Dienstag, 29. Oktober 2013

Lacher

Bonjour ! Seit vie­len Jah­ren ar­bei­te ich als Dol­met­scherin und Über­setzerin. Es ist mein zwei­ter Be­ruf (zunächst war ich Journalistin). Hier kön­nen Sie meinen sprach­be­ton­ten Alltag mit­ver­fol­gen.

Derzeit sind wir regelmäßig in Brandenburg, wir begleiten eine Delegation aus Neu­ka­le­do­nien, für mich ist es schon der zweite Einsatz. Nach ei­ni­gen Ta­gen kennen sich alle so gut, dass wir Dolmetscher auch mal ein Scherzchen machen dür­fen. Nach einem Vormittag in Brandenburgs Lan­des­haupt­stadt sind wir am Nachmittag wieder in Berlin.

Brandenburg, hatte man uns als erstes im dortigen Ministerium erzählt, sei locker besiedelt, Ber­lin deutlich dichter. Ähnliche Raumerfahrungen machten wir in bei den Be­sprech­un­gen in Behörden. Am späteren Nachmittag wurde mir nach län­gerem Arbeiten et­was mau im Schädel. Wir befanden uns in einem etwas klei­neren Ver­samm­lungs­raum in Adlershof, mit dem Wort "kleiner" habe ich knapp un­ter­trie­ben, wir waren 30 in einem Seminarraum mit niedriger Decke. Ich saß mitten im Raum, wir hatten die Flüsterkoffer dabei, und träumte mich eine Sekunde lang in den großen Kon­fe­renz­saal des Potsdamer Ministeriums vom Vormittag zurück. Jetzt lag der Sauerstoffgrad sicher nahe an der Grenze der Nachweisbarkeit.

Das Hirn rödelte und suchte nach Vokabeln. Dabei jonglierten wir seit Ta­gen völlig entspannt mit den tollsten Fachtermini, da geraten die Grundlagen schon mal aus dem Blick­feld. Erst war es das Wort "Handwerker", das mir ums Ver­recken nicht ein­fal­len wollte, ich schnitzte den Satz zuende, bastelte etwas von "Werkstätten außerhalb der Industrie", die Kollegin sah es, und sprach mir das Wort lautlos vor. Wir lesen in solchen Fällen von den Lippen ab.

Ein anderes Mal war sie nicht in der Nähe. "Wertschätzender Umgang" war die Vo­ka­bel, die ich immer mit "von Respekt geprägtem Umgang" übersetzt hatte. Jetzt sprach der Redner aber folgende Reihung: "Respekt, wertschätzender Umgang und echtes Interesse für das Gegenüber ..."

In Potsdam
Jetzt laufen meine grauen Zellen wirklich heiß. Ja, da ist noch was, mit einem "E" geht's los, zwei Silben, ich höre wei­ter zu und in mich hinein, un­ter­bre­che mich in meinem Dol­met­scher­in­nen­re­de­fluss. Und su­che. Und warte. Aber kein ret­ten­des Wort will am Ho­ri­zont er­scheinen! Mein Um­feld war­tet auch. Ich denke, gleich hab' ich's, bin kurz davor.

Und ich spüre, wie es sich nähert, dabei höre ich weiter zu, speichere das Ge­sag­te. "Das ist jetzt Nominalstil, was der Redner da produziert", denke ich still für mich, und: "Wo bleibt nur das Verb?" In der Tat fehlt da noch was.

Jetzt schauen mich alle an, hinten fängt jemand an, sich zu räuspern, andere ha­ben fragende Blicke, ob mir etwas fehle. Und schwups, da kommt's: estime bzw. in der Redewendung empreint d'estime, und die ganzen anderen Satzbestandteile blitzen vor meinem geistigen Auge kurz auf. Ich hole tief Luft und fange an, ge­dul­dig alles abzuarbeiten, was sich aufgestaut hat. Eine Menge.

Der Redner schaut mich überrascht an. Und ich ergänze: "Da war es mal wieder, das Problem mit dem Verb im Deutschen, das immer am Ende hockt!" Alle lachen. Dann macht jemand das Fenster auf. Endlich Sauerstoff!

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Fotos: C.E.

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