Samstag, 30. Juni 2012

MT vs. HT

Bienvenue beim Weblog aus der Dolmetscherkabine für die französische Sprache! Oft schreibe ich meine Einträge aber auch am Übersetzerschreibtisch. Hier denke ich über unseren Berufsalltag nach. Natürlich beobachtet unsereiner mit Argusaugen auch die Konkurrenz, die uns möglicherweise (doch nicht) erwächst.

Nein, heute lasse ich mich weder über Dolmetscher- noch über Wirtschaftskürzel aus, auch wenn H.T. auf Französisch hors taxes heißt, vor Steuern, und das HT ist auch kein verstümmeltes lait UHT, auf Deutsch H-Milch (ultra-haute température).

Machine Translation versus Human Translation hat vor einigen Tagen den Sprachblog von The Economist beschäftigt, mein Link der Woche: Klick.


Um die Lektüre zu vereinfachen ;-) bringe ich als besonderen Service anschließend noch die mit |Babelfish| Microsoft Translator übersetzten Kernsätze des Artikels.
"Noch ist die Qualität der maschinellen Übersetzung am besten noch uneben. (...)  Maschinelle Übersetzungssoftware kann so weit fortgeschritten werden, zweite-Sprachenlernen unbrauchbar machen. (...) Repräsentativere Texte zu finden, ohne dabei die Nackenhaare der copyright-Vollstrecker könnte ein Stein des Anstoßes. (...) Das tut, natürlich Menschen aus Erlernen der Sprache in erster Linie entmutigen. (...) Gesprochener Sprache ist heute zu schnell und fragmentiert für maschinelle Übersetzung. Einfaches Diktiersoftware muss sorgfältig ausgebildet, den zusätzlichen Schritt der Übersetzung macht nichts. Gewöhnliches Gespräch ist voll von Fehlstarts und Störungen, die Lautsprecher und Hörer kaum zu bemerken, aber die Computer sind verblüfft durch. Und natürlich Ton der Stimme, kulturelle Referenzen, Ausdrucksweise und Humor multiplizieren die Herausforderungen. Die fotorealistische-Babel Fish ist irgendwie Weg." 
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Illustration: The Economist

Freitag, 29. Juni 2012

Weg- und Hinhören

Hallo! Sie haben ein digitales Logbuch aus der Welt der Sprachen angesteuert. Hier schreibe ich über meinen Berufsalltag als Dolmetscherin und Übersetzerin für die französische Sprache ... und wie er das Privatleben beeinflusst.

Schwarz-Rot-Gold als Hasenohren, Schal, Guirlande ... und als Grundfarben der S-Bahn
Die Berliner S-Bahn in den Farben der deutschen Flagge
Hinhören ist eine Kunst, gezieltes Weghören auch. Gestern am frühen Abend war ich zu Vortrag und Empfang in der Nähe des Brandenburger Tors eingeladen.

Und Brandenburger Tor ist gleich das Stichwort: Hier liegt die "Fanmeile", parallel mit mir treffen ersten Zuschauer ein.

An Tagen wie dem EM-Halbfinalspiel (und an Sylvester) nehme ich ungern die Öffentlichen, weil es immer wieder Idioten gibt, die auch in geschlossenen Räumen, im Zug oder auf dem Bahnsteig, mit Knallfröschen um sich schmeißen. Also trage ich Ohropax.

Andere Mitreisende "schmücken" sich anders. Übrigens, vor der WM 2006 wäre solch ostentatives Tragen der deutschen Nationalfarben außerhalb des Stadions kaum denkbar gewesen, vor allem nicht die vielen Wimpel und Flaggen an Autos und Wohnungsfenstern.

Wenig später habe ich die Ohren gespitzt. Die Veranstaltung, Verleihung der deutsch-französischen Journalistenpreise (vor zwei Jahren zählte das Team von Radio France zusammen mit meiner Wenigkeit zu den Preisträgern), war gefolgt von Diskussion und Empfang in den Ministergärten.

Alfred Grosser im ARD-Hauptstadtstudio
Preisträger des deutsch-französischen
Medienpreises 2012
Ich war froh, meinen früheren Professor Alfred Grosser wiederzusehen, der wie immer spitz formuliert und auch unangenehme Wahrheiten gelassen ausspricht. Und dann noch so viele andere, mit denen ich mich vor der Sommerpause gerne noch unterhalten hätte ... aber die Zeit verfliegt.

Nach einem kurzen Akquise- und einem langen Kollegengespräch stoßen wir im Garten der Saarländischen Landesvertretung noch auf den Geburtstag einer guten Bekannten an.

Solche Augenblicke kompensieren die oft entbehrungsreiche Arbeit in der Isolation von Kabine und Übersetzerschreibtisch.

Für den Rückweg nestele ich mir die Ohrenstöpsel wieder rein. Sicher ist sicher.

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Fotos: C.E.

Donnerstag, 28. Juni 2012

15 Tage

Bienvenue auf der Seite einer Spracharbeiterin. Ich biete an: Dolmetschen und Übersetzen und da ich im Nebenberuf Autorin bin, auch Rewriting und Moderation. Französisch ist meine zweite Arbeitssprache, Englisch meine "passive" Sprache. Hier erhalten Sie Einblicke in unseren Alltag, in dem ich für die Bereiche Kultur, Politik, Wirtschaft und Soziales tätig werde.

Heute kann ich nur kurz schreiben, denn ... siehe unten. Daher nur rasch einen Hinweis auf ein Artikel über unseren Beruf bei ZEIT ONLINE, in dem einiges richtig beschrieben wurde, aber dass die Worte "Dolmetscher" und Übersetzer" nicht als Synonyme zu gebrauchen sind, das hat sich leider auch bis zur "Zeit" noch nicht rumgesprochen.

Bevor es nächste Woche für 14 Tage auf Aktivurlaub geht — wir haben Dank früheren Kontakten, die wir über einen Wohnungstauschdienst haben, in Südfrankreich ein zweites Zuhause auf Zeit —, jagt ein Termin den nächsten, das strengt ganz schön an. Da schleichen sich schon mal kleine Ungenauigkeiten ein ... oder wir werden übergenau. So durfte ich Dienstag grinsen, als Anna, gebürtige Französin und seit zehn Jahren in Berlin, die deutschen "14 Tage" auf Französisch als deux semaines übersetzte, klar, "zwei Wochen" stimmen auch, idiomatischer wäre aber das typisch französische 15 jours gewesen, "15 Tage". (Und "in acht Tagen" bleibt dans huit jours oder wird zu aujourd'hui en huit).


Réunion en cours à la salle de conférence — im Konferenzraum findet eine Sitzung statt

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Foto: C.E.

Mittwoch, 27. Juni 2012

Agenturitis

Hello, guten Tag, bon­jour ... beim Dol­met­scher­blog aus Berlin, dem ersten vir­tu­el­len Ar­beits­ta­ge­buch Deutschlands über Dolmetschen und Übersetzen aus dem Inneren der Kabine (bzw. vom Übersetzerschreibtisch). Hier denke ich über un­se­ren Berufsalltag und seine Veränderungen nach.

Derzeit grassiert eine üble Krankheit in der Welt der Spracharbeiterinnen und Spracharbeiter. Irgendwo muss ein Existenzgründungsberater auf die Idee mit dem Vermitteln von Dolmetschern oder Übersetzern gekommen sein. Er oder sie, viel­leicht Angestellte(r) einer Investitionsbank, sah die für ihn oder sie ver­gleichs­wei­se hohen Stundensätze von unsereinem, dachte sich kurz: "Da ist noch Luft drin!" ... und empfiehlt seither hungrigen, aggressiven Computernerds "in Sprache zu machen".

Wir lieben Dolmetscher! Globish Language Superagentur! Billliger! Besser! Blubb! (auf Landkarte)
So ähnlich wirbt die "Konkurrenz"
Und das soll dann so gehen: Schickes Design auswählen, Fotos schöner Menschen ir­gend­welchen Fotoagenturen abkaufen (wahlweise hübsch gestaffelt alle Hautfarben dieser Welt), Text von der Konkurrenz abkupfern, än­dern und durch eine eigene Idee aufpeppen, die vielleicht ganz originell ist, Vi­si­ten­kar­te, Flyer usw. gestalten und an den Drucker weiterleiten.

Und wenn Büroausstattung und Webseite fertig sind, hier noch kleine Trick­film­chen, da noch gezeichnete Figuren in Auftrag geben, alsdann oder zuvor Grün­dungs­zu­schuss und/oder Venture Capital |einloben| abgreifen (eine Firma habe neulich sogar 100 T€ von privaten Anlegern übers Internet eingesammelt, wie sie online stolz berichtet), bei Mister Google Werbung einkaufen ... fertig!

Denn alle diese Leute, die Berater, Nerds, Zuschussgeber und Investoren, scheinen offenbar der Meinung zu sein, dass wir Spracharbeiter zu viel verdienen würden. Von diesen stattlichen Honoraren ließen sich ihrer Meinung nach gut und gerne mal eben 35, 50 oder sogar 60 % abzwacken, und wenn nur ausreichend viele dieser "Agenturen" den Markt dominieren, auch wenn es am Anfang vielleicht schwierig sein könnte, gute Leute zu finden, mit der Zeit werden die renitenten Freiberufler und Einzelkämpfer schon einknicken. Dann noch schnell ein paar fiese (im Zwei­fels­fall illegale Exklusivitätsklauseln) in den Vertrag gepinselt und ab geht die Luzie.

Einschub, Stichwort "Honorarhöhe": Unsereiner hat nicht unter vier Jahre studiert, gerne eher sechs oder sieben (wegen der nötigen langen Auslandsaufenthalte, Zweitstudien vor Ort), auch sonst viel Zeit in diversen Ländern zugebracht, hat oft nur einen oder zwei, in seltenen Fällen drei Honorartage die Woche und dies ca. auf der Basis von neun Monaten im Jahr, unsereiner versichert, ver­steu­ert, ver­wal­tet selbst ... und ist verglichen mit Anwälten, die einen ähnlich langen, un­pro­duk­ti­ven Vorlauf und verglichen mit den (sichtbaren) Gerichtsterminen ähnlich viele Recherche-/Lese-/Schreibzeiten haben, spottbillig.
Sorry für den langen Satz. Einschubende.

Wenn die also eben erwähnten "Existenzgründer" |Pech haben| nicht ganz so helle in der Birne sind und den digitalen Übersetzungsmaschinen des weltweiten Netzes mehr Vertrauen schenken als uns Dolmetschern, wo sie uns als Quell baldigen Reich­­tums doch lieben, liest sich ihre Webseite dann so: "Wir haben auch aka­de­mi­sche Forscher, Fachmänner und Lautsprecher, die alle Muttersprachler von mehr als 50 Sprachen sind." (Zur Strafe gibt's dann vielleicht weniger venture capital.)

Wenn aber wir Sprachmenschen Pech haben, lesen sich manche "Agentur"web­sei­ten aber richtig klasse, was dann leider oft prompt allerlei Medien finden, die über neue start ups berichten, deren Logos anschließend als |Kunden| Multiplikatoren am Rand der Webseite prangen. (Wer passt schon so genau auf, worin der Un­ter­schied besteht ...)

Die Fixkosten sind vor allem im ersten beschriebenen Fall gering. Es gibt aber auch Großagenturen, die so auftreten, als würden sie weltweit operieren, vielleicht tun sie das sogar, die haben in jeder größeren Stadt eine Adresse, die was hermacht ... und bieten nebenbei noch Dienstleistungen wie Marketing, Sprachunterricht oder Handelskontakte an. Diese Großagenturen werden in der Regel nicht von er­fah­renen Konferenzdolmetschern, sondern von Unternehmern geführt ... oder von Leuten, die zuvor irgendwie auch mit Sprache zu tun hatten: vom Exportchef oder der früheren Fremdsprachenkorrespondentin über den einstigen Call center-Agent bis hin zur Altenpflegerin sind das Leute, die "etwas mit Menschen" gemacht haben und denen rund um die Uhr, modern "24h, 7/7", nicht fremd ist. Das steht dann gerne auf der Webseite mit drauf, direkt neben "alle Sprachen".

Und wo sich der oder die Gründer oder Sprachunternehmer ohnehin nicht mit an­stren­gen­den, zeitraubenden Spracharbeiten das Konzept verhageln lassen, haben sie viel Zeit für klassisches Marketing oder Ehrenamt im Problemkiez oder die Teil­nah­me an Benefizgalas wie ein Kölner Unternehmer (oder ist es eine Dame?), der Dolmetschen und Übersetzen sogar schon als Marke anbietet, per "Franchising" exportiert, man ist ja ein World-Unternehmen. Naja, und etliche Medienvertreter springen wieder nach dem Stöckchen.

Wie sich das für uns auswirkt? Fies. Neulich erhielt ich von einer Agentur eine Anfrage, Termin und Inhalt kannte ich gut, es war der turnusmäßige Termin eines unserer Stammkunden, das ging aus der anonymisierten Beschreibung einwandfrei hervor, wir kennen uns seit Jahren. (Neuer Chef im mittleren Management, er ist am Gewinn beteiligt.) Tja, und die Mitarbeiterin der Agentur hat mir 50 % dessen angeboten, was ich letztes Jahr meinem Kunden in Rechnung stellen durfte. Der "Vertrag", den ich mir aus Gründen der Neugierde vorab zuschicken ließ, be­in­hal­te­te die Klausel, dass ich nicht mehr für den Auftraggeber als Di­rekt­kun­den würde arbeiten dürfen, allerdings ohne Zieldatum, also gleich für immer und ewig. Auf der Webseite der "Agentur" wurde damals mit Preisnachlass für Erstkunden ge­wor­ben. Ich stampfte die Anfrage in den Papierkorb.

Zweiter Exkurs. Vor einigen Jahren haben wir mal bei so einer Großagentur "ja" gesagt, es war ein Sommerlochjob zu einem Thema, das zu unseren Fachgebieten gehört, also mit minimalem Vorbereitungsaufwand machbar. Nach der Mit­tags­pau­se saß in der Spanischkabine eine Berufsanfängerin und kämpfte schwer mit den Tränen. Sie habe bei der Buchung doch gesagt, dass ihr aktives Deutsch noch nicht so gut sei und dass sie nur ins Spanische dol­met­schen wolle. Jetzt sei ihr zweiter Kollege, der wie sie nur für einen halben Tag gebucht war und ins Deutsche dol­met­schen sollte, einfach nicht erschienen: "Der hat wohl kurzfristig einen besser dotierten Job gefunden!" Bei Übersetzungen ist das zum Teil noch krasser mit Mo­ti­va­tion und Preisverfall und nur deshalb möglich, weil diejenigen, die den Job am Ende machen, wie Call Center möglicherweise in Fernost sitzen. Viele Be­die­nungs­an­lei­tun­gen lesen sich ja so.

Uhren auf einem von hinten erleuchteten Glasmosaik, das die Kontinente darstellt. Ein weiblicher Schattenriss eilt aus dem Bild.
Schauspielernagenturen, die mehr als 20 % des Honorars für ihre
Dienste nehmen, gelten als unseriös
. Normal sind 10-15 %
Kurz: Da wird von mancher "Agentur" mal eben hurtig zusammengebucht, was verfügbar erscheint, und niemand kennt niemanden persönlich ... auch nicht die Stärken und Grenzen derjenigen, die den Job am Ende machen sollen. Was nicht heißen soll, dass alle Agenturen so arbeiten, be­wah­re! Es gibt bestimmt irgendwo gute Agenturen, sicher, ja, klar doch, hab ich schon mal gehört.

Also, Rücksprung zum Kernthema, jetzt werden wir praktisch. Wenn Sie si­cher­ge­hen wollen, von Leuten beraten zu werden, die sich auskennen und die Sprach­mittler nur deshalb weiterempfehlen, weil sie ihre Arbeit als Kollegen aus ei­gen­er |Anschauung| Anhörung kennen und die zudem kollegial mit den Honoraren um­ge­hen, weil er oder sie selbst als Dolmetscher/in in der Kabine sitzen, dann be­auf­tra­gen Sie doch einfach jemand, der einem Dolmetschernetzwerk angehört. Auch, wenn diese locker verbandelten Einzelkämpfer ohne Renommieradresse und großes Sekretariat nur zu Bürozeiten leicht erreichbar sind (oder sonst vielleicht mit Kindergeplapper im Hintergrund) und nachts ihren Schlaf brauchen ... eben weil sie Spracharbeiter sind.

Mit der Agenturitis ist es hoffentlich wie mit anderen ansteckenden Krankheiten: Sie grassiert eine Zeitlang, dann ist mal zwischendurch das System K.O. und dann stellt sich in aller Regel wieder Gesundheit ein ... mit Antikörpern gegen besagte Erreger.

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Foto und Montage: C.E.

Dienstag, 26. Juni 2012

ganz schön frech

Hallo auf den Blogseiten einer Sprachmittlerin. Ich arbeite mit der französischen, englischen und deutschen Sprache, übersetze (ins Deutsche), dolmetsche (DE ⇆ FR und aus dem Englischen), lektoriere und transkribiere auch schon mal für anspruchsvolle Kunden mit rechercheintensiven Konferenzthemen. Und ich höre nicht auf, mich zu wundern.
 
Neulich bekam ich ein Lektorat zurück mit der frechen Bemerkung, mir sei da wohl mindestens an einer Stelle ein Fehler unterlaufen.

Irren ist menschlich, aber als ich die Stelle sah, konnte ich es kaum glauben, als ich darüber hinaus auch noch belehrt wurde, dass eine bekannte Suchmaschine die eigenwillige Schreibung des Kunden für gut befunden habe.


Gestern fiel mir beim Einkaufen ein Rezepthinweis auf. Da war sie wieder, die freche Creme.

Den Lektoratskunden konnte ich überzeugen à la Wer-ist-hier-die-Frankreich-Fachfrau und Sie-werden-doch-Mister-Noodle-nicht-alles-glauben?
Im Laden hab ich dann nichts mehr gesagt.


Link: Crème fraîche bei Wikipedia (denn auch das Meinten-Sie-Angebot der Suchmaschine, hm, nun ja ...)
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 Illustrationen: C.E. und die bekannte Suchmaschine

Samstag, 23. Juni 2012

Eike Schönfeld

Willkommen beim digitalen Arbeitstagebuch  einer Dolmetscherin und Übersetzerin mit Wohnort Berlin. Sie interessieren sich für Dolmetschen und Übersetzen? Dann sind Sie hier richtig. Als Dolmetscher arbeiten wir mündlich, als Übersetzer schriftlich, oft für Wirtschaft, Politik, Literatur und Kino. Dafür ist viel Geduld nötig. Noch geduldiger müssen Literaturübersetzer sein.

Der Wiener "Falter" hat den Übersetzer von Jonathan Franzen interviewt.
Hier geht's zum lesenswerten Gespräch mit Eike Schönfeld, der sich selbst einen
„Komplizen des Autors“ nennt.

Der Hamburger gehört zu den sehr produktiven Kollegen, die ihre Arbeit literarischen Übersetzungen widmen, allein vier Bücher kamen binnen Jahresfrist in seiner Mitwirkung auf den deutschen Markt. Im Gespräch berichtet er von seinen langen Arbeitstagen, "von neun in der Früh bis sechs, sieben, acht Uhr am Abend (...) – natürlich mit Unterbrechungen", und darüber, wie er am Ende abschaltet, er löse nämlich "ein, zwei schwierige Sudokus – irgendwas, was den Wörterwust aus dem Kopf treibt."

Bei Büchern, die hohe Verkaufszahlen erwarten lassen, arbeiten literarische Übersetzer inzwischen fast schon unter den Bedingungen die wir so kennen. Schönfeld spricht in diesem Zusammenhang davon, dass er fast Akkordarbeit leiste. Die Verlage gingen nämlich davon aus, dass ihnen bei späterem Erscheinen zwischen einem Viertel und einem Drittel der Auflage wegbrechen würde.

Auch über die heikle Frage der Honorierung spricht der literarische Übersetzer im "Falter". Die Entlohnung der Arbeit sei genreabhängig, für englische Belletristik erhalte er 18 bis 22 Euro pro Normseite, für Krimis deutlich weniger. Die Beteiligung an den Verkaufserlösen läge ab 5.000 verkauften Exemplaren bei einem, zwischen 10.000 und 15.000 bei einem halben bzw. einem Dreiviertel Pro­zent.

Damit habe sich die prozentuale Beteiligung verschlechtert. Schönfeld nennt das Beispiel seines früheren Bestsellers, den er übersetzt hatte, Jonathan Franzens „Freiheit“. Hier habe er ab dem 50.000sten Exemplars die Hälfte, bei 100.000 eine weitere Hälfte des Ersthonorars bekommen, damals unterm Strich also das doppelte Honorar.

Manche übersetzte Bücher erreichten auch die Verkaufstische der Buchhandlungen nur, weil es sich um "Prestige-Unterfangen" handele. Stipendien erleichterten mitunter die Arbeit, oft sei dieser Beruf aber "mit Verzicht verbunden (...) Man subventioniert sich sozusagen selbst".

Das höchst lesenswerte Gespräch streift außerdem die Themen Sprachwitze, Fehler im Text, parallel übersetzte Bücher und das Heinrich Böll'sche „If in doubt, cut it out“.

Zum Schluss noch ein Satz des fragenden Falter-Mitarbeiters Klaus Nüchtern, der mir besonders gut gefallen hat: "Schlechte Übersetzungen erkennt man da­r­an, dass sich die Konturen der englischen Syntax durchdrücken wie die Rippen eines Magermodels bei der Sommerkollektion."


Wir lesen uns hier erst Dienstag wieder ... langes Wochenende! 
Das Sonntagsbild fällt aus.
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Link: hier

Donnerstag, 21. Juni 2012

Urlaub: Erste Julihälfte

Hallo! Sie haben ein digitales Logbuch aus der Welt der Sprachen angesteuert. Hier schreibe ich über meinen Berufsalltag als Dolmetscherin und Übersetzerin für die französische Sprache. Heute geht's um die unmittelbare "Zukunftsplanung".

Derzeit fällt mir oft Bloch ein mit seiner "Synchronizität des Ungleichzeitigen" ...
Auf ganz banaler Ebene haben wir das derzeit im Büro, schließen einen (nicht aktuellen) Textjob ab, den wir, wenn nicht technisch alles aus dem Ruder gelaufen wäre, im Mai beendet hätten, da war spezielle Software nötig, ich werde berichten ... und zeitgleich durften wir bereits die ersten Buchungen für den September bestätigen.

Ein Blumenstrauß mit Rosen wird gebunden In Frankreich haben die schriftlichen Abiprüfungen gerade erst angefangen, in Berlin flattern schon die Anfragen nach Übersetzungen der fertigen Abizeugnisse rein. (Machen wir derzeit nicht, bitte weitersuchen ... und zwar deshalb: Stempel.)
Seit gestern schüttet es in Berlin, seit gestern sind große Ferien. Na klasse!

So, das waren jetzt drei Beispiele für Bloch im Berliner Sprachmittleralltag.

Nun die Urlaubszeiten:
1.-15.7.2012, Wohnungstausch mit Marseille, dabei will ich auch ein bisschen dolmetschen gehen, und zwar dort: Filmpädagogisches Seminar zum FIDMarseille.

Alte Schultafel mit Text: Bin Blumen kaufen
Danach Restschulferien in Berlin mit Ziehsohn, aber zwischendurch immer auch als Dolmetscherin, Lektorin und Übersetzerin buchbar. Ab August wieder alles normal. Der Jahresurlaub war schon, die nächste private große Tour folgt dann im Herbst. Und die Fotos zum Dreh mit dem Team von Radio Canada werden Sonntag nachgetragen.

Wie gesagt, Bürotechnik hat gemuckt, war zwischenzeitlich komplett out of order, siehe oben oder Eintrag von Montag.

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Fotos: C.E.

Mittwoch, 20. Juni 2012

Bald in Marseille!

Willkommen auf der Weblogseite einer Französischdolmetscherin aus Berlin. Hier können Sie Einblicke nehmen in unseren Alltag, der in Berlin, Paris, München oder Marseille stattfindet. Egal, wo wir tätig sind, wir machen stets das Gleiche.

Die französische Berufsbezeichnung für meine Arbeit lautet "interprète". Interpretieren müssen wir immer bei langen Sätzen, wenn das Verb an allerletzer Stelle kommt, das oftmals der Schlüssel für Anfang, Mitte und Kurz-vor-Ende des Satzes ist. Oder wir sind so gut eingelesen, dass wir wissen, worauf der Redner hinauswill. Wir kennen die |Partitur| Fachliteratur, die Titel und die Namen der Autoren und des handelnden Personals, also bestenfalls, wenn ausreichend Zeit zur Vorbereitung da war und uns vor dem Termin Informationen zur Verfügung gestellt wurden. Vorbereitung ist die halbe Miete ... sagt jeder Dolmetschlehrer.

Auch die beste Vorbereitung kann Missverständnisse nicht ausschließen. Vor bald einem Jahr sitze ich in Marseille im Kulturhaus der Stadt, neben mir Jean-Pierre Rehm, der Leiter des Filmfestivals FIDMarseille. Er zählt Leute auf, Namen, macht dann eine Pause, wartet, bis ich gedolmetscht habe.

Das letzte Wort, das noch ein wenig hinterhergeklappert kam, war "Winter" ... ich mache eine Pause, wer ist dieser Winter, von dem habe ich noch rein gar nichts gelesen, gehört oder gesehen, wir sind immerhin bei einem Filmfestival, sage zögerlich auf Deutsch "Winter" ... Rehm lacht, sagt "Non, im Winter — en hiver" ... er versteht offensichtlich nicht nur Deutsch, sondern spricht auch mehr, als ich bislang wusste ... und im entscheidenden Moment ist seine Muttersprache doch stärker! Ich hätte mit dem nackten Begriff "Winter" als Satzanfang auf Deutsch nämlich noch gut umschwenken können, da ich bei den folgenden Worten gemerkt hätte, dass schießlich doch kein Mensch gemeint war.

Es muss schon komisch sein, meinen Neuronen so aktiv beim Denken zuzusehen ... auf jeden Fall kennt er meinen Namen und, so ein Verbindungsmann, soll er mich neulich am Rand der Pressekonferenz des Festivals gleich wieder verlangt haben für die Verdolmetschung seines Seminargesprächs (das in diesem Rahmen stattfindet).
Gut so!

Blaues, stilisiert wirkendes Schattenrissbild, links die Dolmetscherin mit Fächer und geschlossenen Augen, rechts ein Mann, Kinn auf die Hand gestützt, der zu ihr hinübersieht
Das Dunkle in meiner linken Hand ist das Unterteil des Mikrofons, die Zuhörer haben 'head sets'

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Foto: Axel Lambrette, Grafik: C.E.

Dienstag, 19. Juni 2012

lifelong learning

Hello, guten Tag, bonjour ... beim Dolmetscherblog aus Berlin, dem ersten virtuellen Arbeitstagebuch über Dolmetschen und Übersetzen aus dem Inneren der Kabine bzw. vom Übersetzerschreibtisch. Ich biete beides an, immer bilateral Deutsch-Französisch bzw. aus dem Englischen (Dolmetschen) und ins Deutsche (Übersetzen). Andere Sprachen übernehmen meine Netzwerkkollegen. Heute gewähre ich mal wieder einen Blick auf meinen Schreibtisch.

Mailanfrage eines Berliner Abiturienten, der sein Zeugnis schon in der Tasche hat und sich Gedanken über die Berufswahl macht: Wie das denn so sei nach vielen Jahren Berufspraxis, will er wissen, ob man dann mit dem Pauken endlich fertig sei.

Ein aufgeschlagenes Vokabelheft mit vielen Ergänzungen und unterschiedlichen Tintenfarben
Ich fürchte, der junge Mann hat zu viel beim Endspurt vor den Prüfungen arbeiten müssen, da klingt ja fast eine Lernphobie durch. Leider muss ich ihn enttäuschen. Gerade der Dolmetscherberuf bringt lifelong learning mit sich. Das Wort hätte von Dolmetschern erfunden sein können!
Ich lerne täglich ... auch sonn- und feiertags.

Sprachen verändern sich, die Faktenlage auch, neue Begriffe, Institutionen und Verknüpfungen werden erfunden, begründet oder sichtbar. Unsereiner lernt auch an einsatzfreien Tagen, besonders intensiv sogar. Das Lernen höret nimmer auf ...

Wie sagte doch eine frühere Schulfreundin zu mir:  "Ich könnte das nicht, du steckst doch im Grunde seit 20 Jahren im mündlichen Abi?" Ja, so ähnlich. Aber es wurde schlicht zum Normalzustand.

Das Gute: Alpträume, wie ich sie bis kurz vor dem Durchbruch als Dolmetscherin hatte, bei denen ich auf dem Weg durch ein mir unbekanntes Schulgebäude zur Abiturprüfung zu einem mir unbekannten Thema war, habe ich nicht mehr. Sie fielen weg, ersatzlos.

Und die ganze Sache macht dann irgendwann sogar Spaß, weil es zum Selbstläufer wird. Hier geht's weiter zu "Lerntipps".

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Foto: C.E. (Archiv)

Montag, 18. Juni 2012

heiß und kalt

Bienvenue im digitalen Logbuch einer Dolmetscherin und Übersetzerin. Französisch ist meine zweite Arbeitssprache, Film meine "dritte" Sprache. So werde ich für Medienunternehmen tätig, aber auch in der Wirtschaft, für Politiker und für Privatleute. Ein Gros des Jahres bringe ich mit Filmthemen zu, und zwar in beiden Berufsfeldern, der Rest gehört den Konferenzen. Bei alledem sind wir nicht immer vor den Widrigkeiten der Witterung geschützt.

Oh, so gerne würde ich dieser Tage auf dem Balkon arbeiten, wo er, da er auf der Nordseite der Straße liegt, diese knapp zwei oder drei Monate lang endlich mal nutzbar wäre. Wenn nicht, ja, wenn nicht ...

Blauer Himmel, blaue Vasen, rote Lilien und Gerbera (?) ... dazu Füße auf dem Tisch, daneben Teekanne und -tasse
So sieht das süße Leben der Dolmetscher aus. Denkste!
... der Rechner dauernd heiß laufen würde. Er ist erst 1,5 Jahre alt, um alles störende Gespeicherte erleichtert und mit neuer professioneller Technik versehen zum Überspielen, Kürzen und langsameren Abspiel von Audiodateien. Neulich, nach dem Dolmetschen einer Konferenz, ereilte uns auch noch ein Transkriptionsauftrag von zum Teil fremdsprachigen Vorträgen.

Dabei arbeite ich mit zu dieser Gelegenheit erneuerter Software, um die Tondatei mit einem Fußpedal "spulen" zu können. Aber irgendwie verträgt sich das alles nicht so miteinander, wie es müsste, kurz: Was Wochen (!!) dauerte, bis die Fachleute es so eingerichet hatten, dass es nicht mehr alle Naslang abstürzte (und geöffnete Dateien verstümmelte!), wird weiterhin schnell heiß. Wir sind also in den kühlsten Raum umgezogen, in die fast innenliegende Kammer mit der geringsten Außenwand- und Fensterfläche. Während draußen bei knapp 30 Grad im Schatten alle einen wunderschönen Sommer erleben, sitzen wir drinnen mit zwei Wollpullovern, heißem Tee, ich sogar mit den Winterhausschuhen, die kleine Fellstiefelchen sind. Heute früh hab ich mir gegen das Frieren auch noch eine Wärmflasche gemacht.

Neue Fellstiefelchenhausschuhe auf altem Gestühl
Mehr über das Desaster, wenn sich mein Mütchen gekühlt hat. Es läuft derzeit noch genauso schnell heiß wie der Rechner.

Ja, wie schön wäre das, nach dem Teetrinken auf dem Balkon den Rechner dortselbst hinstellen und dort arbeiten zu können ... wo ja diesen Frühsommer sogar das Wetter mitspielt!

Noch einen Hinderungsgrund gibt es. Die Neigung unserer darüberwohnenden Nachbarin, die ihr eigenen Banklonpflanzen überaus sintflutartig zu bewässern. Was zieht sie da eigentlich? Reis?

Es ist immer so viel (und kommt manchmal zu derart überraschenden Tageszeiten), dass wir schon mit Mittag- oder Abendessensgästen, die halbseitig gewässert waren, erstmal zum Kleiderschrank gehen mussten, bevor der nächste Gang folgen konnte. Andererseits ist das mit den Sturzbächen nicht nur schlecht. Wenn ich unterwegs bin und die Mitbewohnerin mal wieder das Gießen der Balkonpflanzen vergisst, haben letztere durchaus eine Überlebenschance. Naja, und eben weil Nordbalkon. Irgendeinen Vorteil muss diese Frierarchitektur ja doch haben!

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Foto: C.E. (Archiv)

Sonntag, 17. Juni 2012

Ach, Europa!



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Foto: C.E. (in Marseille)
Versicherungsaktiengesellschaft mit festgesetzten Prämien
BRAND  *  UNFÄLLE

Samstag, 16. Juni 2012

Griechenland

Hallo, Sie interessieren sich für Dolmetschen und Übersetzen in Berlin, Paris und anderswo? Dann sind Sie hier, beim Weblog einer Spracharbeiterin, richtig. Wie Sie uns erreichen, steht in der Spalte rechts. Hier unten denke ich in möglichst kurzweiliger Form und unter Wahrung der Berufsgeheimnisse über unseren Alltag und die Grundlagen unserer Tätigkeit nach. Zeitunglesen gehört zur täglichen Vorbereitung, denn wir müssen uns im Zeitgeschehen auskennen. Damit ich keine wichtigen Artikel verpasse, senden mir Freunde und Kollegen oft Links.

Neulich disktutierten wir hier am Rande über Rüstung, nämlich als ich dem weltbesten Patensohn die französische Vokabel für das Wort "Rakete" vorenthalten wollte. Schulfreundin Heike, die etliche Jahre in Griechenland gelebt hat und sich derzeit dort aufhält, sandte mir diese Woche meinen Samstagslink.

Sie schrieb: "Vielen ist in Griechenland bewusst, dass in den letzten Jahren Unsummen (geliehener) Gelder in die Rüstung geflossen sind, während Investitionen in Infrastruktur (ÖPNV, Schulen, Krankenhäuser) oft vernachlässigt wurden. Und diese Schulden drücken nun. Mein Schwippschwager war lange bei einem großen deutschen High-Tech-Unternehmen, das (auch) durch griechische Rüstungsinvestitionen groß geworden ist ... das Geld kam von westeuropäischen Banken und hat in Deutschland für Wohlstand gesorgt." (..)

"Natürlich gibt es hier viel Miss- und Vetterleswirtschaft! Und ja, die Steuerbehörden und andere Teile der Verwaltung sind in einem desolaten Zustand. Die berühmte Einnahmeseite ... aber ich finde es traurig, dass die Medien vor allem diese Fakten im Fokus haben und nicht diese Irrsinns-Geschäftemacherei des letzten Jahrzehnts mit zum Teil riesigen Gewinnmargen. (...) Wie sich die Situation in Griechenland anfühlt, fand ich in einer Beilage der ZEIT vom letzten Winter gut beschrieben, die hier in Athen unter den Deutschsprachigen oft verlinkt wird. Mein Tipp für Deinen Link der Woche ..."

Hier entlang: "Es wird eng" von Marga Diamantaki aus "Christ und Welt", DIE ZEIT ... oder auf die Textillustration klicken.
Passend dazu, was Matthias diese Woche auffiel, ein Kommentar aus der taz, der zu Entspannung rät: Griechenlands Vorläufer von Volker Nitsch.
Griechenlands Vorläufer -  Ein Euro-Ausstieg der Hellenen würde Europa erschüttern. Aber die Geschichte lehrt: Währungsverbünde hatten nur selten dauerhaft Bestand.
Danke, Heike und Matthias!

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Illustrationen: Christ und Welt / DIE ZEIT
sowie die tageszeitung

Donnerstag, 14. Juni 2012

Chantalismus

Hallo! Hier ist nicht alles Französisch, auch wenn Sie eine Seite des virtuellen Arbeitstagebuchs einer Französischübersetzerin und -dolmetscherin aufgeschlagen haben. Sehr oft denke ich über Sprache nach und beobachte auch meine Muttersprache, die Moden unterliegt. Eine davon ist, wie der Nachwuchs heißt.

Der Trend zu exotischen Namen geht weiter, auch Drehbuchautoren und -übersetzer von übermorgen müssen aufpassen (denn mitunter dürfen wir ja ein Drehbuch von einem in den anderen Kulturraum übertragen). Das, was einst Mittelstand war, nennt seine Kinder jetzt musikalisch Tamino oder Cosima, leicht exotisch Fynn oder Tilda ... oder aber die Minis bekommen die Namen der eigenen Großeltern, August, Oskar, Franz oder Hanna, Therese und Emma.

Die Kids, die besonders gut beim Känguru-Test abschnitten, heißen Carla, Antonia, Milan, Mika, Friedericke, Jean-Pasqual, Franz, Mikka, Carla Marie, Klaus Justus, Luisa, Fabio, Moritz Nepomuk, Greta, Takashi, Luca-Xavier ...
Preisträger der Mathe-Vergleichstests an einer Berliner Grundschule:
weder Kevin noch Chantal sind unter den Besten
So gut wie weg aus den Registern der Standesämter sind derzeit Namen wie Andreas und Bernd, Jürgen und Gunter. (Ich habe schon darüber geschrieben; vielleicht heißt der Nachwuchs der heutigen Kindergeneration dermaleinst (*) so.)

Kenner wissen, dass heute Charlene und Charlotte in der Schule zwar Seit' an Seit' sitzen können, aber allergrößter Wahrscheinlichkeit unterschiedlichen sozialen Schichten angehören. Zu DDR-Zeiten übertrug sich das behinderte Fernweh gern auf die Kinder: Die Namen Marcel und Maribell, wie unsere Nachbarskinder im Vogtland hießen, klingen auf Sächsisch, naja, recht apart. Leider gibt es auch heute in weniger reisenden, |sozial| finanziell schwächeren Schichten seit Jahren den Trend zum besonderen Namen, Charlene, Diana und Chantal ("Schanntall!") auf der einen, Kevin, Dustin und Justin auf der anderen Seite.

Wissenschaftler haben schon vor Jahren beobachtet, dass es Kinder mit diesen Namen in der Schule schwerer haben als jene, die nach Oma und Opa heißen. Die Mittelschicht hat sogar einen Spottbegriff für derlei Benamsung gefunden, die Eltern litten wohl unter Kevinismus (oder Chantalismus), was auf uncyclopedia.org so definiert wird: Es sei "die krankhafte Unfähigkeit, menschlichem Nachwuchs sozialverträgliche Namen zu geben", gerne auch im Doppelpack wie Mandy-Sina.

Die Vorurteile mancher Lehrer gegen bildungsferne Schichten können auch Bürger aus der Migration treffen. Gerade in den letzten fünf Jahren zogen viele aus Frankreich nach Berlin, wobei der Strom der lebenswerten deutschen Hauptstadt wegen wohl so schnell nicht abreißen wird. Neulich rauschte ein besonders exotischer Vorname durch die Medien: Pirschelbär. Ein Kindergartenkind stellte sich so vor. Der Anruf bei den Eltern ergab dann, dass der kleine Mann Pierre-Gilbert heißt.

Lag es an seiner Aussprache oder an den Ohren der Erzieherinnen, die in Deutschland meist Hauptschulabsolventinnen oder, wenn sich Frau von der Leyen durchsetzt, frühere Schlecker-Verkäuferinnen sind? (Nichts gegen Drogistinnen, aber in die Kindergärten und -horte gehören studierte Leute!!)

Und dann gibt's noch die Trends zu kurzen Namen und dominantem Schlussvokal. Nächsten Monat gehe ich mit jungen Kolleginnen auf Fortbildung, die zwischen Mitte 20 und Anfang 30 sind und deren Namen fast alle auf "a" enden: Anja, Andrea, Janina, Julia, Lenka, Lina, Nadja und ... Marie. Der einzige mitreisende Mann aus Deutschland ist ebenso jung und heißt, vielleicht auch schon nach Opa, überraschenderweise Ulrich.


*: "dermaleinst" bezieht sich zwar eigentlich auf die Vergangenheit, aber es ist so wenig gebräuchlich, dass es sich heute vielleicht, analog zu den "Untiefen", auch auf Kommendes beziehen lassen sollte. Ich lernte das Wort bei Morgenstern kennen: "Er fährt in eine in der Nähe | zufällig eingeschlafne Krähe | und fliegt, dieweil sein Bett verdorrt, | wie dermaleinst als Vogel fort."
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Foto: privat

Mittwoch, 13. Juni 2012

Ganztagsschule

Hallo! Sie sind auf den Arbeitstagebuchseiten einer Berliner Übersetzerin gelandet, die daneben als Französischdolmetscherin für Politik, Wirtschaft und Soziales, Kino, Medien und Medienökonomie arbeitet. Dabei denke ich oft auch über Wörter nach, die Schwierigkeiten bei der Übertragung machen.

Schule in F: 4 Tage Unterricht in der Woche (nicht Mi und Sa) = 144 Tage im Jahr (eur. Durchschnitt 180, in D bis zu 200, je nach Land). In F 6,7 Schulstunden je Tag, 14 Wochen Ferien im Jahr. In D sogar 15 Wochen/Jahr. Unterrichtsstunden per annum: F: 613, D: 634
"Unsere Schule ist eine Ganztagsschule!", sagt die Direktorin und führt stolz durch ihre nigelnagelneue Schulkantine. Die Schule betreut ihre Schüler erst seit kurzem auch nachmittags. Ich übertrage, es wird ein µ (My/Mü) länger, die französischen Gäste nicken, als wäre das nichts Besonders. In Frankreich ist das nichts Besonderes. Und das Wort bereitet mir genau deshalb Probleme. Ich bilde es angelehnt an "ganztags arbeiten" — travailler à plein temps: école à plein temps, eine Silbe mehr. Wir sind in Berlin, es treffen Kollegen aufeinander und tauschen sich über best practice aus, wie es auch hier auf Managerneudeutsch heißt.

Auf Französisch gibt es das Wort "Ganztagsschule" nicht, denn die ist dort die Regel. Ich weiß, dass ich bei Gelegenheit noch einflechten sollte, dass es sich hier um eine Abweichung von der in Deutschland bis dato sakrosankten Halbtagsschule handelt und dass die Ganztagsschule hierzulande langsam zur Norm werden soll. Ich sage es nicht gleich, hier habe ich nicht viel Zeit, aber an anderer Stelle, als mal Luft dazu ist. Ach ja, die Pariser Lehrer und Erzieher nicken, das haben sie schon mal irgendwo gehört.

Ähnlich verhält es sich mit dem Selbstverständnis französischer Eltern und Mütter. Bei unserem Nachbarn ist das Wort "Rabenmutter" zum Beispiel unbekannt. Aber auch dort passt nicht alles in vorgefertigte Schemata. Nicht alle kleinen Franzosen werden werktags zu 100 % fremdbetreut. So berichten die Lehrer aus der französischen "Provinz", das sind bei in Frankreich alle Regionen, die nicht zum Großraum Paris zählen, dass immerhin 30 % der französischen Schüler in den jüngeren Jahren zu Hause zu Mittag essen würden und die Kantinen entsprechend kleiner seien (und diese Zahl bezöge sich jetzt auf ganz Frankreich).

Die Provinz ist es auch, die an den langen französischen Ferien|wochen|monaten im Sommer schuld ist, denn diese dienen dem Tourismus. Jetzt denken die Franzosen über die Veränderung des Schulrhythmus nach, der zuletzt unter Sarkozy auf die Vier-Tage-Schulwoche umgestellt worden war. Auch in Frankreich müssen sich Eltern bereits organisieren, um ihre Sprösslinge tagsüber betreuen zu lassen; die Betreuungseinrichtungen und Familienhelfer sind in Schulzeiten gar zahlreich und für die Familien kostenintensiv. Dieser Anteil wird zunehmen (müssen). Auf die neue französische Regierung kommt viel Arbeit zu.

Mein heutiger Beitrag hat zwei Schlusspointen. Die erste: Einer der französischen Erzieher erzählt etwas von einem élève avec la clé autour du cou qui rentre seul à la maison (Schüler mit einem Schlüssel um den Hals, der allein nach Hause zurückkehrt)  18 Silben auf Französisch für drei deutsche: "Schlüsselkind".

Zweite Pointe. Einst, als ich am Schüleraustausch teilnahm, lernten wir in Frankreich auch eine uns bis dato unbekannte Schulkantine kennen. Sie hatte keinen guten Ruf. "Moppelkotze" hieß unter uns Gastschülern ein etwas komischer Eintopf, den es dort gleich zweimal gab. Nur so richtig übersetzbar war das nicht, ich hangelte mich durchs Wörterbuch, klärte es mit Lehrern ab ... und kam auf vomi d'un dodu. Das klingt für mich nicht ganz so umgangsspachlich wie auf Deutsch. Hat jemand einen besseren Vorschlag?

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Foto:
C.E. (Für die "Erklärungen mit der Maus aufs
Foto gehen. Jeder Dolmetscher landet am Ende bei
seiner eigenen Notizentechnik. Bei mir sind Tage 
jours, Wochen weeks, Jahre years, das  liegende
E, hier nicht zu verwechseln mit einem zu eilig
geschriebenen "w", ist Europa oder europäisch ...)

Dienstag, 12. Juni 2012

ˈpʌblɪk ˈvju:ɪŋ, die Zwote

Neudeutsch heißt das jetzt "Rudelgucken". Hier mein alter Beitrag zum Thema: klick!




Mais moi, je m'en foot !
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Foto: C.E. (Archiv)

Montag, 11. Juni 2012

konzentriert

Bienvenue beim Blog aus der Dolmetscherkabine. Seit ich acht Jahre alt war, lerne ich Französisch. Heute arbeite ich als Dolmetscherin und Übersetzerin in Deutschland und Frankreich. Und nicht immer sitze ich in einer Kabine, bei Delegationsreisen bin ich oft mittendrin, drinnen oder draußen, in Rednernähe, und das bei Regen, Schnee, Wind und Sonne.

Es ist heiß. Der Fächer liegt zur Abwechslung mal auf dem Tisch, denn was ich mir damit zufächern könnte, würde meine Luftsituation nicht verbessern. Die Herren arbeiten schon im Hemd und ohne Schlips und Jackett, außerdem haben wir casual friday, ein Referent steht sogar in Jeanshosen hinter mir.

Er ist ständig in Bewegung und direkt hinter mir, eigentlich müsste mich seine Gegenwart irritieren. Aber ich habe ihn schon mal gedolmetscht, er spricht schnell, aber nicht zu schnell, ich kann ihm vertrauen, seine Gegenwart ist für mich nicht bedrohlich. Ich kann mich völlig auf seine Worte konzentrieren und höre einfach nur zu.

Mir ist heiß. Meine dünne blaue Jacke lege ich jetzt trotzdem aber nicht ab, das würde mich zu viel Energie kosten. Gleich geht es wieder raus, da ist sie Sonnenschutz, der Sonnenhut auch. Es ist kein Strohhut, denn Stohhüte sind nicht koffertauglich. Mein schlammgrauer Stoffhut, der zu (fast) allem passt, hier farblich sogar zur schallisolierten Wand, liegt gleich wieder eng am Kopf an, wird vom starken Wind nicht weggeweht. Das ist gut.

Meine abschweifenden Gedanken hatten nur kurz dem Wetter und seinen Folgen gegolten, denn es war eine kurze Gesprächspause eingetreten. Jetzt konzentriere ich mich weiter.

Dolmetscherin im roten Top mit blauer Jacke und Mikrophon einer Personenführungsanlage in der Hand. Vor ihr liegen Hut und Fächer, hinter ihr steht ein jeansbehoster Referent im offenen Hemd.

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Foto: Privat

Sonntag, 10. Juni 2012

Mickymausohren

Weiter mit merkwürdigen Worten im Dolmetscherweblog. Hier lesen Sie täglich außer freitags meine Beobachtungen, Beschreibungen und praktischen Tipps zur Arbeit mit Sprachmittlern, zum Drehbuchformatieren und zum Sprachenlernen. Außerdem denke ich über Wörter nach. Ich dolmetsche Französisch-Deutsch-Französisch; hier ebenfalls beitragende Kollegen unseres Netzwerks bieten auch andere Sprachen an. 



Ein stechender Schmerz fährt mir in den Kopf, wir sind mitten im Landeanflug. Ich informiere die Stewardess. Sie reicht mir wenig später zwei Plastikbecher, in denen Papiertücher stecken. Das Besondere an ihnen: Die Tücher wurden zuvor mit heißem Wasser benetzt. Die Stewardess rät mir, die Becher nun an die Ohren zu pressen. Die feuchte Wärme nimmt augenblicklich den Schmerz. So halte ich sie bis zur Landung fest an den Kopf gedrückt. Wegen der weißen "Spitzen" dieser "Plastikohren" nennen die Stewardessen diesen Trick les oreilles de Mickey, also Mickymausohren.

Dann schaue ich mir die berühmte Comicmaus im Internet an. Aber ich werde nicht schlauer: Wo sind die weißen Ohrenspitzen beim echten Mickey geblieben, an die ich mich auch erinnere? Heiner, zeichnest Du mir bitte mal 'ne Mickymaus, so, wie Du sie in Deiner Kindheit zu zeichnen gelernt hast?
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Fotos: C.E.

Samstag, 9. Juni 2012

Fortbildungen

Willkommen! Sie lesen gerade in meinem digitalen Arbeitstagebuch. Ich bin Über­setzerin, meine zweite Sprache ist Französisch. Der Dolmetscherberuf macht tägliches Lernen notwendig. Außerdem verfeinern wir regelmäßig unsere Me­tho­den.

Der internationale Konferenzdolmetscherverband AIIC trifft sich in Berlin und bie­tet vor und nach dieser Veranstaltung Seminare an. Das ist mein Link der Woche. Erst gibt es einen allgemeinen Dolmetschertag, dann noch ein mehrtägiges Se­mi­nar für Kollegen, die Deutsch als B- oder C-Sprache haben.

Haus der Kulturen der Welt - 13. Juli, 9 - 18 Uhr, Internationaler Dolmetscher-für-Dolmetscher Workshop

Leider habe ich von der Veranstaltung zu spät erfahren, ich bin nicht bei der AIIC Mitglied. Und ich dolmetsche die ersten Julitage in Südfrankreich, wir haben mit Kollegen unsere Wohnungen getauscht und hängen Urlaubstage dran ... Fortbildungen gibt's für mich also erst wieder später im Jahr.

Weitere Fortbildungen bieten an: Sektion Literaturübersetzer im Verband der Übersetzer (VdÜ) und der BDÜ.

Seminare des BDÜ

P.S.: Zum Dolmetscher-für-Dolmetscher Workshop im Haus der Kulturen der Welt steht in der Beschreibung: "Im Anschluss an den Workshop erhalten alle Teilnehmer digitale Fotos der Flipcharts und der Auslage auf dem Informationstisch." Könnte mir bitte vielleicht jemand ein Exemplar mitbringen?
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Illustration: Haus der Kulturen der Welt

Donnerstag, 7. Juni 2012

TV-Slang

Bienvenue und Willkommen beim ersten Dolmetscherweblog Deutschlands aus dem Inneren der Dolmetscherkabine. Oft arbeiten wir aber auch draußen, bei Gericht, am Set, auf der Straße ... oder alles zusammen. Meine Aufgabe ist das Dolmetschen und Übersetzen für Politik, Wirtschaft, Kultur und Medien. Dazu muss ich viele Fachbegriffe kennen. TV-Slang ist speziell und manchmal sogar regional unterschiedlich.

mittags beim Gericht in Moabit
Faire le blanc
 
Mittwoch früh, kurz nach Mitternacht, die Augen fallen mir fast schon zu. Ich stehe an einer mehrspurigen Berliner Straße, halte einen Kassenbon ins Licht, die Lampen dazu hatte ich eben selbst hergetragen und aufgestellt. Der Kameramann "macht den Weißabgleich", die Korrespondentin kommt gleich hinzu, um ihren "Aufsager" zu machen, hier als faux direct (vermeintliche Liveschalte). Der Tag hatte um 6.15 Uhr begonnen. Nun wird die Kamera auf die Lichtsituation eingestellt.

nachmittags am Gefängnis
 
Checker les supars

Kurz davor hatte ich noch die "Bauchbinden" (auf die richtige Schreibung von Eigennamen und Institutionen) "geprüft". Bauchbinden sind die Namenseinblendungen bei TV-Beiträgen oder Dokumentarfilmen. Wir arbeiten aktuell für Nachrichten, die in Montréal gesendet werden. In Berlin wurde am Dienstag ein mutmaßlicher  Mörder aus Kanada festgenommen.
Die Franzosen würden vérifier les incrustations sagen. Das kanadische supars kommt von superposer.

abends beim LKA
Tu prends un two shot

Beim Schnitt bestellt die Korrespondentin eine "Zweier", also ein Bild, auf dem zwei Menschen im Bild sind. Ich stelle sicher, dass die Bilder der entsprechenden Orte zu den richtigen Momenten des Polizeigewahrsams, der U-Haft bzw. der Vorbereitung der Auslieferung durch die Staatsanwaltschaft verwendet werden, also dass Text und Bild zueinanderpassen.

Ansonsten schneidet der Cutter, der auch der Kameramann ist, selbstständig.


Zu diesem Tag folgt übernächste Woche hier eine Bildergeschichte, denn ich habe auch recherchiert und, wo nötig, gedolmetscht. (Kleiner Nachtrag, sorry, war zu viel Technikstress.)


P.S.: Die Erklärungen, was die französischsprachigen Begriffe jeweils bedeuten, stehen anschließend in Anführungszeichen. Und es heißt wirklich "eine Zweier", ist nämlich eine "Zweier"-Einstellung ...
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Fotos: C.E.

Mittwoch, 6. Juni 2012

Frühfranzösisch

Hallo! Sie haben eine Seite meines Blogs angesteuert, dem ersten deutschen Weblog aus dem Inneren einer Dolmetscherkabine. Manchmal entsteht er auch am Übersetzer- oder Küchentisch. Lernprofis wie wir Dolmetscher machen sich natürlich Gedanken darüber, wie Wissen am spielerischsten an die nächste Generation weitergegeben werden kann.
 
Übersichtsblatt mit Essbarem, bunt ausgemalte Kärtchen, Vokabeln für Brot, Butter, Wurst, Obst ... Buntstifte, Schmierzettel und Reprint eines französischen Matheheftes für Erstklässler
Auf dem Arbeitsblatt liegen die "Memory"-Karten
Vorletzte Woche habe ich in meinem Blog über ein selbst gebasteltes Deutsch-französisches Bilderlotto geschrieben, letzte Woche über spielerisches Lernen. Diese Einträg lösten viele Zuschriften aus, für die ich mich herzlich bedanke! Wiederholt wurde die Frage nach unserem ersten Memoryspiel gestellt, das ich am Rand erwähnt habe.

In der Schule lernt der weltbeste Patensohn seit einem Jahr Frühfranzösisch. Da ihm das Leben eine (weltliche) |Patentante| Teilzeit-Ziehmutter zur Seite gestellt hat, die Konferenzdolmetscherin ist, reist der junge Mann regelmäßig nach Frankreich. Der Französischunterricht wird deshalb zuhause ergänzt, stets im Hinblick auf erlebte oder kommende Situationen. Das motiviert natürlich sehr.

Irgendwo im Netz fand ich Illustrationen für die Grundschule zum Thema "Essen". Dieses Blatt haben wir schon ein paar Mal aus der Mappe gezogen und auch kopiert. Beim ersten Mal haben "wir" die Namen der Lebensmittel gelernt, beim zweiten Mal zu sagen, was man gerne isst, beim dritten Mal war die Negation dran, beim vierten Mal haben wir aus den Illustrationen unter Zuhilfenahme von viel Klebstoff und festem Karton selbst ein Sprachlernmemory gebastelt und nebenbei alles wiederholt.

Die erwähnten Etappen erstreckten sich ungefähr über Vierteljahr; das Foto stammt vom letzten November.

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Foto: C.E. (Archiv)
Die "Würmchen" zweite Reihe rechts
sollen Spaghetti sein.

Dienstag, 5. Juni 2012

Lakonischer Zitatestreit

Zwei Männerhände nageln ein Spiegelei an die Wand
Es gibt Tage, da ist der Arbeitsalltag,
als würden wir ....
Sie haben einen Weblog aus der Arbeitswelt angeklickt (oder erhalten neue Postings als Mail). Meine Aufgabe ist das Dolmetschen und Übersetzen in Politik, Wirtschaft und Kultur, darunter auch Medien, Arbeitssprachen Französisch, Deutsch und Englisch (C-Sprache). Es gibt Tage, an denen helfen nur Spruchweisheiten weiter.

"Der Weg ist das Ziel", sagt eine Kollegin.

"Wer nicht vom Weg abkommt, bleibt auf der Strecke", seufzt darauf die andere.

"Keep going!" ... fällt mir schließlich noch ein.

Dann arbeiten wir weiter.

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Bild: C.E. / Quellen: Konfuzius, Volksmund
und James Joyce (Ulysses)

Montag, 4. Juni 2012

Preis pro Seite

Guten Tag! Sie sind mit­ten im Ar­beits­ta­ge­buch einer Ber­liner Über­setzerin ge­­lan­­det, die außerdem als Französischdolmetscherin für Politik, Wirtschaft und Ge­sell­schaft, Medien und Medienökonomie arbeitet. Heute dürfen Sie mir auf den Schreibtisch schauen, es geht um Preiskalkulation.

In einer französischen Bäckerei: Pain au chocolat - 0,90 €
Bei einem französischen Bäcker
Der Mann am Telefon ist un­ge­halten. "Sie müssen doch einen Standardpreis haben!", belehrt er mich, "so den üblichen Preis pro Seite!" — "Nein, tut mir leid", antworte ich, "den habe ich nicht. Jeder Text ist einzigartig, und warum sollten Sie z.B. für einen einfachen Text, der zu 100 % meiner Spezialisierung entspricht, den ich einfach so runterübersetze, mehr be­zah­len?"

Mein Gesprächspartner ist unsicher: "Und wie kalkulieren Sie das?"

Kalkulationen sind meinstens einfach: Blick drauf, die Erfahrung hilft weiter, im Zweifelsfall Stichproben übersetzen und Zeit stoppen. Dann hochrechnen, die Treffgenauigkeit wuchs mit den Jahren. Kleine Abweichungen sind immer in­be­grif­fen. Meine letzte Kundin hat sich sehr gefreut, als ich 5 % unter dem Kosten­vor­an­schlag bleiben konnte.

Denn die Arbeit von Übersetzern ist keine Fabrikarbeit, es ist nicht immer die gleiche Geste, auch wenn's von außen so aussieht. Jeder Text hat andere Inhalte, das ist ungefähr so wie bei Brötchen. Im einen stecken drei Mehlsorten, in dem daneben nur eine, ein Fach höher liegen die mit den Sonnenblumenkernen drauf — zwischen Mohn- und Sesambrötchen. Und jedes Mal ist der Preis anders, weil die Zutaten unterschiedliche Preise haben.

Und sich auf manche Texte einzuschwingen, im Netz diesen oder jenen Begriff rauszusuchen, kann eben länger dauern und damit mehr kosten.

"Senden Sie uns Ihren Text zu, dann wissen wir mehr!" Fünf Minuten später macht's "pling!" im elektronischen Briefkasten. Der Auftrag kam später ebenso fix.

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Foto: C.E.

Sonntag, 3. Juni 2012

Politische Filme

Heute Link der Woche und Sonntagsbilder kombiniert: Hier möchte ich einige politische Filme vorstellen.

Plakat "Die Farbe des Ozeans", ein Film von Maggie Peren
Maggie Peren hat mit "Die Farbe des Ozeans" einen Spielfilm gedreht, der die europäischen "Außenmauern" thematisiert. Der Film läuft seit letzter Woche im Kino. Wir haben ab 2008 oder 09 im Team in der Vorbereitung des Drehs etliche Versionen und Teile davon ins Französische und Deutsche und aus dem Spanischen übersetzt. Hier geht's zum BR-Interview mit der Regisseurin und Drehbuchautorin.

Die Situation der Arbeitsmigranten ist mir auch als Dolmetscherin wohlbekannt, nicht nur durch Einsätze bei Gericht. So habe ich mich 2008 in Zusammenhang mit dem Gegenstand meines Blogeintrags von letztem Mittwoch, Thunfisch, mit der Notsituation vieler Afrikaner beschäftigt.
Damals dolmetschte ich im Haus der Kulturen der Welt Filmemacher Hichem Ben Ammar, der seinen Film "Raïs Labhar. Ô! Capitaine des Mers" vorführte ...(*).

Vor einem schlichten Holzboot, in dem leblose Körper liegen, steht ein Mann, der einen kleinen Jungen in den Armen trägt. Hinter ihnen das offene, türkisfarbene Meer ...
aus "Die Farbe des Ozeans"

Der Film von Ben Ammar beschreibt die "Madrague", den traditionellen tunesischen Thunfischfang, der (zum Erhalt der Schwärme) nur an wenigen Tagen im Jahr auf der Halbinsel Cap Bon stattfinden durfte. Im anschließenden Filmgespräch mit Ben Ammar stellte sich heraus, dass japanische Hochleistungsschiffe einige Jahre in Folge systematisch die zum Laichen ins Schwarze Meer schwimmenden Thunfische weggefangen hatten, bis die Schwärme so klein wurden, dass der Fischfang erstarb. — Die an der Küste Nordafrikas sitzenden arbeitslosen Fischer stelle ich mir mit bösem und zugleich sehnsuchtsvollem Blick nach Europa vor ... bis etliche von ihnen mit einfachsten Holzbooten aufbrechen, denn die antiken Steinbrüche der Gegend, einst ein großer Arbeitgeber, sind inzwischen zum Teil geschützt bzw. werden archäologisch untersucht.

Gleich noch ein Film: "Bulb fiction" heißt ein Dokumentarfilm, der diese Woche im Kino angelaufen ist. Christoph Mayr hat den Mythos Energiesparlampe untersucht und dabei ziemlich schmutzige Fakten ausgegraben: Das ach so umweltfreundliche "Energiesparleuchtmitel" sei vor allem eine Bedrohung für Leben und Gesundheit von Mensch und Natur, denn das darin enthaltene Quecksilber ist das nach atomaren Substanzen Giftigste, was wir kennen. Voilà der Link zum verschrifteten Bericht aus titel thesen temperamente (ARD); wenn dort der Link zum Film nicht funktioniert, ich habe den Beitrag auf YouTube gesehen ... Silvia Hallensleben vom Tagesspiegel missfallen (außer den Fakten) am Film nur die musikalischen Effekte.

In einer offenbar runden Anlage werden Glaskörper automatisiert geblasen.
Leuchtmittelfabrik in Shanghai

Diesmal haben wir keine "Aktie" am Film, das Thema ist für mich aber auch so sehr wichtig, denn offensichtlich wurde hier eine fragwürdige Technik über die europäischen Institutionen bis ins letzte Dörfchen "durchgedrückt". Da wir als Übersetzerinnen und Dolmetscherinnen viel mit europäischen Institutionen und Programmen zu tun haben und zu den ca. 5 % Europäern zählen, die regelmäßig und selbstverständlich im anderen Land arbeiten, ist uns alles, was den grassierenden Euroskeptizismus befördert, spinnefeind.

2014 wird die Richtlinie über Leuchtmittel überprüft. Es lohnt sich also, seinen Bundes- und Europaabgeordneten zu schreiben und den Vorgang "auf Wiedervorlage" zu packen. Alle drei Monate nachfragen ... Öffentliche Aufmerksamkeit hilft.

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Fotorechte: Die jeweiligen Filmverleihe
(*) Der Film lief leider nie im deutschen TV. Ich
habe ihn damals mit Aktualisierungsvorvorschlag
an einige Sender weitergeschickt, wo er aus
technischen Gründen abgelehnt wurde.

Freitag, 1. Juni 2012

Spielerisch lernen

Bienvenue im digitalen Arbeitstagebuch einer Dolmetscherin und Übersetzerin. Französisch ist meine zweite, Film meine "dritte" und Englisch meine "passive" Sprache. So werde ich für Medienunternehmen tätig, aber auch in der Wirtschaft, für Politiker und für Privatleute. Oft habe ich es mit zumindest zum Teil neuen Themen zu tun. Wir Sprachmittler lernen lebenslang und finden das auch noch gut. Als Lernprofi beobachte ich natürlich, wie der weltbeste Patensohn lernt, ein Filmerkind, das ich regelmäßig mit betreue.

Früchte und Gegenstände und der Einkaufszettel: une tasse orange, une banane jaune usw.
bunte Einkäufe
Ganz offensichtlich stoßen meine Einträge zum Thema Sprachenlernen auf großes Interesse. Bald werde ich auch wieder mehr darüber schreiben, wie ich als Erwachsene lerne. Wie kam es also zu den privaten Französischstunden?

Wie alle Kinder lernt der weltbeste Patensohn durch Wiederholung. Und wie alle Kinder der Welt spielt er gerne, und die Großen müssen mitmachen.
Nach dem gefühlten 3761. Mal Kaufladen spielen innerhalb von 2,5 Jahren habe ich allerdings gestreikt: "Mein liebes Kind, wir müssen uns was anderes ausdenken. Mir ist sooo langweilig!"

Also habe ich meine Bedingung genannt: Entweder ein anderes Spiel oder Kaufmannsladen auf Französisch. Ich hatte Glück, der kleine Mann antwortete so, wie ich es mir gewünscht hatte. Damals war er fünfeinhalb Jahre alt. Zunächst habe ich nur Dinge gekauft, die auf Deutsch ähnlich klingen. Zugegeben, das Sortiment war ein wenig beschränkt:  ich kaufte Tassen, Tomaten, Orangen, Zitronen, Elefanten, Tiger, Bälle, Schokolade, Bonbons, Dinosaurier, Heilkopter, Jeans, Pullover, Parfum, ein neues Portemonnaie, Fotos ...

... dann kaufte ich kleine Dinosaurier und große Zitronen, außerdem auch schon mal den einen oder anderen Apfel (la pomme). Mit dem Apfel ging die Erweiterung auf Vokabeln richtig los, die nicht den deutschen Wörtern sehr ähnlich sind. Kurz: Der erste Schritt war die "Schärfung des Gehörs", das hat bei ähnlichen Wörtern gut funktioniert, er hat sie auch oft nachgesprochen und damit die zunächst fremde Aussprache geübt. Dann kamen Farben hinzu, dann wurden andersfarbige oder größere und kleinere Dinge nachgefragt (plus grand/plus petit). Schließlich ergänzten wir das Sortiment, der kleine Mann machte einen Küchenbedarfsladen auf. Mal sehen was noch so kommt.

Mit der Zeit lernte er auch Zahlen kennen. Die Preise sagt er immer auf Deutsch, ich wiederhole sie dann auf Französisch. Sein Geschäft pflegt zu meiner Freude die schöne Tradition der einfachen, runden Zahlbeträge.

Kinderschuh auf Gehweg plus Zettelchen: un chien / Hund
Vokabeln, auf dem Schulweg gefunden
Wir spielen auch heute noch zuweilen à la marchande. Über-übernächster Schritt (oder so): Le jeune homme kauft nach einem von mir geschriebenen Einkaufszettel ein, siehe oben. Das Foto stammt vom letzten Winter, da wurde er gerade acht Jahre alt. Das Wichtigste beim Sprachenlernen: der Spaß!

Und um Gehörschulung geht's mir, was bei den Kleinen fast nicht nötig ist, damit aber auch um eine gute Aussprache. Inzwischen sitzen wir auch schon mal bei schriftlichen Aufgaben, wie er sie aus der Schule kennt. Je mehr ich mit meinen Arbeitsblättern dem Aussehen offizieller Schulmaterialien komme, desto lieber ist es ihm. Wir haben Glück, er geht gern in die Schule und ist ein sehr guter Schüler (wenn er so nett ist und das Hirn einschaltet).

Aber schon das erste Ergebnis hat uns beide beflügelt: Als er sechseinhalb war und wir einmal aus Frankreich zurückfuhren im Zug, wo er zunächst zehn Tage lang nur zugehört hatte, fing er im Zug an Französisch zu sprechen. Dabei hörte ihn eine in Straßburg lebende und mit einem Deutschen verheiratete französische Fernsehredakteurin. Sie seufzte: "Ihr Kind erinnert mich an meine Kinder, als sie klein waren, da ging das auch hin und her. Ist es nicht wunderbar, wie sie so perfekt von einem Idiom zum anderen wechseln?" Wie gesagt, "unser" Mini hat einen sehr begrenzten Wortschatz, aber eine gute Aussprache, da ist Ersteres wohl nicht aufgefallen ...

Die nächsten Lernfelder waren: Einfache Begrüßung und dabei fragen/sagen, wie's einem geht. Das nächste Programm hat er sich selbst gewünscht bzw. es war seine Bedingung, um auch mal ein paar Stunden allein bei den französischen Freunden zu bleiben, die ebenfalls Kinder haben: sagen, wenn einem etwas wehtut, sowie die Körperteile (angefangen mit tête et bras et jambes et pieds)*. Nach dem Camping auf dem Bauernhof vertieften wir das Thema Bauernhoftiere. Im Frühfranzösisch der Schule kamen dann Mädchen/Junge, Mann/Frau, Guten-Tag-Sagen sowie allerlei dran, was sich im Klassenzimmer befindet, schließlich Wetter und Jahreszeiten. Wenn die Woche stressig ist, verfestigen wir nur, was in der Schule vorkam, sowie bereits Bekanntes.

(unleserlich), tu nous manques, Marie et ses parents ! ... Du fehlst uns, Marie und ihre Eltern
An einer Wirtshaustafel auf dem Schulweg (**)
Auf große Begeisterung stoßen regelmäßig Lieder und Kinderverse. Derzeit wandern wir manchmal unter Absingen des Liedes un kilomètre à pied, ça use, ça use in die Schule. Und auf dem Rückweg gehen wir gern an der petite épicerie française vorbei und kaufen unseren Lieblingskäse ... en français ... bien sûr ! Letztens waren wir mit französischen Freunden und Kindern im Restaurant, die Buben (insgesamt fünf Rangen von fünf bis acht Jahren) haben sich auch allein auf dem angrenzenden Platz rumtreiben dürfen, so dörflich kann Berlin sein. Am Ende verabschiedet sich der weltbeste Patensohn, ohne dass er es von mir gelernt hätte, mit: A bientôt !

Langsam wird unserem Schatz das Französischlernen zu einem eigenen Anliegen. Denn er fragt auf dem Nachhauseweg: "Ich kann jetzt drei Ausdrücke, um mich zu verabschieden, und was sagt man jetzt wann? — salut, au revoir, à bientôt ..."
Das erkläre ich doch gerne. Am Morgen drauf wandern die Vokabeln, von denen nur à bientôt völlig neu für ihn war, in sein Vokabelheft.

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Foto: C.E. (Archiv)
(*) anstatt "épaules" singen wir "et bras", denn ich
glaube, bei Kindern kommt der Arm öfter vor ...
(**) ..., du fehlst uns! Küsse, Marie und ihre Eltern