder direkt auf Englisch geführt werden
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Fotos: C.E.

Sonntag, 9. Februar 2014

Berlinalegeflüster: Reisen durch Zeit und Raum

Bon­jour oder bon­soir auf meinen Web­log­sei­ten aus dem In­ne­ren der Dol­met­scher­ka­bine. Der­zeit rockt das Film­festi­val die Hauptstadt, und wir Sprachmittler sind in den Kulissen dabei. Hier können Sie Einblicke in einen weniger bekannten Beruf erhalten.
 
Im Internet gibt es Webseiten, die Übersetzungen für 0,02 Dollarcent das Wort ver­ticken oder so, Liefertermin für große Volumina: Morgen früh um neun. Gerne wird hier auch in Rupien gezahlt, denn so solchen Sätzen können und wollen wir Eu­ro­pä­er nicht arbeiten.

Neuer Berlinale-Spielort: Meine Küche
So, wie Phileas Fogg bei sei­ner Reise Auf 80 Tagen um die Welt durch die Zeitzonen hindurch einen Kalendertag "gewann", stellen es sich wohl auch solche Kunden vor: Beim Reisen der Aufträge über den Globus wird alles spottbillig, im Gegenzug dazu dehnt sich die Zeit. Das können al­len­falls hungerkünstlernde Fa­ki­re, die auf dem Na­gel­kis­sen im Über­schall­flie­ger sitzen.

Leider fühlt sich das Berliner Filmfestival exakt genauso an, zum Glück zu deutlich besseren Honorarsätzen. Die Berlinale schläft nie. So zumindest der Eindruck, den sie vermittelt. Wir Sprachmittler werden daher zu allen möglichen und un­mög­li­chen Zeiten einbestellt. Donnerstag: Dolmetschen bis in die Nacht, der Schlaf kam am Freitag gegen 3.00 Uhr. Nach vier Stunden Schlaf wieder raus, in die Pres­se­vor­füh­rung eilen, dann Pressegespräche dolmetschen, der Einsatz endet zum Glück früh.

Teil zwei des Arbeitstages findet nach einem Spätmittagsschlaf statt. Ich warte Stun­den darauf, dass das Video der Pressekonferenz zu meinem Samstagsfilm hochgeladen wird, die am Nachmittag stattgefunden hat. Die beste Vorbereitung auf Einsätze ist, neben dem Film auch viel zu lesen und zu hören, was in dem Kon­text verlautbart wurde — und wie. Ich lese und höre mich auf Jalil Lespert ein, den Regisseur des Films über Yves Saint-Laurent.

Zwischendurch coache ich eine filmaffine Kollegin, die noch nicht so viele 1000 Stunden wie ich mit Film zugebracht hat und die parallel zu mir Ter­mi­ne übernimmt.
Zu einer sehr vertretbaren Uhr­zeit lande ich in der Koje; der Schlaf ist gnädig und stellt sich so­fort ein, auch wenn ich völ­lig neben meinem Rhythmus bin.

Eingeklemmt zwischen Neubauten: Haus Huth
Samstag sitze ich viertel vor neun wieder in der U-Bahn und überfliege nochmal das Ma­te­rial. Der Tag ist für In­ter­views reserviert, die An­span­nung schlaucht sehr (und macht schön müde). Abends finde ich einen Zu­gang zu den Berlinale-Film­streams in der Mail, denn dieses Jahr gibt es min­des­tens zwei neue Orte, an de­nen Festivalfilme laufen.

Neben dem Zoo-Palast, der im Anschluss an seine Restaurierung als Spielort (wie­der) zu den Berlinalekinos hinzugekommen ist, hat die Berlinale dieses Jahr noch eine neue Spielstätte gewinnen können, tataaa, proudly presents: meine Küche! Der Abend gehört diesem Film, ich darf sehen, einlesen, einhören, dann so früh ins Bett wie möglich. Die Mitbewohner meiner Berlinale-WG berichten mir immer beim Früh­stück, was auf dem Festival eigentlich los ist.

Die Macher von "Jack und das Kuckucksuhrherz"
Sonntag sitze ich viertel vor zehn wieder in der U-Bahn, was folgt ist bekannt, nur eben anderer Ort, andere Stars, andere Interviews. Wir sitzen einem Berlinale-Kon­fe­renz­raum, das ist deutlich nüchterner als die sonst so plüschigen Hotel­suiten. Dafür haben wir einen schönen Blick aufs Haus Huth, das ein­zige alte Gebäude an der Alten Potsdamer Straße.

Zum Spätnachmittagsnickerchen lege ich mich in einem sonst leeren Berlinalebüro unter einen Tisch. Am frühen Abend sehe ich meinen nächsten Film dann wieder im Kino. Als ich kurz vor Beginn ankomme und in das ausgebuchte Kino rein­ge­las­sen werde, motzt jemand aus dem Warteschlange für den Nacheinlass, der leider ausfallen wird. Die Abendspielleitung klärt auf: "Sie ist eine Mit­ar­bei­te­rin und muss den Film aus dienstlichen Gründen sehen." Im Saal stehe ich den Film über neben dem Schalterkasten und kann im Bedarf die Lautstärke korrigieren (was ich in den Jahren als Kinoleiterin gelernt habe). So hat auch die Feuerwehr nichts gegen "aus­verkauft + 1", falls sie denn vorbeischauen sollte.

Nach dem Film treffe ich Pro­du­zen­ten aus Paris zu Apéro und Restaurant. Später eile ich für ein Stündchen auf eine Par­ty. Es ist mein erste Berlinale­par­ty dieses Jahr. Dann schnell wieder in die Heia.

Denn anders als der Nagelfakir in der Überschallmaschine brau­che ich meinen Schlaf — in echten Stunden gemessen.

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Fotos: C.E.

Samstag, 8. Februar 2014

Berlinalegeflüster: Von Fähnchen und Schlafsäcken

Hallo auf den Blogseiten einer Fran­zö­sisch­dol­met­scherin aus Berlin. Den zweiten Berlinaletag habe ich im Kino begonnen. Außerdem muss in den Vorspann, dass ich aus einer Textildynastie abstamme, das Gen für gute Stoffe also im Körper trage.

Was er denn machen würde, wenn "der Russe" käme, wird Yves Saint-Laurent im gleichnamigen Film von Jalil Laspert gefragt. "Einfach weitermachen", sagt er da­rauf: "Kleider gestalten und Blaumänner und Kittel, ja, Kittel ... Kittel" — des blou­ses, des blouses — lässt Schauspieler und Regisseur Laspert seinen Haupt­dar­stel­ler Pierre Niney ebenso verträumt wie untergründig ironisch antworten.

Leider haben wir nie einen Kittel aus der Hand von YSL gesehen, dessen aus den Initialen gebautes Firmenlogo, das fiel mir erst im Film auf, durch leicht grotesk verlängerte Vertikalen von Y und L stark an das Dollarzeichen erinnert.

Was ich aber sofort sehe: Nach einem Film über den Modeschöpfer Yves Saint-Lau­rent sieht die Berlinale anders aus. Noch restverschlafen stolpere ich, es ist noch nicht einmal später Vormittag, über den Potsdamer Platz und diverse Aus­tragungs­or­te des einzigen deutschen A-Festivals. So staune ich über allerlei Mitmenschen, eingemummelt in engmaschige Winterware, dabei führt das Berlinwetter die zwei­ten Frühlingsprobe dieses Winters auf. (Später komme ich an einem Thermometer vorbei und sehe 14° C. wie an einem kühlen Sommertag.)

Und für einen kurzen Weg von der Pressevorführung zum Hotel, in dem die Pres­se­kon­fe­ren­zen stattfinden, sehe ich plötzlich die Passanten mit den Augen eines Mo­de­schöpfers. Mir fallen auf: Dunkle Farben (die mit der Schattierung der Au­gen­rin­ge konkurrieren, dabei ist das erst der 2. Berlinaletag), wieder mehr tintenblaue amerikanische Arbeiterhosen als andere Beinkleidvarianten, über langen Hosen Jerseykleidstoffe, die an die 70-er Jahre gemahnen, das heißt jetzt "Vintage", und zurückgekehrte (Second Hand?)-Pelzmäntel. Außerdem ein Kapuzenshirt unter dem Boss-Jackett, dazu passende unifarbene Stiefel, die entfernt an einen Cow­boy­stie­fel­schnitt gemahnen.

Das Kapuzenshirt scheint ein wichtiges Kleidungsstück der Zehnerjahremitte zu sein, das ideale Dauermöbel für die spätpubertierenden Kulturschaffenden, -kri­ti­ker und andere Festivalhipster. Es eignet sich hervorragend als mittlere Klei­dungs­schicht, denn an normalen Berlinalemorgenden scheinen alle in zunehmend ge­räu­mi­ge­re Roben nach dem Zwiebelprinzip gehüllt, besonders, wenn es feb­ru­ar­ty­pisch kalt ist und die Leute in Daunenschlafsäcken auf die Straße gehen. Das mit den schlafsackartigen Daunensteppmänteln ist zudem sehr praktisch für jene, die sich morgens zu einer langen Schlange an der Kinokasse in den Arkaden zu­sam­men­ge­fun­den haben; sie wirken ohnehin so, als hätten sie die Nacht vor Ort verbracht. (Das war mir schon vor dem Film aufgefallen, als ich zur Stunde des Hahnenschreis ins Kino eilte.)

Lasse ich meinen Blick über die Alte Potsdamer Straße schweifen, fallen mir auf je­den Fall zu viele bunte Schals und Mützen auf und zu wenig Eleganz, zu wenig schöne Formen, kaum interessantes, hochwertiges Material, von der Verarbeitung ganz zu schweigen. Der Darsteller des Pierre Bergé, Lebens- und Geschäftspartner des Modeschöpfers, sagt an einer Stelle des Films einmal: "Wir liefern keine Zeich­nungen, wir liefern Kleider. Die Qualität der Verarbeitung ist es, die zählt." Ja, so war das damals.

Ich erlebe ein déjà vu, denn den Effekt mit den schönen Kleidern und der un­in­spi­riert gewandeten Mitwelt habe ich am Potsdamer Platz schon einmal erlebt. Etwa 2002 durfte ich im Kino Arsenal David Teboul dolmetschen, der seinen Do­ku­men­tar­film "5, avenue Marceau" über Leben und Arbeit von YSL in Berlin vorstellte. Doch heute ist der Kontrast zwischen Tagespragmatik und der hohen Eleganz bei Berlinale-Abendveranstaltungen viel größer.

Die Autorin dieser Zeilen, geschminkt und im Perlenbustier
Neulich auf der Berlinale
Das liegt an der Jahreszeit. Berlinalewetter kann richtig grausam sein. Das gilt aber erst für die Neuzeit, also seit 1977, davor fand das Festival im Sommer statt, in den Festi­val­ka­len­der eingeklemmt zwischen Cannes und Ve­ne­dig.

Seitdem bedarf es vor allem für uns Damen ei­ni­ger logistischer Kapriolen, wenn wir die eine oder andere Soirée mit der ihr ge­büh­ren­den Eleganz verbringen möchten. Als da wä­ren: Skiunterwäsche unter dem luftigen Abend­kleid­chen (als YSL jung war, sagte man "Fähn­chen" dazu), Moonboots an der Gar­de­robe und immer genug Kleingeld in der Tasche für das Nachttaxi bei (gefühlten) bis zu minus 20 Grad.

Bei der Berlinale fand es es immer schwierig, an vielen Abenden zu Empfängen oder Parties zu gehen. Die Herren sind mit ihren (möglicherweise eben erst fer­tig­ge­wor­de­nen) Maßanzügen immer passend gekleidet, während von uns jeden Abend ein anderes Outfit erwartet wird. Weil ich schon in den 1990-er Jahren das Festival als Jour­nalistin besucht ha­be, hängt bei mir jetzt Abendmode aus knapp 20 Jahren im Schrank. The­o­re­tisch wäre das also kein Problem, ich könnte wieder von vorne anfangen.

Aber ich verhalte mich in Sachen Aufrüschung durchaus antizyklisch. Einstmals, als nur Damen wie Tilda Swinton, Meret Becker und ich uns aufstylten, die anderen aber in Jeans und dem kleinen Bruder des Kapuzenshirts, dem Schlabbberpulli, in die Filmpremieren latschten, hatte ich Zeit dafür und Lust daran, mich in Roben oder enge Perlenbustiers zu hüllen und zu Schühchen, Täschchen und Pu­der­dös­chen zu greifen. Heute, wo vor dem Festivalpalast normalerweise armfreie Roben bei Mi­nus­gra­den über den roten Teppich getragen werden, setze ich die Tarn­kap­pe auf. Was ich anziehe, muss praktisch sein, auch nach einem langen Arbeitstag noch elegant und bloß nicht zu sichtbar.

Der Grund dafür ist einfach benannt. Wir Sprachmittler treten oft einen Schritt hinter die Protagonisten zurück und neigen vestimentär zu der uns eigenen Ver­huscht­heit. (Als Anwohnerin des "Türkenmarktes" am Maybachufer kenne ich das sonst nur von den anatolischen Muttchen mit Kopftuch, die nicht selten alleine den Ein­kauf tragen dürfen.)

Unser aller Festivalchef, Mein-Freund-Dieter Kosslick, soll ja für die Festivaltage seine Rote-Schal-Kol­lektion zentral in einen Hotelkleiderschrank gehängt haben. Das wär's! Für die Berlinale im Herzen Berlins Quartier beziehen und sich, wie es einer Dame von Stand vor hundert Jahren noch gebührt hat, mehrmals täglich umziehen.

Oder das Gegenteil: Noch mehr Tarnung. Tilda Swinton erzählte neulich, sie kenne die Berlinale ja schon aus allen möglichen Perspektiven, sie müsse einmal als Putz­frau kommen und sehen, wie sich das anfühle. Klasse Idee. Dear Tilda, ich freu­e mich darauf. Aber bitte im Kittel aus der Hand eines talentierten Mode­schöpfers.

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Foto: privat

Freitag, 7. Februar 2014

Berlinalegeflüster: Reden und Rennen

Will­kom­men auf den Sei­ten des ersten Dol­met­scher­blogs aus dem In­ne­ren der Ka­bine. Hier schreibe ich über den Alltag von uns Sprachmittlern, derzeit berichte ich von der Berlinale.

Was macht die Dolmetscherin nach Feierabend, der ein früher Feiermorgen ist? Manchmal sogar noch die Bilder der Berlinale-Pressekonferenz ansehen. Dazu ein wenig den alles verdolmetschenden Kopf beruhigen. Ich lenke mich mit einer an­de­ren Arbeitssprache ab, in diesem Fall Englisch.

Pressekonferenz und press conferenz zum Film von Wes AndersonGestern ging das Festival mit der Eröffnungsgala und "The Grand Budapest Hotel" von Wes Anderson los. Der Film lief am Nachmittag in der Pres­se­vor­füh­rung, darauf folgte die Pressekonferenz, die dauerhaft online abrufbar ist. Der Trick: zwei Brow­ser­fen­ster aufgemachen, eins auf Englisch, eins auf Deutsch. Für das parallele Abspiel ist etwas Talent und Rumprobieren nötig, aber es geht. Anschließend habe ich noch die Lautstärke ein wenig geregelt und im Kopf mitgedolmetscht.

In den Stunden davor durfte ich in Charlottenburg ein Produzentenabendessen sprachlich be­glei­ten. Im Grunde haben wir schon mal die Filmfestivals von Berlin und Cannes nach 2017 besprochen. Viele Produzenten gehen bei Festivals über­haupt nicht mehr ins Kino, sie haben bis Anfang nächster Woche Termine, und das war's dann.

Zurück zur Berlinale-PK. Sehr gerührt war ich, als ich Tilda Swinton über die Berlinale sprechen hörte. Sie be­schrieb das Filmfestival als ihre Heimat, ein Ort der Film­bil­dung und einen Mo­ment, an dem man sich die Batterien wieder auflädt. So geht es mir auch. Die Arbeit strengt an, bringt aber auch Energie fürs Jahr.

So, in den ersten Stunden die­ses 2. Berlinaletags hieß es, Beine hoch und schnell run­ter­kom­men. Ich muss am Morgen früh raus, Film in einer Pres­se­vor­füh­rung sehen, dann Es­sens­ter­min auf dem Film­markt, dann dort noch ein Ko­pro­duk­tions­ge­spräch dol­met­schen. Abends dann zweite Film­sich­tung. Gerne feierte ich am Freitag­abend auf einer Party, aber das wird nichts. Samstag ist dol­metsch­tech­nisch ein Groß­auf­ge­bots­ta­g.


Auch das ist die Berlinale: Für jeden wahrgenommenen Termin verpasse ich drei mögliche. Auf die heutige Mit­glie­der­ver­samm­lung meines Verbandes werde ich leider wahrscheinlich nicht gehen können.


Vokabelnotiz 
PK — Pressekonferenz — la conférence de presse
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Bilder: Berlinale (Montage C.E.)

Donnerstag, 6. Februar 2014

Berlinalegeflüster: Adieu deutsche Sprache

Will­kom­men auf den Sei­ten ei­nes Blogs aus der Festi­val­ku­lis­se. Heute Abend wird in Berlin die Ber­linale er­öff­net. Die nächsten Tage berichte ich hier wie seit Jah­ren üblich aus den Kulissen. Es ist mein 14. Berlinale-Jahr als Sprachmittlerin.

In diesen 14 Jahren, also seit die Berlinale am Potsdamer Platz stattfindet, hat sich viel geändert. 2000 war das letzte Jahr von Moritz De Hadeln, dann hat Die­ter Kosslick als Leiter der Berlinale angefangen. Die Berlinale hat ihren Schwer­punkt Kinder- und Ju­gend­film verstärkt, die Reihe "Kulinarisches Kino" begründet und gefühlt jedes Jahr ei­nen neuen Spielort hinzubekommen. Dieses Jahr kehrt der Zoo Palast als Spiel­stät­te zurück. Das Studio Babelsberg hat noch nie so viele Filme im Wett­be­werb ge­habt wie 2014.

Außen an der Dolmetscherkabine steht (1) Deutsch, (2) Englisch
2011 war Deutsch noch die erste Sprache
Das sind schöne Erfolge für die Berlin-Brandenburger Film­­kul­­tur! Die Region liegt be­kannt­lich in Deutschland. Leider hat sich am Potsdamer Platz ein Trend entwickelt, der dazu führte, dass ich be­reits 2013 als eines der Ge­sich­ter der Ber­li­na­le Ab­schied nehmen musste: Pu­bli­kums­gespräche werden nicht mehr ins Deutsche ver­dol­metscht, sondern meistens direkt auf Englisch geführt.

(Das mit dem Gesicht ist kein Kokettieren, sondern wörtlich zu nehmen. Oft kam ich mit völlig unbekannten Berlinern bis in den Sommer über Filmthemen ins Gespräch. Oder es gibt so kuriose Momente wie den da: Ich helfe außerhalb des Festivals beim Kinoeinlass im Arsenal aus, denn einer der Mitarbeiterinnen war plötz­lich schlecht geworden, da schaut ein Gast irritiert aufs Ticket, als er mich sieht: "Wie, das ist doch jetzt aber kein französischer Film?")

Andere Sprachen sind ebenso von der Ausweitung des Englischen betroffen. Dieses Jahr fällt die Verdolmetschung von Wettbewerbsfilmen weg, hier wurde u.a. ins Französische und Spanische gearbeitet. Diese simultane Über­tra­gung der im Film gesprochenen Sprache war ein besonderes Angebot für Gäste, die mit den eng­li­schen (oder, im Wettbewerb, deutschen) Untertiteln nicht zurande kamen. "Filme einsprechen" bedeutet einen hohen Aufwand, es ist teuer. Im Rahmen von Ein­spa­rungen lässt sich das verstehen. Auf die Reaktion des Publikums bin ich ge­spannt. (Oder, um mit Lorenz Meyer zu fragen: Ob die Audience das supportet?)
Im Ernst, ich kenne Mitarbeiter internationaler Filmvertriebe aus Paris, die nur Urlaubs- und Filmverkaufsenglisch sprechen.


Einschub: In der Mathematik bedeutet die "Probe" auf Richtigkeit, Teile einer Rech­­nung kurz um­zudrehen. Ich drehe also um und überlege, wie es sich an­füh­len wür­de, wenn in Cannes plötzlich alle Filmgespräche ausschließlich auf Englisch geführt werden würden. Die Sache ist schlicht unvorstellbar. Einschubende.

Dass die deutsche Sprache auf der Berlinale auf dem Rückzug ist, war schon lange zu beobachten. Mir tut es leid um einige altgediente Filmkritiker aus Ost­deutsch­land oder Osteuropa. Mit ihnen verschwindet Filmgedächtnis. Ich denke stell­ver­tre­tend auch für andere an einen Polen, der in Leipzig studiert hat und dessen Englisch, naja. Her mit dem gnädigen Mantel des Schweigens! Der Gute musste jetzt mit Mitte 50 aufs Altenteil.

Leid tut es mir auch für die Redakteure von Katalogen kleinerer Festivals, sie ha­ben oft viel von den detaillierten Fachgesprächen, die wir einst führten, über­nom­men. Filmgespräche, die im Extrem­fall von al­len Be­tei­lig­ten in einer Fremdsprache geführt werden, drohen eher oberflächlich zu bleiben, sind weniger spon­tan, klin­gen oft zu bemüht und geübt. Ergebnis: Nach dem Film bleiben weniger Men­schen zum Ge­spräch im Saal, worauf das "Q&A" kürzer ge­tak­tet wird und weiter an Tiefe ver­liert. Ein we­sent­li­cher Bestandteil von Festivals ist Chance zur Begegnung. Das gilt gerade für die Berlinale, das einzige Publikumsfestival unter den A-Festivals. Schade.

Was noch ins Deutsche verdolmetscht wird, sind manche (nicht alle) Interviews mit Stars. Normalerweise gibt es bei den Interviews "Zeitfenster" für die deutsch­spra­chige und "Slots" für die englischsprachige Presse. Auch hier: Schrumpfung.

Verstärkt wird das Phänomen durch die abschreckende Wirkung unprofessioneller Arbeit. Im Sparwahn haben manche Institutionen in den letzten Jahren auch schon mal Nichtprofis dolmetschen lassen. Einer meiner langjährigen Dolmetschkunden aus dem Filmbereich war vor einigen Monaten in Berlin, als "Dolmetscher" wurde ihm von Leuten aus der Verwaltung ein solcher zugeschanzt. Das Desaster hörte ich dann, als ich später für eine Redaktion etliche nicht übersetzte Passagen aus dem "verdolmetschten" Interview rausschreiben und übertragen durfte. Da musste ich dann |miterleben| mit­er­lei­den, wie sich der Nichtprofi abmühte, nämlichen Star ins Deutsche zu übertragen, wie er sogar mal je ne peux pas traduire ça sagte, das kann ich nicht übersetzen, worauf sich der Star entschied, mit der Presse doch lieber in der Sprache Shakes­peares zu kommunizieren.

Ergebnis: Dieser Tage wird für Interviews dieses Promis gar kein Dol­met­scher für die deutsche Sprache mehr einbestellt. Ist das die Entscheidung des Stars, weil er Angst hat, eine Wiederholung zu erleben? Oder drängte etwa die PR-Agen­tur mit Blick aufs Budget? Ich werde es wohl nie erfahren. So hoffe ich mit dem mir an­ge­bo­ren­en Optimismus, dass der Star schlicht und ergreifend in letzter Zeit viel Englischunterricht genommen hat.

Außerdem werde ich weiter fürs Radio arbeiten. Hier als Nachtrag ein von mir verdolmetschtes Interview, das etwas mehr als ein Jahr alt ist. In den ersten zwei Minuten moderiert Knut Elstermann den Film an und stellt auch die Fragen. Danke, Knut! [Sound nur auf Nachfrage zugänglich.]

Wichtig hier: durch lebendiges Sprechen die Hörer vom Umschalten abzuhalten

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Illustrationen: C.E. und soundcloud