Donnerstag, 26. Mai 2011

Vergangenheit immer gegenwärtig

Diese Woche geht's um, naja, eher politische Probleme im Leben einer Französischdolmetscherin und -übersetzerin. Wer hier vor allem die gewohnten Sprachglossen und Alltagsnotizen aus der Werkstatt sucht, der schalte sich ab Montag wieder zu. Schmutzige-Wäsche-Woche beim Dolmetscherweblog.

Nach meinem Eintrag vom 21. April erreichten mich viele Fragen, warum manche Dolmetscher besonders in Berlin bis ins hohe Alter tätig sind. Denn hier werken mitunter Sprachmittler, denen das Altenteil von Herzen gegönnt werden könnte. In der Klasse der altgedienten Kollegen gibt es auch große Stilisten und Superhirne, aber insgesamt ist es doch mit uns Menschen wie mit Wein: Nicht alle Jahrgänge altern gleich gut.

Haltung bewahren! oder: DDR-Werbeslogans wie
"Verschönern formend die Figur"
haben wir immer gern verballhornt
Bei den Gründen dafür, dass nicht nur die Talentiertesten auch über das Rentenalter hinaus weiterarbeiten, ist es wichtig, die Herkunft der Betreffenden zu betrachten. Wer in der DDR Dolmetscher studieren durfte, war eine Vertrauensperson, wurde dann oft "Reisekader" (durfte also über die innerdeutsche Grenze reisen), konnte sogar mitunter Ferien im "nichtsozialistischen Ausland" machen. Dazu musste der- oder diejenige nicht nur im zarten Schüleralter schon eine vertrauenswürdige Person sein, sondern diesen Status durch regelmäßige Zusammenarbeit erhalten. Ich werte das jetzt nicht, das will und kann ich mir nicht anmaßen. Ich bin aufgrund der Tatsache, dass ich in eine Familie hineingeboren wurde, die weit von der Staatsmacht entfernt war, niemals auch nur in die Nähe einer Versuchung gelangt, mich im Tausch gegen Vorteile in Abhängigkeiten zu begeben. Und ich hatte das Glück, trotz Ostwurzeln im Westteil Deutschlands aufzuwachsen, die DDR also "nur" ab dem zarten Alter von vier regelmäßig als Urlaubsland zu erleben.

Fakt ist aber, dass alle, die in irgendeiner Weise der DDR-Regierung nahestanden oder aus Westsicht in den Verdacht gerieten, ihr nahegestanden zu haben, politisch gekürzte Renten erhalten in einer Höhe, die vermutlich dem Lebensminimum entspricht. Daher nutzen manche älteren Berufstätigen aus vielen Bereichen ihre alten Netzwerke, um diese Minimalrente aufzustocken. Auch hier: In ihrer Lage würde ich vermutlich das gleiche tun, ein Urteil kann ich mir nicht anmaßen. (Aufgrund meiner Vita wäre ich nur nie in ihre Lage gekommen.)

Die Pauschalverurteilungen des Westens einerseits passen nicht zusammen mit einem Laxismus, den etliche (meist westliche) Verantwortliche heute an den Tag legen. Versuchen Menschen wie ich das Thema vorsichtig anzusprechen, wird gleich alles abgeblockt mit den ewiggleichen Sätzen aus dem Abwiegelungsrepertoire deutscher Vergangenheitsverweigerer. Hier meine kleine, nicht repräsentative und keinerlei Vollständigkeit anstrebende Sammlung:
"Lass doch die Vergangenheit ruhen."
"Es ist schon so lange her."
"Könnt ihr nicht endlich mal verzeihen?"
"Ich kann/wir können das nicht beurteilen."
"Du bist doch nur verärgert, weil du persönliche Einbußen hast."
"Sie verkaufen eben mehr als du, Heimatgefühl und Kontakte."

Das könnte jetzt alles sehr verbittert klingen, ist aber nicht so gemeint. Ich stelle nur fest, ich werte nicht. Ich konstatiere lediglich die etwas missliche Lage der Zwischengeneration: Wir finanzieren mit unserer Steuer natürlich auch Renten mit, die wiederum andere in die Lage versetzen, zu teilweise unterirdischen Preisen dolmetschen zu gehen, da sie ja nur "Aufstocker" sind.
Inzwischen habe ich meine verschiedenen Nischen gefunden, die ich mitunter als noch anstrengender empfinde, als Dolmetschen ohnehin ist — (unterbezahlte) Jugend-/Sozialarbeit in Verbindung mit Dolmetschen, das tagelange Sitzen beim Übersetzen von Drehbüchern, ermüdende Reisetätigkeit zu Jobs außerhalb Berlins. Aber ich bin mit meinem Beruf sehr zufrieden und weiß, dass ich für mich weiterhin auf der richtigen Seite der Geschichte stehe (sorry für das Pathos, mir fällt nichts Schlichteres ein). Und dass es manchmal wichtig ist, geduldig zu sein.

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Illustration: Kinowerbung aus den Zwanziger (?)
Jahren, vom Flohmarkt, leider undatiert

8 Kommentare:

H.G. hat gesagt…

Caro, die Art, wie Du mit Vor- und Rücksicht ziemliche Klopper beschreibst, gefällt mir. Du zeigst Probleme auf, für die andere keine Sprache finden. Vielleicht sollte Dich doch eine Zeitung als Reporterin anstellen ...

Just my two cents,
Hélène

Anonym hat gesagt…

ich bin froh dass andere kein ähnliches lamento produzieren ("(unterbezahlte) Jugend-/Sozialarbeit in Verbindung mit Dolmetschen, das tagelange Sitzen beim Übersetzen von Drehbüchern, ermüdende Reisetätigkeit zu Jobs außerhalb Berlins") und kann nur hoffen dass bald hier ständig denunzierte DDR rentner und studenten diese mühen von frau elias so belasteten schultern nehmen

caro_berlin hat gesagt…

Ach, Anonymus, da sind Sie ja wieder! Ich fing fast schon an, mir Sorgen zu machen ...

Und ja, dass das klar ist: Ich finde Roland Jahns Arbeit als Stasiaktenbeauftragter gut und für mich ist es auch ein Skandal, dass der Richter, der Sybille Tiedemann in der DDR in den Knast brachte, heute noch immer "Recht" sprechen darf (siehe "Klartext" vom rbb).

Wer sich derart exponiert hat damals, der soll den Beruf wechseln, nicht mehr auf so wichtigen Posten wirken. Das ist ganz einfach. Oder: Alles andere ist feige und das Nicht-Aussprechen ist es auch. Ebenso wie Ihre Sprüche hier. Niemand zwingt sie dazu, dieses Blog zu lesen!

Adieu!

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@Hélène: Merci beaucoup ! On se voit le 23 ?

textblicke hat gesagt…

Die Vergangenheit...ein weites Feld. Als im Osten Geborene und Aufgewachsene kenne ich die Diskussionen gut. Zu gut.

Meine Eltern waren nicht in DER Partei, sondern in der CDU. Der weibliche Elternpart hat regelmäßig opponiert und laut angeklagt, der andere Teil gehörte zum sogenannten Reisekader. Während der weibliche Part nicht einmal seine Mutter in Westberlin beerdigen durfte, durfte der männliche Gastprofessuren in den USA, Frankreich und sonstewo annehmen.

Bis heute glaubt der männliche Part nicht, dass das irgendetwas mit Partei zu tun hat, denn er war ja nicht drin. Dass vermutlich jemand die Strippen für ihn gezogen hat, kann er nicht wahrhaben wollen.

Wäre in diesem gewissen November 89 nicht die Mauer gefallen - irgendwann hätten Männer und/oder Frauen im Trenchcoat oder ganz normal gekleidet vor mir gestanden und mir nahegelegt, ich wolle doch sicher Abitur machen dürfen und auch studieren, das wolle ich doch sicher nicht gefährden, indem ich mich einer Mitarbeit verweigere.

Ohne die Wende wäre ich heute nicht da, wo ich bin. Im wahrsten Sinne des Wortes, denn nun lebe ich in Westberlin.

Auf der anderen Seite habe ich auch erlebt, dass ein sehr guter Prof, wenn nicht gar der Beste des Institutes, an meiner Uni abgesägt wurde wegen angeblicher Stasi-Mitarbeit. Den Verlust und die Lücke konnte die Uni nie wieder auffüllen.

Ich finde, man muss abwägen. Unterscheiden zwischen denen, die überzeugt gehandelt haben und denen, die aus Not gehandelt haben. Es gibt genügend Menschen, die den Drohungen der Stasi erlegen sind. Zu allgegenwärtig waren Bautzen und andere Stasi-Gefängnisse, in denen auch durchaus gefoltert wurde. Psychologisch und physisch. Wer dort einmal saß, bekam hinterher nie wieder einen Fuß auf den DDR-Boden.

Für den heutigen Markt mag es nachteilig sein, dass es da alte Kämpen gibt, die ihre alten Netzwerke nutzen, um ihre beschnittene Rente aufzubessern. Und auch mag es sein, dass sich hier ewig Gestrige finden.

Die Lösung wird vermutlich nur die Zeit bringen. In meiner eigenen Familie sehe ich, wie ehemalige Kollegen "meines" Reisekaders heute in sehr verantwortungsvollen Positionen sitzen und sie kamen definitiv in seiner Stasi-Akte vor.

Netzwerke dieser Art funktionieren lange und sehr gut. Das ist bei den Burschenschaften ja ähnlich. Biste drin, biste drin. Da werden auch Leute in Positionen gehievt, die 2 Jahre vorher noch regelmäßig besoffen vom Barstuhl im Verbundungshaus gefallen sind. Das hat mit Kompetenz nichts zu tun, sondern nur mit Vitamin B.

Traurig, aber wahr. Dass es allerdings heute noch ein so großes Problem im Dolmetscherbereich darstellt, wusste ich gar nicht.

caro_berlin hat gesagt…

Danke, Juliane, für diese ab- und ausgewogenen Worte!
Ich fürchte, dass kaum einer, der den Laden nicht von innen gekannt hat, so richtig verstehen kann ...

Anonym hat gesagt…

Bonjour, ich muss bestaetigen, was da beschrieben ist. Von meine Reise in die DDR habe ich in dem Gauck-Dossier Spuren gefunden, wo eine Dolmetscherin uns gefragt hatte und dass dann geschrieben. Wir waren im Centre culturel de la RDA, es war in 1987. Diese Dolmetscherin war im letzten Jahr noch aktive. Gruesse!
A. de V.

caro_berlin hat gesagt…

Bonjour A. de V.,

da verstehe ich etwas nicht ganz: Das Kulturzentrum der DDR war doch aber in Paris, am Boulevard Saint Germain. Die Dolmetscherin dort ist mir auch noch gut in Erinnerung. Wo haben Sie mit Dolmetschern gesprochen? Als sie die Reise vorbereitet haben?

Ça a l'air compliqué, votre histoire, puisque le centre culturel dont vous parlez était situé bel et bien à Paris, non ? Vous vous y étiez rendu pour préparer votre voyage ? Si vous le souhaitez, écrivez moi à caroline@adazylla.de

Juste pour compléter ma vision de l'Histoire ...

caro_berlin hat gesagt…

Nachtrag: Es war das Institut Français unter den Linden gemeint gewesen, also auf Ost-Seite, das seit 1984 bestanden hat. Im Tausch dazu konnte die DDR im Quartier Latin (bereits Dezember 1983) auch ein Kulturzentrum eröffnen.

Hier habe ich gerade meinen verehrten Kollegen Vincent von Wroblewsky mit einigen Worten über das Kulturzentrum entdeckt, ein anderer Zeitzeuge, der aufgrund seiner Doppelkultur und Zweisprachigkeit als Forscher und Dolmetscher im Wissenschaftsbereich sehr gefragt war und ist.

Die Interviewsequenzen unten haben deutsche Untertitel.
Eine vergessene Gesschichte: Die Beziehungen zwischen Paris und Ost-Berlin.