Freitag, 24. Juni 2011

Wort und Klang

Referenzen, letzter Teil. Der Text von gestern wird nachgetragen, wenn es mir die Arbeitsrhythmen erlauben.

Zum Dolmetschen kam ich, weil ich über Interferenzen nachdachte. Ich war auf dem Weg zur spät erworbenen Zweisprachigkeit und merkte, wie immer wieder das andere Idiom in den jeweils einen Sprachfluss 'reinfunkte', wenn ich sprach. Ich wollte der Sache auf den Grund gehen und mir außerdem in Ruhe ansehen, womit ich in den hektischen Mauerfall- und Wendejahren als Studentin von einem Tag auf den anderen begonnen hatte: Kulturvermittlung mit Sprache als Grundlage.

In einem ersten Schritt stieß ich auf Wissenschaftler, die es als größte Leistung Zwei­spra­chi­ger darstellten, die beiden Sprachen nicht zu vermischen. Kritische Stimmen über Zweisprachigkeit waren zu hören, dass es die geistige Energie vermindere zum Beispiel, weil doch jedes Wort auch gleich noch seine Zusatzinformation mitbringen müsse, zu welchem Idiom dieser oder jener Begriff denn nun gehöre. Die Forscher meinten Vokabeln wie im Fall meiner Sprachkombination hier für auf Deutsch "hier und jetzt", in der gleichen Schreibung heißt auf Französisch hier aber "gestern". Ein anderes Beispiel wäre rat, auf Deutsch ein konjugiertes Verb : "rat' mal", auf Französisch das Substantiv le rat für "Ratte".

Ich hörte mir die Theorien an und zog weiter, in Richtung Dolmetschabteilung der Humboldt-Universität eben, denn mir schien das zu verkopft, eine Projektion einsprachiger Wissenschaftler auf die mehrsprachige Welt zu sein. Bei den Interferenzen störten vielmehr grammatische Strukturen, Rhythmen, die in der einen Sprache so, in der anderen aber ganz anders klingen, was nicht in Übereinstimmung zu bringen war und was mich manchmal fast körperlich geschmerzt hat.

Nun hat ScienceDaily dem Thema Zweisprachigkeit einen kurzen Betrag gewidmet und dabei festgestellt, dass Forscher neuerdings herausgefunden hätten, dass Zweisprachigkeit "no big deal for the brain" sei. Der Psycholinguist Mike Vitevitch aus Kansas nannte die "den Worten innewohnende Eigenschaft des Klangs als ausreichend großen Informationsträger darüber, zu welcher Sprache ein Wort gehört." Die Idee mit der (leistungsschwächenden) Verkupplung mit Sekundärinformationen gilt damit als verworfen.

Meine Rede! Nicht die Vokabeln sind das Problem, denn ich nehme die gleich aussehenden, aber komplett anders klingenden Worte als das wahr, was sie sind: zwei unterschiedliche Worte. Das geschieht allein durch Klang und Gebrauch, also den Kontext. Es ist genauso wie mit gleich geschriebenen Eigennamen in den verschiedenen Sprachen, die ich auch als zwei Namen wahrnehme, weil sie wie im Fall von "Anne" und "Anne" (hier fehlt die Phonetiktastatur) zwei unterschiedliche Personen bezeichnen.

Und während ich darüber nachdenke, merke ich, dass ich sogar in ein- und derselben Sprache gleiche Eigennamen bei unterschiedlichen Personen anders wahrnehme, je nachdem, auf welchen Träger sie sich beziehen. Ich habe mich schon sehr gewundert, als in meinem Umfeld mal jemand feststellte, dass der Cutter mit den raspelkurzen Haaren und der Kulturwissenschaftler aus der Kantine doch den gleichen Namen hätten ....

Es sind also die Klänge der jeweiligen Sprachen und der Kontext, in denen die Begriffe aufgerufen werden, die uns Gleichgeschriebenes unterscheiden lassen, und das mühelos.


Programmhinweis (leider erst sehr spät entdeckt):
Lieber Deutschlandfunk, bitte wiederholen Sie diese Sendung und/oder veröffentlichen Sie das Manuskript! Vorab vielen Dank!
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Foto "the": C.E. Seit wann schreiben Engländer Fraktur?
Keine Angst, die Buchstaben stammen aus "Apotheke".
Ein Wort, dem Kontext entrissen ...

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Bin zwar nicht vom Deutschlandfunk, aber habe es gerade interessehalber gegoogelt und das Manuskript gefunden:

http://www.dradio.de/dlf/sendungen/dasfeature/1453326/

PDF- und Textdatei befindet sich rechts unter "Links zum Beitrag".

Grüße,
A.

caro_berlin hat gesagt…

Hier kommt mein spätes, doch nicht minder herzliches "merci beaucoup, André !"