Mittwoch, 17. April 2013

Matschbii-e-ne

Will­kom­men auf den Sei­ten ei­ner blog­gen­den Kon­fe­renz­dol­metscher­in. Hier schreibe ich, was diesen Sprachberuf ausmacht ... und was er mit uns anstellt.

VerpackungsmüllsortierunganlageOkay, ich geb's zu: Wer solche Über­schriften schreibt, ar­beitet hart an der Kante. Die Vielfalt der Aufträge mag ich, eine gute Auftragslage auch, aber derzeit erinnere ich mich kaum noch an meine Hobbies.

Telefonat mit einer Beinahe-Kollegin, die im Studium früh ihr Kind bekommen hat.

Sie arbeitet heute festangestellt in der Verwaltung. Als ich ihr meinen Ritt durch die Themen andeute, seufzt sie tief und sagt: "Und bei mir ist jeden Tag das gleiche Programm angesagt." Ja, das kann ich verstehen, durch zwei Rahmen­ver­trags­kun­den habe auch ich repetitive Momente, Déjà-vus und Routinen, die vor allem Zeit kosten.

Lauter Hände verknotet miteinander, ein Knäuel von Menschen ...
Gerade kombiniere ich kraft­rau­ben­de Stress­rou­ti­ne mit anspruchsvollen, vor­be­rei­tungs­in­ten­si­ven Dol­metsch­ein­sätzen. Freizeit? Fehlanzeige. Aktuelles Kinoprogramm? Nicht im Blick. Die zu lesenden Bü­cher stapeln sich. Mit Freun­den telefoniere ich gerade nur.

Dabei hat der Tag doch 24 Stunden und die Nacht dazu ...

Ich muss mich kritisch selbst befragen: Habe ich zu viele Leider-leider-Kunden mit den berühmt niedrigen Sätzen "im Portfolio", wie das auf Neudeutsch heißt? Die machen immer dann Sinn und Spaß, wenn ich dazu beitragen darf, dass etwas bewegt, weitergegeben, gestaltet werden kann. Ist das nicht der Fall, bekomme ich meine Zweifel — und klinke mich über kurz oder lang aus.

Schluss mit dem Lamento-Anflug, weiter mit Parlando. Ab der 3. Aprilwoche habe ich noch einige Termine frei, am besten für anspruchs- und sinnvolle und gerne zugleich auch gut dotierte Jobs. Mitte Juni setzt es Schulferien, ich freue mich schon.

Alte (oder auf alt gemachte) Straßenuhr vor den noch nackten Zweigen eines BaumesBis dahin beruhigt mich, dass ich auch im Halbschlaf sicher dolmetschen kann. Au­to­ma­tis­men sind in unserem Beruf wichtig. Diese Wochen lege ich noch­mal eine neue Turbostufe ein und bin erleichtert, denn auf die Birne ist Verlass. Das Ge­fühl gibt Sicherheit. Und ich sehe, wie alles mit allem zu­sam­­men­­hängt.

Außerdem: Wer hat schon wie wir Dolmetscher die Möglichkeit, ständig Neues hinzuzulernen, mit den spannendsten Menschen ins Gespräch zu kommen und für unseren Wissensdurst an so ziemlich allem, was die Welt bewegt, bezahlt zu werden? Und wenn es die Liegebindung von Büchern, verschlungene Wege bei klandestinen Waffenexporten oder die Infrarotsortierungsmaschinen verschiedener Plastikarten sind.

Nachts schlafe ich tief und fest, morgens geht's frisch weiter. Das Wort "Matsch­bii-e-ne" ist bitte mit Ruhrpottakzent zu lesen.

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Fotos: C.E. & Team (Rechte geschützt)
Vokabelnotiz für fremdsprachige Leser:
Die Birne (ugs) — der Kopf

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