Dienstag, 28. Juni 2011

Klärung

Bonjour ! Sie haben das Arbeitstagebuch einer Französischdolmetscherin und Übersetzerin mit Wohnort Berlin und Einsätzen und unterschiedlichen Arbeits­orten wie Paris, Cannes, Marseille, Hamburg, München usw. aufgeschlagen. Was und wie wir arbeiten, geschieht meist außerhalb des Gesichtsfeldes der Öffent­lich­keit. Auch, um möglichem Nachwuchs die Berufswahl zu erleichtern, gewähre ich hier kleine Einblicke in unsere Berufswirklichkeit.

Oft erleben wir Einsätze, die ziemlich technisch geraten. Das, was wir ver­dolmetschen müssen, steckt voller Fach­termini, und die Sachverhalte sind komplex. Einige Wochen vor dem Termin erhalten wir üblicherweise dazu Material, so dass wir uns einlesen und Vokabellisten erstellen konnten.
Dann lernen wir Dolmetscher für bilaterale Einsätze  in denen es aus beiden Sprachen in beide Sprachen geht — Vokabeln. Nach dem Lernen kommt das Üben, geht es doch darum, aus dem frisch übergestreiften, passiven Wortschatz einen arbeitsfesten, aktiven zu machen.

Später, im Einsatz, sind Vokabelzettel und Notizblock immer in Reichweite und werden auch benutzt, zum Beispiel bei Abkürzungen. Die Arbeit ist anstrengend. Ich höre "mit" bei dem was ich sage, aber diese Kontrolle ist formaler Art: Gab es einen Punkt am Ende? Passt das Verb zum Rest des Satzes? usw. Alle Energie geht in die Spracharbeit und es fehlt an Kraft, um den eigenen output aus der nötigen Distanz kritisch zu durchleuchten. Wie gut ich die Fachtermini wirklich beherrsche, erschließt sich mir nur aus den Antworten und den Rückfragen.

Neulich, auf Delegationsreise, stellte einer der Verantwortlichen besonders viele Rückfragen. In den kurzen Arbeitspausen blitzt mir eine Frage ins Hirn: Wollte er es besonders genau wissen, oder hat sich ein Fehler eingeschlichen in meine Lexik? Das ist eine gute und zugleich gefährliche Frage. Denn in diesem Augenblick hebt die Selbstkritik an. In der Situation als Solo-Dolmetscherin, die eine Delega­tion begleitet, fehlt jegliche kritische Distanz zur eigenen Arbeit, ich habe nicht einmal den Schutzraum einer Dolmetscherkabine, und auch eine Kollegin für feed back ist dieses Mal eben auch nicht an meiner Seite.

Selbstzweifel sind eine Mühle, deren Betrieb viel Energie abzieht, also trete ich die Flucht nach vorn an und frage in einer kleinen Pause mal möglichst beiläufig einen meiner französischen Kunden: "Und, ist alles verständlich?" Die Antwort folgt auf dem Fuße: "Tja, das ist doch alles recht technisch, meine Deutsch­kenntnisse aus der Schule helfen da wirklich nicht weiter!"

Super. Das war mal wieder die richtige Antwort, nämlich die falsche; auf diese Sprache hatte sich meine Frage gar nicht bezogen.

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Foto: C.E.

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