Dienstag, 5. Februar 2013

Früher Morgen

Willkommen et bienvenue beim Arbeitstagebuch einer Französischdolmetscherin und -übersetzerin aus dem Inneren der Dolmetscherkabine. Meine Arbeitssprachen sind Deutsch, Französisch und (passiv) Englisch. Ab der 2. Wochenhälfte arbeite ich für das Berliner Filmfestival, die Berlinale. 

Rechtzeitig angekommen, die Kollegin sucht noch nach einem Parkplatz. Sollte es plötz­lich früher losgehen, die Verdol­metschung wäre sichergestellt. Probesitzen, die Sessel sind zu tief. "Haben Sie noch Kissen?" Werden gebracht. "Haben Sie auch Wasser ohne Kohlensäure?" Wird gebracht. Dann die Anlage ausprobieren mit dem Techniker. Alles läuft gut.

Licht an, Licht aus. Im Raum rücken die Veranstalter auch noch Stühle zurecht. Der Beamer streikt. Ich erstmal aufs Klo. Dann in der Lobby: Eine Hostess schleppt Redner fünf (für nach der Mittagspause) an, er hält triumphierend einen USB-Stic in die Luft.

Auf dem Speichermedium befindet sich die schon für vorgestern angekündigte Rede, sie "... ist erst jetzt fertiggeworden, hier Manuskript und PowerPoint­Präsentation!"
Natürlich freue ich mich, aber jetzt am Morgen ist es doch reichlich knapp. Naja, meine Kaffeepause ist gestrichen und ein Teil der Mittagspause auch. Ich versuche, dem nächsten Drama vorzubauen: Vorsichtig erlaube ich mir, den Redner vor raschem Ablesen zu warnen, denn das wird meist schneller als normale Sprech­geschwindigkeit und beim Schnellsprechen haben Dolmetscher Mühen mit­zu­kom­men. Der Redner scheint das zu wissen. Durchatmen. Nochmal raus ans Licht.

Die Kollegin kommt an, während der Techniker vor der Tür steht und raucht, ich daneben. Wir lassen sie sich einrichten. Sie kommt zurück und sagt was zu den Kissen. Ich erwähne Rede fünf. Sie fragt acht Vokabeln nach. Zum Glück habe ich einen kleinen Ordner mit gesammelten Lexiken mit draußen. Das meiste weiß ich, die anderen Vokabeln schlage ich nach, mehr als zehn Jahre Sammeln in dem Feld zahlen sich aus.

Die Veranstalterin kommt raus, raucht auch noch eine. Das Protokoll hat angerufen, der Minister kommt später, irgendein Problem mit der Maschine. Wir fangen nicht pünktlich an. Für Anfang Februar ist es ziemlich mild. Um die Zeit vor einem Jahr konnten wir nicht draußen stehen ...

Letzte Änderungen auf der Rednerliste. Namen buchstabieren lassen. Ich über­fliege nochmal einen Zeitungsartikel, der inhaltlich zur Eröffnungsrede passt. Das Kind der Kollegin ist erkältet, sie hofft, dass sie es nicht früher aus dem Kinder­garten abholen muss. Wir gehen rein. Gleicht geht's los. Ich schlacker mir kurz die Gelenke aus, lockere auch meinen leicht verkrampften Unterkiefer, bin noch nicht wach.

Beim Weg in die Kabine klingelt das Handy. Die "exklusive Vermittlungsagentur für Dolmetscher für die Berlinale" sucht der Anrufer. Da kann ich nicht weiterhelfen, die gibt es nicht, und wer das Gegenteil behauptet, weiß das auch. Es gibt ein Besetzungsbüro für die Vorführungen von Wettbewerb und Panorama sowie einige Sondervorführungen, die das Kernprogramm der Berlinale ausmachen, eine Firma, die damit seit über 60 Jahren beauftragt wird. Alle anderen Kolleginnen und Kollegen werden von den Sektionen oder den Filmverleihern selbst engagiert, hier handelt es sich um einen freien Markt.

Dann sitzen wir in der Kabine. Und während die Kollegin Grußworte und eine erste Einleitung dolmetscht, schreibe ich einen Kostenvoranschlag. Vor der Kaffeepause ist die Zusage da. Wie schön. Jetzt muss nur doch der Nachzügler langsam lesen oder vielleicht doch frei vortragen, was mein Wunsch wäre.

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Foto: C.E.

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