Donnerstag, 23. Februar 2012

Nachbereitung

Willkommen et bienvenue beim Arbeitstagebuch einer Französischdolmetscherin und -übersetzerin. Meine Arbeitssprachen sind Deutsch und Französisch, meine Interessensschwerpunkte sind Politik, Wirtschaft und Gesellschaft sowie Kunst und Kultur. Bis vor kurzem war ich auf der Berlinale. Und was machen Filmdolmetscher nach dem Festival? Ausruhen, verarbeiten, Rechnungen schreiben, nachbereiten, sich wundern, weiterlernen. Nach dem Event ist vor dem Event. Das Ohr ist geschärft, das Hirn arbeitet unerbittlich weiter ... déformation professionnelle heißt das wohl.

Frankreichkompetenz gibt es nicht in allen Redaktionen und Synchronstudios, das ist logisch. Umso trauriger, dass die Betreffenden nicht bei Fachleuten nachfragen. (Niemand kann alles wissen.) Hier kommt etwas Medienkritik, aber immer ganz positiv und in Verbindung mit Medientipps.

1. Gestern Abend auf Arte, ich sehe den Film "François Truffaut — Eine Autobiografie" bei meiner besten Freundin auf großer Leinwand, einen Film von 2004 in der Regie von Anne Andreu. Leider gibt's in ihrem Kabel nur die deutsche Fassung zu sehen. Natürlich ist auch von dem wunderbaren Spielfilm "Jules et Jim" von 1962 die Rede. Dass man Jim englisch aussprechen müsse, also "Dschim", wird im Film exakt so gesagt, aber alle Sprecher, jene des Kommentars und jene, die Interviewte "dubben" (nicht ganz synchron mit "synchronisieren"), sagen "Jim" mit einfachem Anlaut. Hat denn der Regisseur der deutschen Sprachenfassung keine Ahnung von Truffaut? Oder die französische Regisseurin keinen Vermerk dazu geschrieben? Und Cathérine Deneuve heißt natürlich Deneuve und nicht Deneuf!

Okay, sind wir großzügig, zitieren wir Truffaut: Depuis un certain temps, je suis convaincu que les films vivent par leurs défauts. (Seit einiger Zeit bin ich davon überzeugt, dass Filme von ihren Fehlern leben.)

Der Film läuft noch eine Woche lang in der Mediathek "Arte+7", hier auf Deutsch und hier auf Französisch.

Berlinale-Rose auf dem Coffee-Table aus alten Koffern
Mein 2. Beispiel ist ohne Link, taugt aber als Hinweis dafür, was unsereinen bei nächtlichem Radiohören so ereilen kann. Aus einer Presseschau im deutschen Hörfunk (vorgestern Abend), es wird die Veröffentlichung einer neuen französischen Zeitschrift angekündigt mit dem Titel L'homme parfaite, ich stutze und übersetze automatisch: "die perfekte Mann?" (Der Kopf hat nur kurz gerödelt, um die Verdolmetschung zu finden, denn auf Französisch wurde das Adjektiv "perfekt" eindeutig und fälschlicherweise an ein weibliches Nomen angeglichen, auf Deutsch ist das Adjektiv der/die perfekte Mann/Frau aber für beide Geschlechter identisch, so dass ich stattdessen, um den Gedanken des Weiblichen wiederzugeben, den Artikel le = der, den wir auf Französisch wegen des Buchstaben "h" nicht hören können, es ist kein h aspiré, angleichen muss ... Ähh, hallo?, sind Sie noch da? War das verständlich?) ... und während ich mich noch über "die perfekte Mann" wundere, Metrosex? Transgender?, spricht der Journalist weiter, "l'homme parfaite, [ɔm paʀfɛt] was auf Französisch 'die Unperfekte' heißt" ...

Schluck. Ach so, l'imparfaite [ɛ̃paʀfɛt], das ist aber was ganz anderes ...

Unnützes Neuronenflirren zu nächtlicher Stunde! Aber verstehen Sie jetzt, warum wir im Vorfeld von Dolmetscheinsätzen immer alles ganz genau wissen wollen?


3. Im Film über Truffaut kommt auch das wunderbare Hitchcock-Interview vor, das simultan verdolmetscht wird, ich habe es in meinem Leben mindestens schon zwei Mal in Gänze gehört, immer wieder phantastisch, hier beim Hitchcockwiki in unbegrenzter Dauer hörbar.


Quelle für das Truffaut-Zitat: Nämlicher Film.
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Foto: C.E.

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