Dienstag, 10. September 2013

trial and error

Bon­­jour, hel­­lo und sa­lut ... auf den Sei­­ten die­­ses Blogs. Hier schreibt eine Dol­­met­­scher­­in und Über­­setzer­in über ihren sprachbetonten Alltag.

Portrait CE mit großen LockenIn Berlin beim Frisör, der auf Französisch übrigens le coiffeur heißt: Mich frisiert Matthieu, der aus Nordfrankreich nach Berlin zugewandert ist. Sein Deutsch ist fast akzentfrei, er hat ein extrem gutes Gehör. Er schiebt es auch auf den frühen Beginn seines Deutschlernens. Der Fri­sör be­rich­tet, dass er sich mit elf Jahren auf einer Klassenreise in die deutsche Spra­che verliebt habe. Nach der Schu­le zog er sofort nach Deutschland, wollte hier wie ein Deutscher leben und fing eine Lehre an.

Sein Sprachenlernen erfolgte also völlig unakademisch im trial and error-Verfahren im Alltag und an der Frisörschule. Und um zu erfahren, was ein Wort wirklich be­deu­tet, hat er meistens einfach verwendet. Das ist bei vielen All­tags­be­grif­fen harm­los, zur Not bekommt man eben das Falsche über den Tisch gereicht.

Für Begriffe wie "eigentlich" oder "mittlerweile" gilt das nicht. Matthieu glaubte, einen Sinn zu erahnen ... und fing daraufhin alle möglichen und unmöglichen Sätze mit "eigentlich" an ... bis er merkte, dass der Satzanfang Erwartungen auslöste, die in ein "Aber?" als Nachfrage mündeten.

Mit dem Wort "mittlerweile" war es komplizierter. Matthieu hielt das Wort für eine Vokabel, die Aussagen verstärkt. Eines Tages saß er in seiner Berufsschulklasse, übrigens als einziger Mann unter lauter Frauen, es wurde erbittert diskutiert. Ob er nicht auch eine Meinung habe, wurde er gefragt. Hm, dazu könne er sich nicht äußern, denn mittlerweile sei er ja ein Mann. Großes Gelächter. "Und was bist du vorher gewesen?" Wieder ein Wort gelernt ...

Ein anderes Mal hat er einfach nur die Reihenfolge der Buchstaben nicht auf die Reihe bekommen. Er war beim Frisieren und hat fand eine entsprechende Ger­ät­schaft nicht, und es war kein Kamm. Also fragte er seine Lehrmeisterin: "Darf ich mir kurz mal ihre Brüste ausleihen?"

Das Ganze wie gesagt so fast akzentfrei, was die Komik noch erhöht.


Vokabelnotiz: Cheveux frisés sind von Natur aus lockige oder krause Haare.  
Friser quelqu'un — jemandem Locken drehen. Unsere "Frisör"-Ladenschilder lesen Franzosen also als "Lockendreher".
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Foto: privat (Archiv)

2 Kommentare:

Yasmin hat gesagt…

Liebe Caroline,

nachdem wir vor ein paar Wochen ja bereits einen netten "Brief"wechsel
hatten, traue ich mich einfach:

Die Situation Ihres Friseurs Matthieu erinnerte mich an eine, die ich in
Dublin erleben durfte. Ich war bei einer irischen Familie zu Gast, die
Tochter war meine Austauschpartnerin und wir verstanden uns prima, ihre
Mutter war allerdings sehr ... nun, wir würden es "etepetete" nennen.
Sie dürfen sich nun die Szene vorstellen, in der die Mutter im Wohnraum
den Esstisch deckte, meine Freundin gerade vom Rasenmähen zurück kam und
ich neben dem Vater auf dem Sofa am Lesen war. Ich las gerade einen
Satz, den ich nicht verstand, weil ausgerechnet der wichtigste Teil eine
Vokabel war, die ich nicht kannte - klang wie ein ekelhaftes Insekt,
also fragte ich unschuldig in den Raum: "What's a spunk?"
Mein Englisch ist ebenfalls akzentfrei, wenn auch regional nicht ganz
einordbar, und die Frage machte mich bei der Mutter alles andere als
beliebter...
(Es handelte sich um "The End of Mr. Y" von Scarlett Thomas, falls es
Sie interessiert.)

Ich wünsche Ihnen noch eine wunderschöne Restwoche,

Liebe Grüße

Yasmin

caro_berlin hat gesagt…

*LOL*

Vielen Dank für diese Anekdote.

Grüße, C