Dienstag, 31. Mai 2011

Elle s'exécute

Als Französischdolmetscherin und -übersetzerin gebe ich hier Einblicke in meine Arbeit. Ich lebe in Berlin, bin aber auch oft in Paris ... oder Cannes. Dieser Tage veröffentliche ich hier Randnotizen vom Schreibtisch.

Letzter Tag Drehbuchlektorat. In jedem Buch kommt dieser Audruck mindestens einmal vor: Lise s'excécute. Später steht da auch noch: Paul s'excécute.

Nein, kein französisches Romeo and Juliet, hier begeht niemand Selbstmord.

Auf Deutsch steht da nur: Lise/Paul macht, worum sie/er gebeten wurde.

Das ist auch ein gutes Beispiel für die unterschiedlichen Längen der Worte in den verschiedenen Sprachen: Französisch: 14 Zeichen, Deutsch: 35/36 Zeichen.

Montag, 30. Mai 2011

Singular/Plural

analoge Hilfsmittel
Singular und Plural werden auf Französisch und Deutsch oft unterschiedlich verwendet. Dazu einige Beispiele aus aktuellen Dehbuchübersetzungen.

Astrid saute de la voiture et file en courant vers les toilettes. - Astrid springt aus dem Auto und rennt zum Klo. Hier sind wir auf einer Tankstelle, es gibt mehrere Toiletten, sie aber braucht nur eine, daher wäre die Erwähnung der vielen Toiletten auf Deutsch irgendwie ungelenk. [Das "filer en courant" kommt mir überdies leicht doppelt gemoppelt vor, filer heißt 'verschwinden', 'huschen', aber auch 'sausen'.]

Jean-Marc fronce les sourcils - Jean-Marc zieht die Stirn kraus / Marc runzelt die Stirn. Okay, auf Französisch zieht er die Augenbrauen zusammen, und von denen gibt's im Normalfall zwei, also ist die Redewendung am Ende nicht die gleiche.

Mathilde reprend sa route vers les cuisines. - Mathilde geht wieder zur Küche zurück. Hier ist keine Zimmerflucht aus Hotelküchen gemeint (Teeküche, Küche, Spülküche oder so), sondern eine einfache Küche in einer Wohnung.

Vous me joindrez ce mardi à mes bureaux ! - Ich bin diesen Dienstag im Büro erreichbar! Klingt auf Französisch eleganter und wichtiger, dieser Solo-Selbständige mit seinem (pluriellen) Hinterzimmerbüro ...

'Amour, amour' ...tout de suite les grands mots!? - 'Liebe, Liebe', warum immer gleich solch ein großes Wort verwenden!? Die Franzosen verwenden hier also "große Worte".

Wer Sprachen lernt weiß, dass es mit Vokabellernen nicht getan ist. Die jeweiligen Sprachen funktionieren anders, sehen unterschiedliche Mengen wie hier, wechseln die Perspektive, bezeichnen Mein und Dein anders (persönliche/unpersönliche Ausdrücke sind sehr unterschiedlich im Gebrauch), es gibt ins Französische nicht übersetzbare deutsche Präpositionen usw. Deshalb werden Computer nie mehr als Werkzeuge für gute menschliche Übersetzer sein, denn Satzmelodie und kulturelle Anspielungen kann das System nicht erfassen. Oder anders gesagt: In dem Augenblick, in dem die zeitbedingten Referenzen (von Menschen) programmiert worden sind, sind sie schon wieder veraltet.

Eine Liste der Probleme, die beim Übersetzen zwischen Französisch und Deutsch zu bewältigen sind, hat die Uni meiner Geburtstadt Marburg mit Literaturangaben zusammengestellt, hier: klick.

Freitag, 27. Mai 2011

Kleines Wettbewerbsmadley

Hier ein Zusammenschnitt verschiedener Zitate zum Thema Qualität.

"Qualität setzt sich durch" (Bierwerbung)

"Der Wettbewerb, wie er heute manchmal läuft, erschwert oder bedroht sogar Qualität, denn der Wettbewerbsgedanke wird immer öfter auf den Faktor Geld reduziert." (ein Leser aus Süddeutschland)

"Sehr geehrte Frau Soundso, | von mehreren Kollegen unseres Hauses sind Sie mir als kompetente Simultandolmetscherin Deutsch-Französisch/Französisch-Deutsch empfohlen worden (...) wiederholt Ihre qualitätsvolle Arbeit hervorgehoben (..) Auf Ihr Angebot mit konkreten Brutto-Preisen für den beschriebenen Dolmetschworkload freue ich mich schon jetzt. | Da wir an zuwendungsrechtliche Regeln gebunden sind, müssen wir Vergleichsangebote verschiedener Anbieter einholen. In der Regel entscheiden wir uns dann für das günstigste Angebot." (aktuelle Anfrage)

Der letzte Absatz ist ein Satzbaustein, offenbar aus Formulierungshilfen von Behörden.

Studijob?

Will­kom­men auf den Sei­ten mei­nes Blogs aus der Welt der Spra­chen. Hier wird diese Woche schmutzige Wäsche gewaschen. Sprachglossen und Werk­stattberichte folgen wieder ab Montag.

Manche |Agenturen| Sprachmakler haben jegliches Maß verloren. Am Wo­chen­en­de habe ich hier hier eine Anzeige von einem virtuellen Schwarzen Brett für Uni­jobs hochgeaden. "Lingua World" suchte Dolmetscher für 15 Euro die Stunde. Eine Kollegin war so entsetzt, dass sie direkt in der Agentur anrief, um Klartext zu re­den. Die Dame an der anderen Seite der Leitung faselte etwas von: "Sie müssen verstehen, uns sind die Hände gebunden, die Kunden wollen oft nicht mehr zahlen und wir verdienen als Agentur auch fast gar nichts mehr an den ver­mit­tel­ten Dol­metsch­ein­sätzen!" Na klar, aber sicher!

Die Kollegin hatte auch ein hübsches Gegenargument parat. Die Agenturlady wolle sich doch sicher selbst nicht im Krankheitsfalle von einem Menschen behandelt wis­sen, der vielleicht Fieber messen oder Tabletten anreichen könne, also ein we­nig Arzt sei, aber so richtig leider auch wieder nicht, nur weil Madame weniger für ihre Gesundung zu zahlen gewillt sei ...

Mit einem Klick zum screenshot
Mit ihrem Vergleich liegt Hil­la, so heißt diese Kollegin, gar nicht weit von der Si­tu­a­tion entfernt. Mittwoch sah ich, dass die Anzeige der Firma verändert wurde: Man sucht jetzt Leute aller Fächer für "Community Interpreting" für "ein­fache Be­hör­den­gän­ge", der Stundensatz wird nun allerdings nicht mehr ge­nannt, auch die Höhe nicht angedeutet.

Community Interpreters — das Konzept ist umstritten, hier bald mehr da­­ber — werden auch oft in Krankenhäusern eingesetzt. Ich will auch meine Symptome niemandem anvertrauen, der kein Profi ist. Und die Sätze, die von den be­tref­fen­den Institutionen gezahlt werden, kenne ich auch noch nicht.

***

Nun folgt zum gleichen Thema die Zuschrift eines „frei­lau­fen­den Kon­fe­renz­dol­met­schers“ mit der Bitte um Veröffentlichung. Aber gerne.

„Man muss seine Mitbewerber kennen, also las ich mal die „Dol­met­scher­ver­ein­ba­rung“ von „Lingua World“, gespickt mit Pflichten, Gewährleistungsansprüchen und Strafandrohungen gegen „freie“ Mitarbeiter.

Der Auftraggeber übernimmt — wen wundert’s — keine Pflichten.

Damit keine Scheinselbständigkeit unterstellt werden kann, versichert der Dol­met­scher, „auch für andere Auftraggeber“ tätig zu sein, und er „ist nicht daran ge­hin­dert, im Auftragszeitraum auch für andere Unternehmen tätig zu sein.“

Das riecht nach unternehmerischer Freiheit!
Die Ketten folgen auf dem Fuße:

„Der Dolmetscher gibt dem Auftraggeber jedoch unverzüglich bekannt, sofern er für ein in unmittelbarer Konkurrenz zum Auftraggeber stehendes Unternehmen oder für ein mit einem solchen Konkurrenzunternehmen verbundenes Un­ter­neh­men tätig ist oder beabsichtigt tätig zu werden.“ Ein Verstoß gegen diese An­zei­ge­pflicht ist mit einer Vertragsstrafe von 5050,00 Euro bewehrt.

Ein Papier voller Widersprüche, Angst schürend, juristisch unhaltbar und nach meinem Dafürhalten sittenwidrig, da „freien“ Mitarbeitern bei Ausübung ihrer unternehmerischen Freiheiten Vertragsstrafen drohen. Wer das unterschreibt, versklavt sich.“

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Textillustration: unibrett.net

Dumping (CONT’D)

Schmutzige-Wäsche-Woche auf dem Dolmetscherweblog. Was nervt sonst noch?

Ein öffentlich-rechtlicher TV-Sender, der gern DER europäische Kulturkanal heißen möchte, hat letztens für viele Programme, die aus Deutschland zugeliefert werden, die Budgets gekürzt. Nun scheint man in der Zentrale, die übrigens einen Pool festangestellter Dolmetscher beschäftigt, davon auszugehen, dass die Macher samt und sonders mehrsprachig sind, und falls nicht, dass sich leicht ein(e) andere(r) fände, der den Film genauso gut machen könne. Dem ist nicht so.

Also dürfen Sprachmittler ran. Indes ... Hotel- und Reisekosten: Preise steigend. Technikkosten: nahezu gleichbleibend, denn der Verbilligung der Technik steht die Beschleunigung der Entwicklungen entgegen; Nachkauffristen werden kürzer. Ein hoher Kostenfaktor bleibt das Stammpersonal: Es braucht Zeit, um Filme auszudenken, zu schreiben, zu drehen, zu schneiden. Flexibel und "austauschbar" scheinen Spracharbeiter zu sein. (Wie, der Praktikant traut sich das nicht zu? Google doch mal eben, ob Du jemanden findest.)
Die letzten Jobs, die mir angeboten wurden, sollten mit ca. 75 % des Honorarniveaus von vor zehn Jahren entlohnt werden.

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Eine andere Dolmetscheragentur fragte mich an für Hamburg mit einem Honorarsatz, der ca. 35 % unter dem liegt, was ich selbst verhandelt hätte. Ist für einen großen Kongress, also gab's Mengenrabatt für den Kunden? Ich handle rauf, liege jetzt bei - 25 %, wenn ich ... ja wenn ich der großen Agentur ein wenig entgegenkomme: Manche Kolleginnen würden ja beim ersten Einsatz auf die Berechnung von Reisekosten und -tagegeldern verzichten, denn es sei ja viel wert, bei der Agentur einen Fuß reinzukriegen. Und ich müsse ja schließlich mit den Hamburger Kolleginnen und Kollegen konkurrieren.

Nochmal zurückgespult: Die Firma rief mich an und nicht sie. Da gibt's wohl einen Bedarf, der an Tag X nicht mit den lokalen Kräften gemeistert werden kann. Hatte die Firma nur "Locals" im Kostenvoranschlag stehen? Dann "schicken sie mir schon mal den Vertrag". Zitat: "Unser Zahlungsziel liegt bei 60 Tagen." Die Firma zockt, das Risiko, viel oder weniger viel am Job zu verdienen, soll auf diejenigen abgewälzt werden, die die Arbeit machen, die letzten Endes auch noch die Bank des Unternehmens spielen? Zahlungsziele legt doch der Rechnungssteller fest, oder?
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Berlin plant bei der öffentlichen Auftragsvergabe nur noch Firmen zu berücksichtigen, die ihren Mitarbeitern mindestens 7,50 Euro die Stunde zahlen. Wenn die Stadt ihre eigenen Regeln befolgen würde, könnte sie die Hochschulen dicht machen. So mancher Dolmetscher und Übersetzer unterrichtet ja auch dort als Lehrbeauftragter, und hier scheinen die Honorare seit vierzig Jahren nicht an die Inflation angepasst worden zu sein: 21,40 Euro gibt's für die gehaltene Stunde im Ostteil der Stadt und in Potsdam. Ich rechne: Für jede Doppelstunde, die ich vor Studis stehe, bereite ich mich ca. vier Stunden vor und zwei Stunden nach, dazu kommen Reisezeiten, die mit Potsdam als Ziel und Südostberlin als Wohnort den Zehn-Stunden-Tag abrunden. Meine Arbeitszeit bei Prüfungen kriegt der Staat noch obendrauf, das macht einen sehr langen Arbeitstag für 42,50 Euro abzüglich der (nicht erstattbaren) Fahrtkosten: 36,50 Euro.

Ach, und dann sind da meine Materialien, die Berliner Leihbibliotheken eher nicht vorhalten, ich erwerbe also auch einiges käuflich in der Hoffnung, dass die Unibibliothek bis zum Semesterende auch noch was kauft, sonst verschieben sich wieder die Hausarbeiten so weit ins nächste Semester, dann dauert das Korrigieren länger. In meinem Fall, ich unterrichte (inzwischen seltener) Film, Medienwirtschaft und Französisch für Filmschaffende, sind die Kosten ziemlich hoch, Fachbücher kosten, DVDs auch (die ich im Seminar gar nicht zeigen darf: Keine Hochschullizenz. Also Handapparat). Aber wer will denn kleinlich sein, wer schaut aufs Geld, wenn er für ein spannendes Lehrangebot eingekauft wurde? 

Komisches Gefühl, wenn ich sagen wir mal an einem Montag als de facto Ein-Euro-Lehrerin die Akademiker von morgen ausbilde und am Tag danach ein einstündiges Frühstück mit aktiven Politikern zum (reduzierten) Tagessatz von 850 Euro abrechnen darf. Warum ist die Handvoll Politiker 850 Mal so viel wert als meine 40 Studis im überfüllten Seminarraum?

Vorschlag für den Staat: Führt doch wenigstens für unsereinen für den real geleisteten Aufwand Versicherungsbeiträge ab! Und dann ran an die Reform der Finanzierung der Lehre! — Fachleute gehen davon aus, dass je nach Studiengang bis zu 45 % der Lehr- und Prüfungsleistungen von Lehrbeauftragten übernommen werden.

Dumping kommt von "to dump": abladen, verschleudern, wegschmeißen.

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Foto: C.E. (aus Strasbourg)
Zu diesem Bild gehört das.

Donnerstag, 26. Mai 2011

Vergangenheit immer gegenwärtig

Diese Woche geht's um, naja, eher politische Probleme im Leben einer Französischdolmetscherin und -übersetzerin. Wer hier vor allem die gewohnten Sprachglossen und Alltagsnotizen aus der Werkstatt sucht, der schalte sich ab Montag wieder zu. Schmutzige-Wäsche-Woche beim Dolmetscherweblog.

Nach meinem Eintrag vom 21. April erreichten mich viele Fragen, warum manche Dolmetscher besonders in Berlin bis ins hohe Alter tätig sind. Denn hier werken mitunter Sprachmittler, denen das Altenteil von Herzen gegönnt werden könnte. In der Klasse der altgedienten Kollegen gibt es auch große Stilisten und Superhirne, aber insgesamt ist es doch mit uns Menschen wie mit Wein: Nicht alle Jahrgänge altern gleich gut.

Haltung bewahren! oder: DDR-Werbeslogans wie
"Verschönern formend die Figur"
haben wir immer gern verballhornt
Bei den Gründen dafür, dass nicht nur die Talentiertesten auch über das Rentenalter hinaus weiterarbeiten, ist es wichtig, die Herkunft der Betreffenden zu betrachten. Wer in der DDR Dolmetscher studieren durfte, war eine Vertrauensperson, wurde dann oft "Reisekader" (durfte also über die innerdeutsche Grenze reisen), konnte sogar mitunter Ferien im "nichtsozialistischen Ausland" machen. Dazu musste der- oder diejenige nicht nur im zarten Schüleralter schon eine vertrauenswürdige Person sein, sondern diesen Status durch regelmäßige Zusammenarbeit erhalten. Ich werte das jetzt nicht, das will und kann ich mir nicht anmaßen. Ich bin aufgrund der Tatsache, dass ich in eine Familie hineingeboren wurde, die weit von der Staatsmacht entfernt war, niemals auch nur in die Nähe einer Versuchung gelangt, mich im Tausch gegen Vorteile in Abhängigkeiten zu begeben. Und ich hatte das Glück, trotz Ostwurzeln im Westteil Deutschlands aufzuwachsen, die DDR also "nur" ab dem zarten Alter von vier regelmäßig als Urlaubsland zu erleben.

Fakt ist aber, dass alle, die in irgendeiner Weise der DDR-Regierung nahestanden oder aus Westsicht in den Verdacht gerieten, ihr nahegestanden zu haben, politisch gekürzte Renten erhalten in einer Höhe, die vermutlich dem Lebensminimum entspricht. Daher nutzen manche älteren Berufstätigen aus vielen Bereichen ihre alten Netzwerke, um diese Minimalrente aufzustocken. Auch hier: In ihrer Lage würde ich vermutlich das gleiche tun, ein Urteil kann ich mir nicht anmaßen. (Aufgrund meiner Vita wäre ich nur nie in ihre Lage gekommen.)

Die Pauschalverurteilungen des Westens einerseits passen nicht zusammen mit einem Laxismus, den etliche (meist westliche) Verantwortliche heute an den Tag legen. Versuchen Menschen wie ich das Thema vorsichtig anzusprechen, wird gleich alles abgeblockt mit den ewiggleichen Sätzen aus dem Abwiegelungsrepertoire deutscher Vergangenheitsverweigerer. Hier meine kleine, nicht repräsentative und keinerlei Vollständigkeit anstrebende Sammlung:
"Lass doch die Vergangenheit ruhen."
"Es ist schon so lange her."
"Könnt ihr nicht endlich mal verzeihen?"
"Ich kann/wir können das nicht beurteilen."
"Du bist doch nur verärgert, weil du persönliche Einbußen hast."
"Sie verkaufen eben mehr als du, Heimatgefühl und Kontakte."

Das könnte jetzt alles sehr verbittert klingen, ist aber nicht so gemeint. Ich stelle nur fest, ich werte nicht. Ich konstatiere lediglich die etwas missliche Lage der Zwischengeneration: Wir finanzieren mit unserer Steuer natürlich auch Renten mit, die wiederum andere in die Lage versetzen, zu teilweise unterirdischen Preisen dolmetschen zu gehen, da sie ja nur "Aufstocker" sind.
Inzwischen habe ich meine verschiedenen Nischen gefunden, die ich mitunter als noch anstrengender empfinde, als Dolmetschen ohnehin ist — (unterbezahlte) Jugend-/Sozialarbeit in Verbindung mit Dolmetschen, das tagelange Sitzen beim Übersetzen von Drehbüchern, ermüdende Reisetätigkeit zu Jobs außerhalb Berlins. Aber ich bin mit meinem Beruf sehr zufrieden und weiß, dass ich für mich weiterhin auf der richtigen Seite der Geschichte stehe (sorry für das Pathos, mir fällt nichts Schlichteres ein). Und dass es manchmal wichtig ist, geduldig zu sein.

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Illustration: Kinowerbung aus den Zwanziger (?)
Jahren, vom Flohmarkt, leider undatiert

Mittwoch, 25. Mai 2011

Echos

Was bisher geschah: Eine Journalistin, die gerne mit Sprachen jongliert, drückt nach den ersten Berufsjahren nochmal die Schulbank, um Dolmetscherin zu werden. Sie spezialisiert sich neben Kulturwirtschaft und Politik auf Film: Dreharbeiten, Festivals und vor allem Dolmetschen vor Kinostarts. 
Seit einigen Jahren treten nun Wettbewerber auf den Plan, die es weder mit der Dolmetscherei, noch mit der Unabhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Journalismus sonderlich ernst zu nehmen scheinen. Wie damit umgehen? 

Es gab auch sehr schöne Reaktionen auf meine zweiteilige Dekonspiration. Davon möchte ich hier wiederum zwei spiegeln. Und wo's diese Woche schon um (schmutzige) Wäsche geht, schrubbe ich morgen weiter, aber andere Skandälchen!

Lesern, die hier nur meinen Berichten aus der Kabine oder vom Übersetzerschreibtisch folgen möchten, sage ich voller Vorfreude aufs Wiedersehen: Bis Montag! Denn ich tippe wieder eifrig an der nächsten Drehbuchübersetzung und habe mir schon zwei Themen für das Blog notiert: "Wie aus dem französischen Plural ein deutsches Singular wird" und "elle s'exécute". (Nein, Anonymus, keine Selbstabschaffungsintentionen!)

So, jetzt die Reaktionen. Übersetzerkollegin Jette schrieb:
Die fünf Säulen des Glücks sind: Lebe im Hier und Jetzt - sei dankbar - nimm Dich nicht so ernst - lass das Vergleichen sein - lebe voller Leidenschaft!
Diese Worte haben mich so sehr gefreut, dass ich sie hier mit Ihnen teilen möchte.

Noch ein Echo, diesmal von Journalisten. Und sorry für die Meta-Ebene, soll nicht zur Gewohnheit werden.

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Quelle(n): critic.de und artechock.de

Dienstag, 24. Mai 2011

Bordell (*)

Hier schreibt eine Übersetzerin und Dolmetscherin für die französische Sprache über ihren Berufsalltag am Kreuzungspunkt zwischen (babylonischer) Sprachverwirrung, Medien, Wirtschaft, Politik und Starsystem.

"Gab's Widerspruch zu gestern?", werde ich per Mail gefragt. Gestern schrieb ich über Journalisten, die dem Objekt ihrer Berichterstattung auch noch PR-Texte widmen und/oder als improvisierte Sprachmittler erfahrenen Dolmetschern unlauteren Wettbewerb  machen. Ja, es gab zwei unflätige Zuschriften, die ich nicht hochlud. Ich habe da einen besonderen 'Freund' in meiner Leserschaft, der gern unter die Gürtellinie zielt. Da frage ich mich nur, warum sich der Anonymus das Leid antut, dieses grässliche Blog hier überhaupt zu verfolgen! Und es flatterte auch viel Zustimmung rein sowie Hinweise auf andere kritische Stimmen, die sich zum Thema äußerten. Von einem Text habe ich schon seit dem Anfang der Filmfestspiele von Cannes Kenntnis.

Bereits 2007 schrieb Rüdiger Suchsland unter der Überschrift "Cinema Moralia" auf Artechock"Filmkritik und Korruption ist ein Thema, das zu wenig beachtet wird, und mehr beachtet werden sollte. Ein Beispiel: Pressehefte schreiben. Es ist, wie ins Bordell zu gehen: Viele tun das, kaum einer redet darüber."
Als Grund dafür nennt Suchsland das Stagnieren der Honorare der Filmkritiker. Er nennt den Vorgang eine "schleichende Korruption", zeigt Verständnis für Menschen in Existenznöten — und befindet, es sei trotzdem inakzeptabel, denn derlei ruiniere einen ganzen Berufsstand. Suchsland nennt nach ersten Beispielen den "Fall eines — im Übrigen persönlich recht sympathischen — Berliner 'Kritikers', der 2006 für einen Film das Presseheft verfertigte, bei den Interviews für die Kollegen dolmetschte, um dann noch gleich selbst ein Interview im Radio zu veröffentlichen und eine Kritik in einem Magazin schrieb."

Suchsland macht die Grenze zur Korruption an der Transparenz fest. (Das habe ich letztens auf einem Podium auch so gefordert.) Wenn ein Journalist ein Interview führt, dessen Tranksript ins Presseheft Eingang findet, sollte dieses namentlich gekennzeichnet sein. So lägen die Karten für alle offen auf dem Tisch, so der Kritiker der Filmkritik. Und er schließt mit dem lakonischen Satz: "Aber vielleicht sollte man sogar das lassen."

Und dann kommt gleich noch ein Schluss. Ein heftiger sogar. Suchsland nennt das Nicht-darüber-Reden einen anderen Aspekt der Korruption. Denn eine Krähe hacke der anderen kein Auge aus, so argumentiere man "in der Branche". Das fulminante Ende (dieses Gedankens): "Täte der Filmkritik nicht ein wenig mehr Kritik der Kritik gut, ein beim-Namen-nennen der Dinge. Wer korrupt ist, muss auch korrupt genannt werden. Und wer dumm ist, dumm."

Er nennt keine Namen. Warum? Suchsland beendet seinen Beitrag zum 3. Mal, und zwar mit den Worten: "Es gibt nicht nur Kadavergehorsam, sondern auch Kadaversolidarität."

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Foto: privat
(*) über [bɔrdɛl] schrieb ich bereits hier.

Montag, 23. Mai 2011

Produktionskette

Wir leben in einer arbeitsteiligen Welt. Binse. Zugleich erleben wir, wie manche Berufe entwertet werden. Die Entwertung läuft wie so oft übers Geld. Als ich Kind war, galt zum Beispiel Journalist als ernstzunehmender Beruf, mit dem sich durchaus, wie es so schön hieß, eine Familie ernähren konnte.

Journalisten bringen mitunter Licht ins Dunkel
Dieses Vorwort ist mir wichtig. Ich bin froh, von Hause aus zwar Journalistin, aber genug Fähigkeiten und Talente gehabt zu haben, um durch Zweitstudium den Umstieg in die Spracharbeit geschafft zu haben.

Denn inzwischen ist Journalismus zu einem "Job" verkommen. Verglichen mit den Massen freier Journalisten sehen nur noch wenige Festangestellte oder "Feste Freie" zum Beispiel der öffentlich-rechtlichen Hauptsender, wie sich Anerkennung für ihre Arbeit auch einmal monatlich in klingender Münze ausdrückt. Die wirklich "Freien" nennen diese happy few gern "Beamtenjournalisten", rümpfen die Nase — und leiden selbst an sinkenden Honoraren.

Dann gehen sie ins Heimbüro, von wo manche ihren Nebenjob anleiern. Zu meinem letzten Dolmetschjob fuhr mich ein taxifahrender Journalist. Eine Journalistin, im Nebenberuf Versicherungsmaklerin, sandte mir unlängst ein Angebot zu einer Berufsunfähigkeitsversicherung zu. Und immer mehr Journalisten machen PR.

Die eine frühere Kollegin ist Musikberichterstatterin, sie jobbt nebenbei für einen namhaften Autohersteller. Sie trennt ihre Arbeitsbereiche sauber.

Ihr Kollege ist Buchkritiker, schreibt selbst Bücher und bespricht vor allem Werke, die im gleichen Verlag bzw. in Töchtern desselben Hauses erscheinen. Sie finden das unangebracht? Ich auch. Wieder ein anderer Journalistenkollege sitzt in einem Filmfördergremium, entscheidet dabei über die Verteilung öffentlicher Mittel an Projekte — und kann dann, wenn der Film fertig ist, seine eigene Einschätzung als Filmkritiker wiederholen.
Zum Glück folgt das Publikum nicht immer den Kritikermeinungen, aber die Gegenmacht, die "Mundpropaganda" des Publikums, ist geschwächt, denn die Filmwirtschaft leidet an einem Überangebot von Filmen, die jede Woche neu starten. Den einzelnen Werken bleibt kaum noch die Zeit die es braucht, bis sich ein guter Film rumspricht und die potentiellen Zuschauer auch Zeit finden, es wirklich ins Kino zu schaffen.

Zitat: Siegfried Geißenhammer, den das Netz nur mit diesem
Satz kennt. Wer versteckt sich hinter dem Pseudonym?
Anderes Beispiel: Der Journalist, der eine Filmreihe kuratiert, ein Buch dazu veröffentlicht und in seiner angestammten Zeitung diese Reihe auch noch kritisch würdigt. Der Kollege argumentiert, er decke damit nur alle Etappen der Kommunikation ab; er hätte eben gelernt, mit den sinkenden Tantiemen auszukommen, die ihm die Zeitung zahlt. Das Problem: Die Vorstellung der Filmreihe geht über die reinen Fakten hinaus, und an keiner Stelle steht in der Zeitung, dass der Autor dieser Zeilen zugleich die künstlerische Leitung der Veranstaltung innehatte. Als Leserin empfinde ich das wie Betrug; die Zeitung, aber auch der vom Bund finanzierte Ort der Veranstaltung sinken in meinem Ansehen.

Immer mehr PR-Texte finden in redaktionelle Teile der Medien Einzug, darüber berichten Aussteiger, die sich von der Berichterstattung ab- und der reinen PR-Arbeit oder einer anderen Aufgabe zuwenden. Und sie berichten von Anrufen der Werbekunden, wenn kritische Texte zu ihren Produkten in Printmedien erscheinen, von "Medienpartnerschaften", die Kritik behindern, von unter dem Kostendruck ächzenden und nachgebenden Chefs, Verlegern oder Herausgebern.

Warum ich das hier schreibe? Als in Berlin lebende Dolmetscherin für die französische Sprache habe ich mich auf Film und Medien spezialisiert. Daher übersetzte ich jahrelang Pressehefte und dolmetschte Stars, Regisseure und andere Künstler bei Interviews, die sie vor Filmstarts gaben. Das scheint jetzt zu Ende zu sein. Eine Journalistin, die gute Kontakte zu diversen Leitmedien hat, brachte ihre Schulzeit in einem französischsprachigen Land ins Feld und deckt jetzt "alle Bereiche der Produktionskette eigenständig ab", wie mir ein Filmverleih mitteilte.

Gérard Jugnot in Berlin, verdolmetscht von der Autorin
Und natürlich stellt sie auch noch nebenbei eigene Fragen für den eigenen Beitrag. Verleiher und PR-Agenten dürfen sich dabei also sicher sein, dass der eigene Film in jenen von ihr bedienten Medien in der pole position startet. Ich spreche hier von ca. 15 Presseheften und 15-20 Tagen Dolmetscheinsätzen für die Presse jährlich; und die Person erarbeitet sich darüberhinaus immer mehr den Ruf, eine "Fachkraft" für frankophones Kino in Berlin zu sein. Andere Journalisten haben da das Nachsehen.

Die kulturelle Anerkennung für das Ergebnis ihrer Mauscheleien folgt also auf dem Fuße. Ich finde das bitter. "Medienmanipulation" wird die einseitige Darstellung von Tatsachen durch Journalisten gemeinhin genannt, wozu auch die Bevorzugung mancher Sujets (oder Filme) in der Konkurrenz des Berichtenswerten zählt. Die fragliche Person äußert sich logischerweise nur noch wohlwollend zu den Filmen, zu denen sie vorab als Honorarkraft tätig wurde.

Pikanterie am Ende: Mich kennen noch viele Journalisten, und oft darf ich mir die digital aufgezeichnete "Arbeit" der unlauteren Wettbewerberin anhören, denn vieles wird von ihr in diesen "Verdolmetschungen" grob vereinfacht, verfälscht oder ganz ausgelassen. Die anderen Berichterstatter wünschen natürlich zu erfahren, was ihnen da entgangen ist. Beim nächsten Mal bitte ich die Journalisten, den Interviewausschnitt an den Verleiher zu senden.

Résumé: Finanziell abhängige Journalisten gefährden von innen heraus die Pressefreiheit, indem sie die journalistische Ethik einer anzustrebenden Neutralität mit Füßen treten. Und ich spreche hier nicht über den Privatsender "TV Berlin", sondern von öffentlich-rechtlichen Leitmedien und von etlichen zentralen Organen der Film- und Haupstadtberichterstattung.


P.S.: Dieses Thema, Ende letzten Jahres unter Journalisten vorgebracht, löste fast nur Häme aus. Weil ich in einem früheren Leben selbst Journalistin war, haben mich diese Reaktionen doppelt entsetzt. Mir wurde unterstellt, ich sei ja nur deshalb kritisch, weil ich selbst wirtschaftliche Einbußen zu erleiden hätte (die ich durch Drehbuchübersetzungen mehr als kompensierte). Vermutlich aber sind selbst viel mehr Leute befangen, als wir als "einfache Leser" annehmen. Und natürlich habe ich hier die Fälle, Geschlechter und Medien ein wenig 'anonymisiert'.
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Fotos: C. Elias (z.T. von einer Journalisten-
fortbildung, auf der ich dolmetschte. Den Wein
erhielt ich anschließend zum Dank.)
Mehr zum PR-Journalismus bei freelens.

Sonntag, 22. Mai 2011

Bildschirmschoner

Heute kein besonders schönes, sondern ein besonders praktisches Bild. Aus meinen Vokabelkarten habe ich mir einen Bildschirmschoner 'gebastelt'. In der Regel kann ich hier schon den jeweils unsichtbaren Begriff, nur die zu lernende Vokabel wird angezeigt.


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Foto: C. Elias

Samstag, 21. Mai 2011

Manche Agenturen ...

Was mir heute zugeschickt wurde, ist eine bodenlose Unverschämtheit. Die nach­fol­gen­de Anzeige stammt von einem "schwarzen Brett" des weltweiten Netzes, auf dem Studierende Nebenjobs finden können.

Dolmetschen als Studijob? Wissen die Kunden, dass sie unqualifizierten Nachwuchs einkaufen? Und zu welchem Preis? Was die Studis kriegen sollen, steht ja nun mal fest (weniger als für qualifizierte Nachhilfe).
Und weil die Chose ja genauso im Netz steht, anonymisiere ich die Anzeige nicht.

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Gefunden auf: www.unibrett.net

Hinter den Kulissen

Ein Blick hinter die Kulissen des Europäischen Parlaments gefällig? Hier ein Film über die Arbeit der Dolmetscher in der EU:


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Film: EuroparlTV

Freitag, 20. Mai 2011

Schreibmaschine

Parallel zu den Filmfestspielen von Cannes lesen Sie hier im Weblog einer Französischdolmetscherin (und -übersetzerin) aus Berlin Kurzbeiträge, die im Vorfeld entstanden sind.

Eine lustige Frage wurde an den Weblog gerichtet, und zwar: "Zählt ein großer Buchstabe bei einer Übersetzung als zwei Buchstaben?"

Schnelle Antwort: Natürlich nicht! Lange Antwort: Vielleicht kam die Frage auf, weil beim Tippen eines Großbuchstabens zusätzlich zum Buchstaben noch die Shift-Taste bemüht werden muss, ein kleiner Mehraufwand. Verglichen mit früher ist dieser Aufwand aber minimal.

Einst war der "Wagen" der Schreibmaschine hochzuwuchten, damit das jeweilige Ärmchen der Maschine mit dem entsprechenden Großbuchstaben die Walze mit dem draufgespannten Papier an exakt der richtigen Stelle treffen konnte. Und am Zeilenende musste der Wagen an die Ausgangsposition zurückgeschoben werden. Damals war noch viel Kraft vonnöten, siehe unten. Da hätte eine doppelte Berechnung durchaus einen Grund gehabt. (Es gab sie trotzdem nie.)

Wer das Filmchen unten nicht versteht, der fragt am besten Mami oder Papi.


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Film: YouTube

Donnerstag, 19. Mai 2011

Pünktliche Martha

Theater filmen (im BE)
Als Französischdolmetscherin mit Wohnsitz Berlin kenne ich die ganze Reihe deutscher Vorurteile, was Frankreich angeht, und auch die Liste dessen, was Franzosen so über Deutschland denken oder gedacht haben, ist mir vertraut.

Dazu gehören auch Sprachkenntnisse. Wer beruflich nach Berlin kommt und verdolmetscht wird, hat meist einen höheren Bildungsstand als jene, die ich unterwegs in den Ländern antreffe, in denen meine zweite Arbeitssprache gesprochen wird. Das mal kurz als zweite Vorrede. Schwierig wird es immer dann, wenn es in Gesprächen um kulturellen Austausch oder Menschen anderer Länder geht. Bei der Nennung von Eigennamen oder Kunstrichtungen muss ich als Dolmetscherin schon mehr als im Vollbesitz der geistigen Kräfte sein, ich bin gezwungen, permanent alle Energien zu mobilisieren, die ich zur Verfügung habe. Und stoße an meine Grenzen.

Beispiel und Ende der sich aufs Thema stetig zumäandernden Sätze: Wir sind bei einer Fortbildung in Sachen Film- und Bühnenkunst in einem französischsprachigen Land beim Gedankenaustausch unter Kollegen. Es werden ständig Buch- und Filmtitel in der Übersetzung zitiert, die mit dem Originaltitel oftmals nicht viel zu tun haben, das ist schon nicht leicht. Mancher zitiert mit dem jeweiligen Bildungshintergrund dann schon auch mal das — hier gehäuft anzutreffende englischsprachige — Original. Nett gemeint, aber das bringt mich mitunter erst recht in Schleuderkurs, denn, ähem, naja, manche Franzosen praktizieren eine etwas andere Aussprache des Englischen als native speakers oder des Englischen kundige Deutsche. Die Allôvertpèntingse (Alowährpähntingss) hatte ich hier glaub ich schon mal erwähnt. Das zu verstehen klappt nur, wenn ich dem Wort "hinterherhören", also sein Echo wahrnehmen, es im Geiste hin- und herdrehen kann. All over paintings oder auch 'Flächenmalerei' war also das, was mich ca. 1986 im Descartes-Hörsaal der Sorbonne laut auflachen ließ.

Wenn ich dolmetsche, geht das nicht. Dann kann ich nicht im Geiste "zurückspulen" und "nachhören", dann wird jedes Echo vom neuerlich Gesagten überlagert, dem ich mich überdies noch dolmetschend widmen muss.

Und mit Eigennamen geht es mir manchmal genauso. Bei der Fortbildung neulich hatte ich nur einen deutschen Dolmetschkunden, wir führten gewissermaßen über die Distanz hinweg ein (indes recht einseitiges) Privatgespräch, er hatte seinen Kopfhörer, ich das Mikrophon. Erschwerend kam hinzu, dass ich mir meinen "Ausgangston" ohne jeden Verstärker aus dem Publikum fischen musste, also jedes Räuspern, Füßescharren oder Flüstern das Verständnis nicht gerade erleichterte. So konnte ich prompt nur einmal sagen: "Name des Künstlers leider nicht verstanden." Es war so etwas wie Marthe à l'heure, also eine "pünktliche Martha", mein Rätsel gab ich ihm auch noch mit.

Es ging um Zeiterfahrung und Timing, soviel stand fest, insofern war das mit dem "pünktlich" nicht ganz weit gegriffen. Irgendwann war klar, es geht um Theater. Der Gesuchte ist Schweizer. Da durften Kunde und Dolmetscherin etwas laut grinsen, als uns irgendwann schwante, um wen es hier ging. Die anderen, kopfhöhrerlosen, haben sich kurz nach uns umgedreht und nicht verstanden, was uns da erheiterte.

Marthe à l'heure.
Haben Sie's?

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Foto: C.E. (Archiv, hat nichts mit dem
Gesuchten zu tun)

Mittwoch, 18. Mai 2011

Mon Dieu ...

... ein Pos­ses­siv­pro­no­men! Eben bei Spiegel Online gesehen:
Dem Namen nach ist die Autorin eine Frau, es müsste doch eigentlich ihre Landsleute heißen, oder? (Auf Französisch ist ses concitoyens richtig.) 
Mit seinen Landsleuten werden indes die von DSK bezeichnet (auf Französisch ebenfalls ses concitoyens).
Wessen Landsleute sind hier also gemeint, ihre oder seine? Lesen wir weiter:

Der ganze Artikel argumentiert aus ihrer Perspektive. Oder ist das jetzt Haarspalterei? Der chapeau (*), wie der "Vorspann" auf Journalistenfranzösisch heißt, also der fettgedruckte Vorlauf, der den Artikel zwischen Überschrift und Textcorpus ankündigt oder zusammenfasst, ist auch beim wiederholten Lesen so uneindeutig wie das berühmte Vexierbild mit der alten und der jungen Frau.

Wie dem auch sei: eigentlich wollte ich nur schon lange mal was über in beiden Sprachen unterschiedliche Possessivpronomina schreiben, allein des Wortes wegen ...

(*) le chapeau - der Hut oder der Vorspann
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Illustrationen: Spiegel online
und historisches Psychologielehrbuch

Dienstag, 17. Mai 2011

haircut ...

Parallel zu den Filmfestspielen von Cannes lesen Sie im Weblog einer Berliner Dolmetscherin und Übersetzerin für die französische Sprache im Vorfeld geplante Kurzbeiträge. Ähnlichkeiten mit aktuellen Vorgängen sind rein zufällig.

Haircut nennen Geldpolitiker und Banker einen "Schuldenschnitt", also die Erlassung/Verringerung von Schulden von Ländern wie zum Beispiel Griechenland.
Niedlich! (Wenn's nicht so ernst wäre!)
Das ist für mich die gleiche Kategorie wie  "Entsorgungspark" (für atomare Brennstäbe),"peanuts" (Ackermann) oder "Minuswachstum" (für manchen Abbau).

Musikergehör

Parallel zu den Filmfestspielen von Cannes poste ich eine Reihe aktueller Meldungen oder nicht aktueller Hintergrundberichte, die direkt oder indirekt mit meiner Arbeit als Dolmetscherin/Übersetzerin für die französische Sprache zu tun haben. Heute eine Fundsache aus der aktuellen Wochenzeitung "DIE ZEIT":

Musiker, die spätestens mit neun Jahren ein Instrument gelernt und ihr Leben lang mehr oder weniger regelmäßig gespielt haben, leiden seltener unter typischen Alterserscheinungen, die das Gehör betreffen (PLoS One, online). So ist ihr auditives Gedächtnis im Alter zwischen 45 und 65 Jahren besser als das von Nichtmusikern. Außerdem erhalten sie sich durch das musikalische Training länger die Fähigkeit, Sprache in lauten Umgebungen zu erkennen. Das musikalische Training sorgt den Studienautoren zufolge für ein Feintuning des Nervensystems und erspart den Musikern altersbedingte Kommunikationsprobleme.

Quelle: DIE ZEIT N° 20 vom 12.05.2011, S. 44, Rubrik "Wissen"

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Foto: Mein Ohr beim Frisör aus dem
Blogeintrag "Damenwerdung"

Montag, 16. Mai 2011

Portfolio

Erstens kommt es anders, zweitens als man denkt, das wusste schon der olle Brecht.

Eigentlich sollte ich ab Montag ein seeeehr französisches Drehbuch nicht nur sprachlich 'eindeutschen', sondern auch an die Gegebenheiten Berlins anpassen. Dieses Filmprojekt aus Frankreich hat sich inhaltlich zwischen der 3. und 6. Drehbuchfassung immer mehr nach Berlin verlagert, aber jetzt ist die Hauptdarstellerin schwanger, daher wird alles um ein Jahr verschoben.

Das junge Familienglück  alles Gute! — verschiebt auch meine Arbeitspläne. Nun ist es so, dass dieses Jahr in Cannes das deutschsprachige Kino nicht besonders viel ... ähem ... Präsenz zeigt, also im großen Saal und in den Festivalsektionen. Also haben wir kurzfristig Kapazitäten frei!

Wir sind ein Netzwerk von auf Wirtschaft, Medien, Kultur, Gesellschaft und Kino spezialisierten Dolmetschern und Übersetzern. Als Fachfrau für Frankreich lebe ich großenteils in Berlin und biete von der Recherche über Rewriting, Drehbuchübersetzung, Sprachcoaching und Setdolmetschen bis zur Pressearbeit vor Filmstarts alles aus einer Hand an.

Als frühere Journalistin weiß ich, was die Damen und Herren Medienvertreter brauchen: Mindestens vier Adjektive, wenn vom Star fünf angeboten worden sind (statt zwei oder drei, wie es Laien schaffen) und Verdolmetschungen, in denen die Stars auf Deutsch jeweils anders klingen (und nicht alle wie ein- und derselbe Journalist, der sich nebenbei als Dolmetscher ausgibt).

Da ich selbst als Autorin tätig bin, werde ich oft für Adaptionen wie dem obenstehenden Projekt gebucht. Mein Ziel ist es, dass ein Buch in der deutschen Fassung am Ende so klingt, als wäre es auf Deutsch geschrieben worden, und nicht nach Papier raschelt oder eben ... übersetzt klingt. Das ist nicht immer so einfach. Wir sichern dieses Qualitätskriterium durch gegenseitiges Korrekturlesen ab.

Oder eben ich passe an, helfe in einer frühen Phase schon mal mit, Drehorte zu suchen und zu fotografieren, denn der Filmförderantrag will bebildert sein. Letztens habe ich für einen Teaser historisches Filmmaterial im Archiv rausgesucht und vorgeschnitten - hier kommt mir meine berufliche Vergangenheit als Journalistin zugute.

Noch ein kurzes "Sorry" für meine Dauerleser über diesen Beitrag mit eher werblichem Charakter, aber auch diese Situation spiegelt die Arbeits- und Lebenswelt einer freiberuflichen Spracharbeiterin wider: Erstens gebucht zu sein, andere Jobs weitervermittelt zu haben ... und aufgrund von höherer Gewalt kommt es zweitens — anders, als man denkt.

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Foto: privat

Sprechweisen

Variationen der Sprechweisen
Parallel zu den Filmfestspielen von Cannes poste ich eine Reihe aktueller Meldungen oder nicht aktueller Hintergrundberichte, die direkt oder indirekt mit meiner Arbeit als Dolmetscherin/Übersetzerin für die französische Sprache zu tun haben.

Wissenschaftler der Universität Michigan haben untersucht, wie wir am überzeugendsten sprechen. Auch für uns Dolmetscher ist das Ergebnis wichtig, geht es hier doch um Sprechweisen.

Am 14. Mai 2011 wurden auf der Jahrestagung des Nordamerikanischen Verbands für Meinungsforschung die Ergebnisse einer Untersuchung vorgestellt, die Sprechgeschwindigkeit in Verbindung setzte mit der Tatsache, ob die Empfänger eine Information als glaubhaft einschätzten oder nicht. Bei der Untersuchung ging es zwar um Telefonumfragen, doch die Ergebnisse lassen sich auch auf andere Bereiche übertragen, zum Beispiel den Alltag wissenschaftlicher Konferenzen.

Für die Studie wurden die Aufnahmen von 1.380 Anrufen ausgewertet, die Arbeit von 100 männlichen und weiblichen Telefonbefragern.

"Interviewer, die mit ca. 3,5 Worte pro Sekunde gemäßigt schnell sprachen, waren sehr viel häufiger erfolgreich, wenn sie Zustimmung zu einer von den Interviewern geäußerten Meinungen hören wollten, als Interviewer, die schneller oder sehr langsam sprechen", sagte Jose Benki, Wissenschaftler am Institut für sozialwissenschaftliche Forschung (ISR) der Universität Michigan.

Schnellsprechern werde rasch misstraut, als wollten sie etwas oktroyieren. Zu viele Tempoänderungen oder zu langsames Sprechen würden als unnatürlich und gekünstelt wahrgenommen.

Auch der Einsatz von Pausen interessierte die Forscher. Ergebnis: Viele kurze Pausen wurden als angenehmer empfunden als Sprechweisen, in denen kaum Pausen vorkommen. "Wenn Menschen sprechen, machen sie natürlicherweise vier bis fünf Pausen pro Minute", sagte Benki. "Es kann sich dabei um stumme oder 'gefüllte' Pausen handeln", wird der Forscher weiter zitiert, indes nicht aufgeklärt, was "gefüllte" Pausen sind. Ich nehme an, hier sind Räuspern und Verlegenheitsgeräusche wie "äh" gemeint. Wer keine Pausen macht, führt der Forscher weiter aus, erfahre weniger Zustimmungen zu seinen Aussagen, weil es zu 'abgelesen' klänge.

Und noch ein interessanter Aspekt: "Menschen, die zu viele Pausen machen, werden als nicht frei fließende Sprecher wahrgenommen. Aber es war interessant, dass selbst der am wenigsten fließende Sprecher höhere Erfolgsquoten aufzuweisen hatte als jene, die perfekt fließend sprechen" (Benki).

Die englische Sprache kommt mit weniger Buchstaben je Wort aus, auch hier gibt es mehr knappe Worte, wie im Französischen (ich schrieb erst letzte Woche darüber). Bei Übersetzungen vom Englischen ins Deutsche ist die deutsche Fassung fast immer um 20 – 25 % länger. Entsprechend müssen wir den Wert von 3,5 Worten pro Sekunde umrechnen.

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Foto und Zitate: Danke an den
University of Michigan News Service
Die Pressemeldung der Uni dazu hier.

Sonntag, 15. Mai 2011

Rasselbande

Neulich in Frankreich: Wir drehen mit Filmnachwuchs in einem kiosque à musique, wie diese runden Bühnen für Musiker inmitten von Parks genannt werden.


Jede unserer Bewegungen im Musikpavillon wird von einer energiegeladenen kleinen Bande verfolgt, die mich sofort an französische Kinderfilme denken lässt.


Und gleich weiß ich, welche Kinderfilmklassiker ich in den nächsten Monaten mit meinem Patensohn sehen werde: La guerre des boutons (Krieg der Knöpfe) mit Kindern, die zusammenhalten; Zazie dans le métro (Zazie in der Metro), mit einer kecken jungen Mademoiselle; Le ballon rouge (Der rote Luftballon) mit einem charmanten, altmodischen Frankreich ... und was derlei Späße mehr sind.


Die heutigen Sonntagsbilder sind einem nicht mehr ganz jungen "Geburtstagskind" gewidmet, das sich einst auch mit so einer gutgelaunten Rasselbande umgeben hat.

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Fotos: C. Elias

Samstag, 14. Mai 2011

Sprichwortgenerator

Zwischen stundenlangem Korrekturlesephasen (das verlängerte Kreuz tut weh!) brauche ich nicht nur sportliche Pausen, sondern auch was fürs "Hürn".

Hier, was mich diese Woche zum Lachen brachte: ein Sprichwortgenerator!
Manche Ergebnisse lesen sich wie echte Sprichworte ...

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Textgrafik: C.E.

Freitag, 13. Mai 2011

Komposita

Französische Übersetzerkollegen zählen Worte, bevor sie eine Rechnung schreiben, wir in Deutschland aber Anschläge mit Leerzeichen. Warum das so ist, will Claire aus Paris von mir wissen.

Nichts einfacher als das, chère Claire. Die französische Sprache kennt eine Vielzahl von häufig verwendeten Worten, die aus nur einem oder zwei Buchstaben bestehen, a, à, y, le, la, un, il, on, va, ma, ta, sa, ça ... Das Deutsche zeichnet sich aber durch seine zusammengesetzten Worte aus, nur ein Beispiel: Wer bei dem von mir auf 74 Buchstaben verlängerten
Donaudampfschifffahrtsgesellschaftskapitänsanzugshosenknopfgarnhersteller
"Kinderkram" sagt, denke bitte über den
Bundesausbildungsförderungsgesetznovellenentwurf
nach, dieser "Kinderkram" vom Substantivaneinanderreihung braucht immerhin 48 Anschläge.

Im Französischen ist derlei nur als Ausnahme möglich. Einst lernte ich, dass die längste französische Vokabel anticonstitutionnellement sei, das hat immerhin 25 Zeichen, aber wird nur selten gebraucht.

Donnerstag, 12. Mai 2011

Der Tag steht auf

Manchmal wäre ich gerne Handwerker, denn die
berechnen schon das "Vorhalten" des Werkzeugs
Mit was für einer Chuzpe einen mancher anruft ... und eine Dienstleistung zum Schleuderpreis wünscht! Kaum fassbar.

Eine Firma kontaktiert mich, man hätte da ein Drehbuch, das ein Bekannter der Chefin übersetzt hätte, das bräuchte noch ein wenig Feinschliff. Ich versuche nachzufragen, was der Bekannte beruflich so macht, studiert hat, seine Muttersprache usw., stoße aber auf eine Mauer.

Das Buch liest sich in etwa so:
Paul ist immer noch im Kraftfahrzeug am Eingang vor dem Kinosaal. Da sieht er Anne. Sie dreht zum Ende der Straße. Paul dreht da auch ab. 
Sie hält einen Sack in die Hand. Sie hält sich vor dem Schaufenster eines Kaffees auf und schaut ins Interieur. Sie sieht nur Iwan, der sitzt an einer Tafel, trinkt ein Glas.
Iwan lässt seinen Blick ziehen. Mit die blutbefleckte Nase beobachtet er die Straße; er hat unter den Augen die Ampel und die Leute, die LKW's und die PKW's. Er wird so sehr in in die Betrachtung getaucht; er bemerkt nicht die Anwesenheit seiner Frëundin. 
Eine Zeit. Der Tag steht auf.
Und hier das Original:
Paul est toujours dans la voiture, à l’arrêt, en face de la salle de cinéma. Là, il voit Anne. Elle tourne au bout de la rue. Paul tourne lui aussi.
Elle tient un sac à la main. Elle s’arrête devant la vitrine d’un café et regarde à l’intérieur. Elle voit Ivan, assis seul à une table, qui boit un verre.
Ivan laisse trainer son regard. Avec son nez ensanglanté, il observe la rue qu'il a sous les yeux, le feu rouge et les gens, les camions et les voitures. Il est tellement plongé dans dans la contemplation qu'il ne remarque pas la présence de sa conjointe.
Un temps. Le jour se lève.
Das war jetzt eine einfache Passage. Sorry, da ist nichts zu machen. Was den Bekannten angeht, tippe ich auf Deutsch erste Fremdsprache, aber ein Vierteljahrhundert her. Längst verjährt! Das Ergebnis ist, wie mein Patensohn sagen würde, ein "minibisschen" besser als mit automatischer Übersetzung, vielleicht entstand so aber auch die Arbeitsgrundlage.

Um auf den Feinschliff zurückzukommen: Hier hilft das beste Werkzeug nichts. Das Material hat an sichtbaren Stellen Astlöcher und ist verschnitten.

Ergebnis: Ich riet der Firma, das Buch komplett neu übersetzen zu lassen, von einem Profi diesmal, denn die Fassung hübschen auch keine fünf oder sechs Stunden Lektorat mehr auf (das wäre für die aufgerufene Summe zu haben gewesen).

Früher aufstehen, Leute! Nachdenken vor der Auftragsvergabe! Natürlich hab ich den Job nicht angenommen. Mal sehen, was als nächstes kommt. Bis dahin mache ich mit Buchhaltung weiter.

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Illustration: Kinowerbung aus den Zwanziger (?)
Jahren, vom Flohmarkt, leider undatiert

Mittwoch, 11. Mai 2011

Mehr Luft!

Schönes Holz haben sie hier verbaut!

Ich sehe mich um, suche an der Tür eine kleine Frischluftanlage, dann schaue ich mir die Rückwand an, dann die Decke. Mancher Pustefix, der uns Luft zuwirbelt, ist mit einem kleinen Kippschalter von innen bedienbar, denn es gibt Geräte, die laut sind und im Störfall (besonders leise sprechende Redner zum Beispiel) rasch ausgemacht werden können. Andere Frischluftbringer führen sanft strömende kalte Luft an Rücken und Nacken, was zu partiell unterkühlten Körperteilen führen kann (gefährlich!, vor allem dann, wenn es der/die konzentriert arbeitende Dolmetscher/in erst schleichend merkt ...)

Perfide auch diese Art Luftquirl, in dessen Wind sich unsereiner fühlt wie ein Erlkönig im Windkanal. In allen drei Fällen ist es klasse, das Teil notfalls von innen ausmachen zu können.

Und hier? Mein Blick schweift weiter, Richtung Scheibe. Die Kollegin dolmetscht ruhig und beständig vor sich hin, es tauchen kaum Eigennamen oder Zahlen auf, die ich für sie mitschreiben müsste. Und trotz genauen Absuchens des Kabineninneren finde ich nicht mal einen Luftschlitz. Nur in der Decke des Tagungsraums gibt's Öffnungen, oder sind die von der Sprinkleranlage?

Die Luft im Kabineninneren wird immer knapper. Ich beneide die Redner. Wo sie sind, an der Tribüne, müsste es Frischluft geben. Aber woran liegt's, dass unser Vortragender jetzt immer langsamer wird? Die Mittagspause ist noch nicht lange her, ist es verspätetet einsetzendes Suppenkoma? Oder ist ansteckendes Gähnen in der Zuhörerschaft daran schuld? Redner, spreche bitte schneller, damit die Kaffeepause nicht wieder verschoben wird. Mehr Luft, bitte!

Aber doch bitte so langsam, dass wir noch mitkommen! So, und gleich bin ich dran. Noch schnell einen Schluck Wasser trinken und ...

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Fotos: C. Elias

Dienstag, 10. Mai 2011

Szenenbeschreibungen

Hinten links die Drehbücher,
vorne links der Kalender ...
Letzte Drehbuchlesungen vor Cannes. Vergangene Woche haben die Produktionsfirmen schon einiges gedruckt, das derzeit in der Messekiste gen Süden reist. 
Jetzt schnell noch letzte Texte lesen ... weshalb ich heute der Einfachheit wegen mal wieder einen Blick auf den Schreibtisch fallen lasse.

Vorab gleich ein Geständnis: Ich gehe auf die Fünfzig zu, denn in wenigen Monaten werde ich in meinem Leben 50 Drehbücher übersetzt oder lektoriert haben, 20 in den ersten zwölf Berufsjahren, und 27 in den letzten zweieinhalb Jahren. Die ersten zehn Bücher dieser neuen "Reihe" waren Stress, ich musste mich immer an den Schreibtisch prügeln, weil ich ungern dauersitze; die nächsten zehn Bücher waren einsetzende Routine, weil ich erleichtert merkte, was ich alles schon kann; seither fühle ich mich wie eine Pianistin, die auf der Tastatur spielt (die auf Französisch auch prompt le clavier heißt).

Gesprochene Sprache "konnte" ich schon früher, das habe ich meinem ersten Berufsleben als Radiojournalistin zu verdanken. Worin ich jetzt viel hinzugelernt habe, sind Szenenbeschreibungen. Hier geht es darum, möglichst viel Stimmung und nebenbei auch das Besondere zu vermitteln, die später zu einem sich von der Masse der Filme abhebenden filmischen Werk führen soll. Nun, das Drehbuch ist nicht alles, aber ein gutes Buch ist die beste Grundlage, dafür tippe ich also jetzt jährlich eine Million Anschläge (nur fürs Übersetzen/Adaptieren von ca. zehn scénarios).

Wie aber werden die schönsten Einstiege vermittelt? Wie liest sich solch ein Text, der Verkaufstext, aber auch beizeiten der zentrale Informationsgeber für Filmökonomen, Szenenbildner, Ausstatter, Kostüm- und Kameraleute ist? Ich kann jetzt nur von den Franzosen berichten, die allzu technische Begriffe in Drehbüchern vermeiden. Der Effekt, eine Kamerafahrt gesehen zu haben oder harte Schnitte mit Zeitsprüngen, soll beim Leser im Kopf entstehen, ohne dass die Dinge explizit benannt werden: Der Leser wird zum Zuschauer.

Eine gemauerte Wand, an der ein Barockspiegel über einem Fresstrog für Kühe hängt, in den sich Wasser aus einem Industriewasserkran ergießt; darüber gedämpftes Technowummern. Am Rand hängt noch etwas Putz an der nackten Mauer, etwa handtellergroße, rissige Platten. Es ist die Wand der Toilette eines angesagten Restaurants in Berlin.
Am "Waschbecken" steht ein Mann von Ende Zwanzig, dessen blondes Haar ein kahlrasiertes Gesicht einrahmt. Es ist Ben. Angestrengt säbelt er ein Stück Shit mit dem Taschenmesser ab. Am Ende gelingt es ihm. Er steckt es in die Tasche, verstaut den Rest in seinen Socken. 
Das Wummern wird lauter, ein anderer Gast betritt das Klo, Ben zuckt kurz zusammen, der andere stellt sich ans Pissoir. Ben betrachtet sich kurz im Spiegel, als wollte er sich selbst beruhigen. Sein Blick fällt auf den Riss im Putz, der größer wird.
Er öffnet die Waschraumtür; lautes Wummern, das wieder leiser wird; ein Putzfladen fällt ins Waschbecken.

Die Stelle, es ist ein Filmanfang, habe ich natürlich verändert bzw. neu montiert, denn das Buch ist ja noch nicht verfilmt. Mir geht's hier um die Reihenfolge des Beschriebenen, die fast schon der Auflösung entspricht. Wir sehen Details, eine wandernde Kamera am Anfang, die sucht, bis sie sich öffnet: Dann sehen wir den Protagonisten bei seinem "Gelderwerb", die Außenwelt kommt akustisch rein und in Person des anderen Restaurantgasts; und das Wummern, das an anderer Stelle ins Dampframmengedröhn moderner Presslufthammer übergeht, bedroht nicht nur den Putz des mit Bordmitteln improvisierten Herrenklos einer trendigen Gastronomie, sondern das ganze Haus selbst und damit einen real existierenden Ort, an dem Ben und seine Kumpane ansonsten in späteren Lebensjahren und sinnesgewandelt ihren Lebensmittelpunkt und damit eine Existenz hätten finden können.

Dieses Buch über Ben liest sich so wie eine moderne Variante der Lebensgeschichte des Franz Biberkopf. Er treibt ausgehend von einem alten Haus in Alex-Nähe seinen Handel, er wird nachher mit Befremden zusehen, wie sich anderenorts wohlhabende Menschen in Schaufenstern mit Bestecken aus Edelstahl Nahrungsmittel in die Münder schieben und seine "Mieze" geht fragwürdigen Geschäften nach ... Das wäre jetzt die Übertragung eines Plots ins Berlin der Nuller Jahre unseres Jahrhunderts.

Bei meinen Übersetzungen muss ich immer an Claude Chabrol denken, der mal im Interview erzählte, wie in seinen Drehbüchern jede Stelle eines jeden Satzes, aber auch jeder Absatz und damit auch jedes Satzzeichen eine Bedeutung hätten. Ich kann es nur vage rekonstruieren bzw. mit dem verbinden, was ich in den letzten Jahren gelernt habe. Kommata sind kleine Veränderungen in ein- und derselben Einstellung, ein Semikolon ist ein Sprung von einer auf eine andere Ebene (hier in die Akustik, die sonst in Drehbüchern kaum vorkommt, in unserem Beispiel aber fast eine eigene Rolle spielt), beim Punkt wird geschnitten oder sogar die Kamera umgestellt. Oder geschieht das erst, wenn ein neuer Satz am Anfang der nächsten Zeile losgeht? Und der nächste Absatz? (Liebe Chabrol-Interviewer von vor zehn Jahren, wenn ihr das lest: Mich würde eine Kopie des Mitschnitts sehr interessieren! D'avance merci !)

Die Szene auf dem Herrenklo in Alexnähe kann ich mir ebenso montiert wie in einem Zug durchgedreht vorstellen; die letzte Variante, die Plansequenz, ist mir persönlich lieber.

Es wäre auch ein schönes Augenzwinkern an die Filmgeschichte, die viele Filmanfänge mit langen Einstellungen kennt.

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Foto: C. Elias (Archiv)

Montag, 9. Mai 2011

Arg, Ärger

Es gibt Mails, die lösche ich meistens ganz schnell, wenn ich nicht wie dieses Mal merken würde, dass sie nicht zufällig übers Netz systematisch an viele Textarbeiter gehen. Denn nachstehendes Textchen bekamen letzte Woche etliche Kolleginnen und Kollegen zugesandt.
Sehr geehrte Damen und Herren,
meine Firma wird in ca. 1 Woche ein neue Online Plattform im Finanznachrichten Umfeld vorstellen. Hier werden täglich u.a. ca. 180 Handelsempfehlungen dargestellt. Hierfür setzen wir Analysten aus aller Welt ein, die uns diese Texte auf Englisch zur Verfügung stellen. Die Texte bestehen aus weniger Wörtern Überschrift - max. 1/2 Normzeile sowie einem Haupttext ca. 1-3 Normzeilen, wobei jedoch viele Zahlen dabei sind. Diese Texte müssen wir in das Deutsche übersetzen. (...)
Eine erste Versuchsphase hat gezeigt, dass die durchschnittliche bis max. Übersetzungszeit pro Text 3min beträgt. Wir würden pauschal pro Text 1€ bezahlen, wodurch ein Stundenlohn von mind. 20€ erreicht werden kann.
Würden nicht irgendwo Übersetzer auf derlei "Angebote" eingehen, niemand hätte sich wohl die Arbeit gemacht und ein solches Anschreiben verfasst und verschickt. Derlei Dumping müsste eigentlich für alle (angehenden) Akademiker tabu sein. Aber es finden sich offenbar ausreichend Menschen in Notlage, die sich (Berufsanfänger? Nebenjobber?) darauf einlassen und damit die eigenen Perspektiven verringern.
Noch was: Wenn ich Informationen über Wirtschaftsdaten suchen würde, mein Vertrauen erhielte niemand, der offensichtlich Mühe hat, Zahlen richtig darzustellen. Ein Durchschnitt kann jedenfalls nicht, wie hier geschehen, mit einer Maximalziffer nahezu gleichgesetzt werden.

Und seine Ein-Euro-Texchen, die kann sich der Anfragende mit seinem fehlerhaften Deutsch gern sonstwohin stecken ... oder in eine der kostenlosen Übersetzungsmaschinen, die's im Netz zuhauf gibt. Viel schlimmer kann das ja nicht mehr werden.

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Foto: wordle

Sonntag, 8. Mai 2011

The sound of summer

Nein, ich fürchte, wir werden ihn nicht sehr lieben, und küssen schon gar nicht.

Seit drei Tagen sitzt er nun da, an der anderen Uferseite des Landwehrkanals, auf der Bank direkt gegenüber: der dunkelhaarige Mann mit seiner Quetschkommode. Er holt aus seinem Instrument so ziemlich alles das heraus, was die Pariser, Berliner und Londoner Straßen- und U-Bahnmusikanten auch an Bekannterem zu fiedeln, flöten oder quetschen imstande sind, also sämtliche Gassenhauer, die für kurze Zeit Aufmerksamkeit und eine wohlwollende, das Portemonnaie lockernde Stimmung bei Passanten erzeugen können.

Dagegen sind Balkonkatzen leise ...
Ich sage "können", wie als wär's ein Beipackzettel eines nicht anerkannten Medikaments. Und ich schrieb "Passanten". Nein, ich bin keine Passantin, und er sitzt meinem Balkon direkt gegenüber. Die Balkontür steht den halben Sommer lang offen da. Mein "Vorbeigehen" beschränkt sich zur gemeinsamen Arbeitszeit auf kurze Gänge zum Balkon, um nach Balkonpflanzen zu sehen oder dem Wetter, oder in die Küche, Tee kochen.

Am ersten Tag erfreut mich sein Gequetsche noch, da es sich mit dem Zwitschern der Vögel, dem Plappern der Kinder und dem dümmlichen Gelaber vom Band kommender Ortsbeschreibungen der Touristenschiffe mischt. Der Sound des Sommers halt ...

Am zweiten Tag sitze ich überraschend lang in der Küche, dann ist Haushalt angesagt und Freundinnenbesuch. Am dritten Tag bin ich viel draußen, es ist Sonntag, und trotzdem auch im Arbeitszimmer, ich bin selbständig.

Und morgen? Werde ich meine Gewohnheiten ändern? Im Balkonzimmer lerne ich immer Vokabeln und studiere im Lesesessel. Außerdem spreche ich mir dort am Esstisch die übersetzten Drehbücher laut vor. Im Arbeitszimmer schreibe und lerne ich, wenn es umfangreiche Dokumente gibt, die ich mit dem Stift in der Hand lesen muss. Hier liegt die Akte für die Buchhaltung, hier sind die Bücherschränke mit der Fachliteratur. In der Küche und im Gästezimmer lese ich Korrektur.

Der dunkelhaarige Mann mit der Quetschkommode wird meine Gewohnheiten durcheinanderbringen. Denn wie sagte meine Nachbarin Katrin gestern Abend, als wir uns an den Mülltonnen trafen: "Am Ende des Sommers werden wir ihn hassen!"

So lange, Katrin, wird's nicht dauern. Aber vielleicht kommt ja jemand aus der mitleidenden Nachbarschaft auf die Idee ihm Noten beizubringen, damit er seine manchmal etwas ungefähr nachgespielten Tubes verbessern und sein Repertoire vergrößern kann. Während ich diese Zeilen schreibe, hat er gerade ein 34-minütiges "Bésame mucho" beendet.

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Foto: C.E.

Radkopf

Beim Europäischen Rat in Straßburg habe ich neulich meinen Kopf kreativ abgelenkt, damit die Vokabeln nicht immer im Oberstübchen Karussell fahren. Hier mein Sonntagsfoto, ein anderer "Radkopf":


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Foto: C. Elias

Samstag, 7. Mai 2011

Duden online

Sehr gut! Der Duden ist jetzt online: hier.

Und dort gibt's die lange Fassung der untenstehenden Pressemeldung.

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Quelle: Duden

Freitag, 6. Mai 2011

Wörtlich

Buchhaltung
Sprache auch mal wörtlich zu nehmen, das wird bei uns weitervererbt. Schon als Kind erhielt ich viele Denkanstöße dazu, auch, weil meine Eltern mir oft erklärten, woher dieses oder jenes Wort kommt.

So fühle ich mich mit Einträgen wie dem vom 1. Mai in bester Familientradition.

Die weitergeführt wird: Mein Patensohn, mit dem ich jedes Jahr viele Wochen verbringe (beide Eltern sind beim Film), nahm letztens ein Buch zur Hand und sagte keck schmunzelnd: "Ich bin jetzt ein Buchhalter!"

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Text+Bild: C.E.

Donnerstag, 5. Mai 2011

Ausschreibung: Filmseminar


Peuple & Culture Marseille proudly presents
.
Deutsch-französischer Lehrgang

Dokumentarisches Kino heute:
Filmvermittlung und Filmkulturen

vom 6. bis 13.07.2011

- in Zusammenarbeit mit dem Internationalen Dokumentarfilmfestival Marseille "FIDMarseille" -

Parallel zum Dokumentarfilmfestival FID (6.-11.07.2011) findet in Marseille ein Lehrgang über "Dokumentarisches Kino" statt. Der Kurs bietet im Zeitraum vom 6. bis 13. Juli 2011 umfassende Einblicke in unterschiedliche Formen und Handschriften dokumentarischer Kinofilme an, die ergänzend zu den Sichtungen in einer deutsch-französischen Seminargruppe vertieft werden. Fragen der Filmästhetik, -herstellung und -vermittlung (darunter Verleih/Vertrieb, Programmplanung, Seminargestaltung) diskutieren die Teilnehmer in der Gruppe sowie mit Gästen. Dabei besteht auch die Gelegenheit, eigene Erfahrungen der Teilnehmer in diesem Feld miteinander zu konfrontieren. Französisch- und Englischkenntnisse sind erwünscht. (Die Filme sind oft englisch untertitelt.)

Der Lehrgang findet zwischen Seminar- und Kinoraum statt, wobei Seminarinhalte vermittelt, erarbeitet, ergänzt und in Gesprächen mit Fachleuten vertieft werden. Die Teilnehmer selbst bringen ihr Vorwissen und ihre Fachkenntnisse mit ein. Die Kommunikation innerhalb der Gruppe steht ebenfalls im Mittelpunkt.

Zielgruppe
Der Lehrgang steht grundsätzlich allen am Dokumentarkino interessierten Menschen offen, die bereits einen praktischen Bezug zum Thema haben oder diesen noch planen, also künstlerischen Mitwirkenden, Dozenten und Filmpädagogen, Verleih-/Vertriebsprofis sowie (auch ehrenamtlichen) Mitarbeitern von Festivals. Die Arbeitsbereiche können sein: Vertrieb, Programmplanung, Produktion/Regie. Voraussetzung für die Teilnahme ist eine Auswahl durch die Veranstalter.

Weiterlesen bitte hier!

Voranmeldung ab sofort und bis zum 08.06.2011. per E-Mail an cecile.tp[at]gmail.com

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Gefördert vom deutsch-französischen
Jugendwerk

Mittwoch, 4. Mai 2011

Filmtipp

Dolmetscher begleiten alle Etappen des Lebens und können auch an alle Orte gelangen: von Aufgebot bis Zeugungsakt (ich wurde einmal zum Dolmetschen in ein Zentrum für Reproduktionsmedizin bestellt) und von Autobahnpolizei bis Zuchthaus, von Anlegestelle bis Zentralflughafen ... Das macht unseren Beruf ja auch so spannend.

Letztes Jahr dolmetschte ich im Anatomiesaal, es war ein Dreh für den TV-Sender Arte. Hier schrieb ich darüber.
Der Film "Botox - Ein Gift macht Karriere" von Antje Christ ist derzeit in der Arte-Mediathek zu sehen (und leider nur noch bis Freitagabend, ich hab den Sendetermin selbst verpasst): kurzfristig gültiger Link.

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(C): C.E.