Mittwoch, 14. März 2012

In Mark und Pfennig

Willkommen beim einzigen Blog Deutschlands, das (seit 2007) in der Dolmetscherkabine geschrieben wird. Hier lasse ich — an manchen Tagen auch vom Übersetzerschreibtisch aus  unseren Alltag als Sprachmittler Revue passieren. Über die Jahre habe ich mich auf Politik, Wirtschaft, Film und Medien spezialisiert. Dieser Tage plane ich meine nächsten Arbeitswochen.

Anfrage einer Produktionsfirma: Ob ich denn bei einem Dreh in Rostock drei Tage dolmetschen könne? Eine französische Berühmtheit wandelt dort bald auf den Spuren der eigenen Vergangenheit, und ein renommierter Fernsehsender ist auch mit dabei.

Das geht — und zwar richtig gern. Die Laune vergeht mir allerdings, als es ums leidige Geld geht. Man bietet mir 350 Euro je Tag Honorar an, und die Produzentin scheint dabei sogar noch von der eigenen Großzügigkeit überzeugt zu sein!
Selbst die Autorin des längeren Beitrags habe nur einen Tagessatz von 330 Euro, sie arbeite direkt dem Regisseur zu, der ein Pauschalhonorar bekomme. Dann sei da noch die Kamerafrau aus Paris, die oft Stars ins Licht setze (und 400 Euro veranschlage), sowie der Maskenbildner des Stars (zum Freundschaftstarif von 200 Euro).

Bild vom Flohmarkt
Diese Zahlen werden als Teil einer Argumentationskette genannt. Ich erfahre, dass die Kamerafrau einige Tage Vorbereitung abrechnet. Und dass Herr Maskenbildner neues Puder, eine Quaste usw. kauft, das zähle nicht zur Arbeitszeit! Logisch!

Meine Aufgabe ist aber, mich ähnlich intensiv wie die Autorin vorzubereiten.

Es geht um ein komplexes historisches Thema. Ich überschlage die Kosten der Bücher und die Anzahl der zu lesenden Seiten (um die 1800). Die Autorin des Films bekommt die Bücher von der Produktionsfirma gestellt oder vom Verlag zugeschickt. Ich weiß, was ich zu hören kriege, wenn ich auch noch beim Verleger anrufe ... Nun, versuchen kann ich's ja.

Die Autorin wird am Ende das Werk bei den Verwertungsgesellschaften anbieten und erhält Tantiemen. Sie und der Regisseur werden auf ewig mit dem Filmwerk verbunden sein — was den Ruhm angeht und die dadurch erhöhten Chancen, weitere Projekte durchzuführen.

Ich habe das Bücherlesen hochgerechnet. Es handelt sich um anspruchsvolle Werke, da sind mehr als 300 Seiten täglich nicht drin, und an "Verarbeiten" ist nur zu denken, wenn ich am Wochenende den Inhalt rekapituliere und diese Tage nicht mitzähle, Stichwort "Milchmädchenrechnung". Okay, also ... mit dieser Milchmädchenrechnung komme ich auf zwei Tage Vorbereitung je bezahltem Drehtag.

Kurz: Das Dolmetscherhonorar würde am Ende bei 116,67 Euro am Tag liegen, indiskutabel. Der Maskenbildner bekommt 200 pro Tag ... und zwar wirklich für jeden Tag, denn er muss sich ja nicht aufwändig vorbereiten, und seine zweijährige Lehrzeit hat er lange schon amortisiert. Hier haben wir's wieder: Sichtbare und unsichtbare Arbeit! Rein marktwirtschaftlich gerechnet scheint meine vor einem Jahr angedeutete Vermutung, dass der return on investment des Berufs Maskenbildner gar nicht so schlecht scheint, nicht idiotisch zu sein. Aber ein System, das intellektuelle Arbeit zunehmend verachtet, ist dumm.

Okay, zurück zum Telefonat von vorhin. Am Ende des Gesprächs wurden mir immerhin zwei zusätzliche Honorartage zur Vorbereitung angeboten. Vorsichtig, sehr vorsichtig hatte ich meine Argumente vorgebracht, auch für einen höheren Preis. Ob sie ankommen? Das erfahre ich Ende der Woche.

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Foto: C.E., nein, ich rechne nicht mehr in DM!

1 Kommentar:

caro_berlin hat gesagt…

Nachtrag: Aus dem Auftrag wurde nichts. Dreh auf unbestimmte Zeit verschoben.