Mittwoch, 22. Februar 2012

Berlinale: Schlussklappe

Willkommen auf den Seiten des digitalen Logbuchs einer Sprachmittlerin. Meine Arbeitssprachen sind Französisch, Deutsch ... und Film. An dieser Stelle schreibe ich regelmäßig und so, dass man nicht die Betreffenden, dafür aber durchaus die Situationen erkennen kann, über meinen vielfältigen Berufsalltag, heute: Abschied von der Berlinale, für die ich als Dolmetscherin tätig war.

Am roten Teppich
In den nächsten Tagen treffen sich die Berlinale-Mitarbeiter noch zur "Nachsichtung". Filme, die noch nicht zurückgeschickt worden sind, sind in Mitar-beitervorführungen erneut zu sehen. Es ist auch eine gute Gelegenheit, mit Kolleginnen und Kollegen ins Gespräch zu kommen. Und irgendwie geht das Kontakten der Berlinale weiter, denn viele Berlinale-mitarbeiter sind selbst Filmschaffende oder arbeiten in filmtechnischen Gewerken.

Diese "Nachsichtungen" sind auch Abschiede vom Potsdamer Platz, den viele von uns übers Jahr nur aufsuchen, um ins Filmhaus zu gehen.

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Letztes Jahr kam über die Nachsichtung ein Übersetzungsprojekt zu mir, das allerdings nicht bezahlt war, es ging um einen Kurzfilm, der fast ohne Budget entstand. Das letzte pro bono-Übersetzungsprojekt, wieder ein Kurzfilm, habe ich Sonntag beendet. Auch das ist Netzwerkarbeit.

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Weiter mit dem Berlinale-Rückblick. Der Weg zum Februar-Arbeitsplatz, seit zwölf Jahren: Wenn ich aus dem U-Bahn-Schacht, aus S-Bahn oder Bus steige, muss ich mich selbst an nahezu windstillen Tagen auf plötzlich einsetzende Fallwinde vorbereiten. Gerade in den letzten Tagen mit Minusgraden im zweistelligen Celsiusbereich wirkten diese sogar wie Gletscherwinde. Die Architekten, die den Potsdamer Platz planten, hatten wohl noch nicht die Erfahrung eines Hochhaus-ensembles inmitten einer eher flachen Landschaft gemacht, die das no man's land der ehemaligen Mauer ist. Atemberaubend!

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Bei manchen Empfängen müssen die Gäste neuerdings ihre Häppchen bezahlen. Auch so kann Krise aussehen.

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Lichtspiele unter der Postfuhramtskuppel
Müde und redefaul schlage ich bei einem nächtlichen Empfang im Postfuhramt auf. Es wird wohl die letzte Berlinale sein, dass unter dieser Kuppel in unrestauriertem Zustand lauter Filmemacher und angehende Schauspieler feiern. Etwas stört meine Entspannung: Der Geruch nach Lysol und DDR-Bodenbelag aus Plaste. Wer damit wiederholt in Berührung kam, wird dieses "Aroma" sicher nie vergessen.

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Mit der Banalität und Glanzlosigkeit der Einkaufspassage am Potsdamer Platz, die so oder so ähnlich auch in Amherst, Massachusetts, oder Fayetteville, Arkansas, zu finden ist (ich hab in den 90-er Jahren nachgesehen), bin ich auch nach einem Dutzend Jahre nicht versöhnt: Fressläden, Supermarkt, zwei Drogerien, Apotheke, Klamotten- und ein Eisladen, so ist die Chose schnell zusammengefasst. Auch die umliegenden Kneipen wirken wenig einladend, das mit der Patina hat noch nicht geklappt.

"Wer ist hier, wenn keine Berlinale ist?", will Judith, "Filmeschmeißerin" aus Köln wissen. "Touris und Leute aus der Provinz, die die Hauptstadt sehen wollen", ist die Antwort von Anne, einer Studentin der Filmschule dffb, die neben der Deutschen Kinemathek und dem Kino Arsenal im Filmhaus angesiedelt ist. Dort bin ich auch in den anderen 11,5 Monaten des Jahres häufig, aber nach Veranstaltungen fliehen immer alle, anstatt sich "um die Ecke" beim Wein zu treffen.

Provinziell geworden ist auch die Lokalität, in der einst die Maxx-Bar angesiedelt war, unten rechts im Cinemaxx, von dort hat Knut Elstermann jahrelang sein Berlinaleradio gesendet ... und ich oft Gäste aus frankophonen Landen gedolmetscht. Der Ort ist jetzt historisch ... (Tja, so schnell geht heute "historisch": Die Webseite der Bar steht noch im Netz und mit ihr der Text "Die Maxx-Bar ist die erste gastronomische Einrichtung, die nach dem Wiederaufbau des Potsdamer Platzes auf dem historischen Gelände eröffnet wurde.")

Heute gibt's an gleicher Stelle bei Mom's Favourite sitzplatzoptimierte Nischen und eine, der Name der Lokalität verrät es nicht, italienisch-berlinisch angehauchte Karte. (Italo-Amerikaner kannte ich bislang, aber Italo-Berliner, naja.) Vor allem sind Eleganz und Großzügigkeit aus dem mit senfgelben Bänken vollgestellten Raum verschwunden. Schade.

Ach so, Judith ist natürlich Filmmischmeisterin. (Sie stellt sich nur gern schnellsprechend vor.)
Au revoir, Berlinale, und bis zum nächsten Jahr!

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Fotos: C.E.

1 Kommentar:

Ruth hat gesagt…

Gelungene Beschreibung des Geschehens. Danke, Ruth