Montag, 22. Februar 2010

Berlinalegeflüster: Meine private Rückschau

Im Vordergrund Stars und Sternchen auf dem roten Teppich, von Publikum, Fo­to­gra­fen und TV-Teams in Erwartung des Films beobachtet, im Hintergrund Platz­an­weiser, Programmmacher, Kartenbüromitarbeiter und wir Dolmetscher - das ist für mich die Berlinale. Von den 60 Jahren, die es dieses Filmfestival jetzt gibt, bin ich seit knapp einem Drittel dabei, zunächst als Publikumsgast, dann als Journalistin. Seit dem Ende der 90-er Jahre arbeite ich auch fürs Festival, fing wie die meisten mit kleinen Jobs zum Kennenlernen und Reinwachsen an. Dieser Tage feierte ich mein 10-jähriges Bühnenjubiläum. So nahm ich mir einige Momente, um meine persönliche Bilanz zu ziehen - und um mit Kollegen darauf anzustoßen!

Die Berlinale, das sind neben den Filmen vor allem die Menschen, die da­hin­ter­ste­hen. Ich erinnere mich mit Dankbarkeit an einen schlacksigen, freundlichen Mann, der in der Presseabteilung tätig war, Wolf Donner, einst Leiter der Berlinale. Er hörte sich mit freundlicher Neugierde geduldig die Meinung dieses Grünschnabels an, der ich war - und schanzte mir eine bessere Akkreditierung zu, als sie mir als nicht aktuell arbeitender ORB-Redakteurin zugestanden hätte. Ob daran auch die Kopie meines ersten Artikels in den Cahiers du Cinéma ihren Anteil hatte, die ich ihm eines Tages mitbrachte? Es ist nicht zu klären. (Sein früher Tod 1994 hat mich damals sehr erschüttert.) Danach möchte ich Daniel Toscan du Plantier erwähnen, den langjährigen Direktor des französischen Film­mar­ke­ting­un­ter­neh­mens "Uni­fran­ce" - Mer­ci beau­coup !, Mon­sieur - der mich ebenso freundlich wie kurz­an­ge­bun­den Produktionsfirmen für Marktassistenzen und erste Dol­metsch­auf­trä­ge em­pfahl, und der 2003 mitten auf der Berlinale verstorben ist. (Noch ein Tod, der mich sprachlos zurückließ.)

Auch meine Verbundenheit zur Familie Gregor möchte ich hier zum Ausdruck bringen. Zunächst war da Milena Gregor, die mich etwa um 1996 nach einem spontanen Dolmetscheinsatz im Kino Arsenal in die Mitarbeiterkartei aufnahm, was mir unzählige schöne Aufträge bescherte; daher betrachte ich das Arsenal noch heute als meinen "Dolmetsch-Ausbildungbetrieb". Danach haben sich ihre Eltern, Ulrich und Erika Gregor, um meinen Berufsweg verdient gemacht, als sie 2000 zeitgleich mit dem Festivalumzug an den Potsdamer Platz ein neues Kinoleiterteam anheuerten - und ich war mit von der Partie. Vielen Dank! (Und hallo ans damalige Team, Nathalie Arnegger, Clarisse Cossais, Anna Faroqhi, Anke Rauthmann, Kon­stan­ze Binder und last but not leas Karin Meßlinger als Leiterin!) Stellvertretend für alle Berlinale-Mitarbeiter, mit denen ich heute zu tun habe, möchte ich mich bei Peter B. Schumann bedanken, der neben seiner Arbeit als Journalist viele Jahre uns Moderatoren und Dolmetscher beim Internationalen Forum des Jungen Films betreut hat und seit einiger Zeit im wohlverdienten Ruhestand ist!

Was ich an meinen Berlinalejahren liebe: Die Momente des Wiedersehens. Catherine Breillat, die ich letztes Jahr nur begrüßte, nachdem ich sie vor langer Zeit fürs Arsenal und Jahre später für die Berlinale dolmetschte, als sie Mitglied einer Jury war. Nicolas Philibert, den ich schon um 1995 im noch fast neuen Kino in den Hackeschen Höfen gedolmetscht habe sowie bevor sein Millionenerfolg "Etre et avoir" herauskam (wir haben auch dieses Mal wieder über das Essen im Restaurant gelacht, als ich ihn gleichzeitig über das Marketingkonzept befragt, dieses für deutsche Journalisten gedolmetscht und für Filmstudenten aus der Hand gefilmt habe) ... Nicolas traf ich dieses Mal unter anderem beim kältesten Interview meiner bisherigen Laufbahn: Wir saßen bei deutlichen Minusgraden draußen vor der Tür, des (bewegten) Bildes wegen ...

Film ist meistens nicht Glamour, Film ist harte Arbeit:
Das kälteste Interview des Jahres
Was ich auch noch liebe: Die Intensität des Filmesehens, wenn Film mein Ar­beits­ge­gen­stand ist. Vor langen Presseinterviewtagen oder der Si­mul­tan­ver­dol­met­schung lese ich alles an Hintergrund, was mir über das Projekt zugänglich gemacht wird bzw. ich im Netz finde. Oft blättere ich zurück im Lebenswerk des/der Filmschaffenden, um die Intentionen voll zu erfassen. Ich werde ja aus der Perspektive der Filmemacher bzw. des Films sprechen - und da ist es die halbe Miete, bestmöglich informiert zu sein. Oft sehe ich die Filme mehrfach, zum Beispiel vor und während des Ein­spre­chens, wie die simultane "Ein-Personen-Synchronisation" von Filmen genannt wird. Jahre später noch kann ich ganze Textpassagen auswendig, weiß ich (so es welche gibt) jeden Anschlussfehler im Voraus.

Was ich mag: Mit einer DVD des einen Berlinalefilms und dem Skript eines anderen in der Tasche von Termin A zu Termin B eilen, freundlich und entspannt so ar­bei­ten, dass am Ende alle das Gefühl hatten, in ein- und derselben Sprache ge­spro­chen zu haben, und dann noch kurz auf einem Empfang auf eine Premiere oder eine (vielleicht von mir selbst mit) angebahnte Koproduktion anstoßen. Den Tag anschließend bei Knut Elstermanns Filmsendung in der MaxX-Bar ausklingen lassen, dabei noch ein wenig dolmetschen, und wenn mich dann Freunde im Autoradio hören, noch auf einen Drink vorbeischauen und mich noch später vielleicht sogar auf dem Heimweg bei mir absetzen ... Ach, und dass ich etliche meiner Lieblingsstudentinnen inzwischen als Mitarbeiterinnen der Berlinale begrüßen darf, auch das mag ich!

Was ich hasse: Schlange stehen! Vor allem morgens - no way! Deshalb bin ich auch Berlinale-Dolmetscherin geworden, denn als langjährige Mitarbeiterin darf ich se­hen, was immer ich sehen muss (auch, was vielleicht erst in ein oder zwei Jah­ren für die Ar­beit relevant wird). Zur Not stehe ich eben, wenn die Vorführung aus­ver­kauft ist, ganz hinten, an der Rückwand zur Projektionskabine, aus der leise das vertraute Surren der Projektoren dringt. Das wiederum ist schön. Was ich noch hasse: Verrauchte Empfänge und arrogante Leute, die einen als niedere Dienst­leis­te­rin abkanzeln und mit gespielter Überraschung fragen: "Wieso möchten Sie denn als Dolmetscherin auf den Berlinale-Empfang gehen?" Derlei hört man am häu­figsten von Men­schen, die auf der mittleren Vermittlungsebene tätig sind, sich noch nie beim Dreh den A...llerwertesten abgefroren haben (Pardon!) und die gern mal ihre Arbeit mit dem Pflegen privater Kontakte für die eigene Karriere ver­wech­seln, Zeit genug haben sie ja.

Wozu ich mich neutral äußern muss: Die Qualität der Filme. Ich habe oft auch gar keine eigene Meinung mitten im Arbeitsprozess, denn ich spreche dabei ja immer in der ersten Person Singular über die Filme, helfe mir das "Ich" der Macher über. Allerdings merke ich Tendenzen oder wenn ein Film bei mir negative Gefühle aus­löst, z.B. durch zu viel direkt gezeigte Gewalt. Ebenfalls neutral und ver­schwie­gen bin ich, was die Stars angeht ... da, wo's problematisch wird. Die größte Zickerei erlebte ich bei Pseudo-Stars; echte Größen haben derlei nicht nötig. Noch ein Grund, weshalb mir die langjährigen Arbeitspartnerschaften mit den echten Ta­len­ten am liebsten sind!

Kein Rückblick ohne Ausblick. Was ich mir für die Zukunft wünsche: Nach Jour­na­lis­mus, Marktassistenz, Kinoleitung, Moderieren und Dolmetschen für nahezu alle Sektionen mit Abstechern zu kleinen Festivals, für die ich Programm aus­ge­wählt ha­be (*), wäre der nächste Schritt für mich wohl, in ein Pro­gramm­aus­wahl­gre­mium der Berlinale berufen zu werden. Auch kann ich mir vor­stel­len, wie­der häufiger zu moderieren, das liegt mir schon sehr. Und wenn sich im Bereich Management einiger Abteilungen etwas tut, besonders da, wo es um Kommunikation und Nach­wuchs geht, würde ich gerne um meine Gedanken, besser noch: um eine Be­wer­bung gebeten werden.

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(*) über mein Mandat als Auslandsmarketingfrau der AG DOK (2000 bis 2007) sowie für die Französischen Filmtage Tübingen (2005 und 06), das Djerba TV-Festival (2006) etc.

Photo
de Caroline Aymar (merci beaucoup !)

Mittwoch, 17. Februar 2010

Berlinalegeflüster: Glamour im Team

Willkommen auf meinem Blog! Hier beschreibe ich die Berlinale (und andere Bereiche des Lebens) aus Dolmetschersicht. Ich arbeite und lebe in Paris, Berlin, Marseille, Köln und dort, wo ich gebraucht werde.

Film ist zuallererst Glanz und Glamour! Ganz bestimmt! Und dann kommt lange nichts, oder?

Film ist das Ergebnis von Teamarbeit. Dolmetschen übrigens auch, das wird oft übersehen. Es ist für uns Dolmetscher wichtig, im Vorfeld mehr als eine ungefähre Ahnung von dem zu haben, was kommen wird, am besten sprechen wir "unsere" Redner im Vorfeld persönlich. Wenn ich dieser Tage nicht auf der Berlinale in der Kabine oder beim Interview dolmetsche, treffe ich mich daher mit Leuten, gehe auf die kleinen Arbeitsempfänge oder chille auch mal im Kreis von Filmleuten. Das gehört alles dazu, um auf dem Laufenden zu sein, Themen und Tendenzen mit­zu­be­kom­men, frisch geprägte Fachtermini schon mal aufzuschreiben oder neue Technologien des Filmmarketings und der Kommunikation zu diskutieren. Beim Dolmetschen "synchronisiere" ich die verschiedensten Menschen, Typen und Berufe. Deshalb nutze ich jede Gelegenheit, den Leuten "aufs Maul zu schauen".

Am Ende bedeutet Qualität im Dolmetscherberuf, dass die jeweiligen Sprecher nicht klingen wie "Madame XYZ, gefiltert durch Sprecher Soundso", sondern dass eben "Madame XYZ in der anderen Sprache" zu hören ist, nicht weniger und nicht mehr.

Manche Menschen auf mittleren Ebenen wissen das nicht, und sie wollen es of­fen­bar auch nicht wissen. Legendär die Platzanweiserin vor einigen Jahren bei der Premiere von "Birkenau und Rosenfeld" in der Regie von Marceline Loridan-Ivens. Es war eine Sonderveranstaltung am Rande der Berlinale, niemand hatte einen Dol­met­scher vorgesehen, Marceline würde aber bestimmt im Anschluss an den Film etwas sagen wollen, das war jedem klar, der sie ein wenig kennt. Also hatte ich ihr versprochen, einzuspringen. Da hatte ich aber meine Rechnung ohne die "Türpolitik" gemacht, es war noch vor meiner Streifenhörnchen-Zeit (in­zwi­schen habe ich eine Sesam-öffne-dich-Akkreditierung). Das Kino war ausgebucht, ich kam nicht rein und durfte mir von der Platzanweiserin sagen lassen: "Wir lassen Sie gerne nach dem Film in den Raum. Sie müssen den Film ja gar nicht sehen, Sie müssen ja nur die Worte übersetzen, die danach gesagt werden!" Marceline musste sich an jenem Abend eine andere ehrenamtliche Dolmetscherin suchen ... (Merci beaucoup, Helma!)

Heute erlebe ich noch andere verschlossene Türen. Die schicken, schillernden Empfänge und Parties sehe ich wie Sie, liebe Leserin und lieber Leser, auch nur in der Zeitung. Wie drückte sich der einstige Botschafter eines frankophonen Landes noch einmal formvollendet aus? Der Satz scheint bis heute zu gelten: "On ne de­mande pas les laquais à sa table" — man bittet seine Lakaien nicht zu Tisch oder frei übersetzt: man lädt Lakaien nicht zu sich zum Essen ein, ich schrieb bereits darüber. Und auch darüber, dass ich als Journalistin und Nachwuchsproduzentin vor etlichen Jahren natürlich noch nahezu überall eingeladen wurde — auch als Mit­glied der deutsch-französischen Filmakademie, was ich heute noch bin. Diese Akademie, ein think tank der Branche, hat einst übrigens eine andere Dol­met­scherin mit­be­grün­det, die leider viel zu früh verstorbene Bri­gitte Sauzay. Tja, Fortschritt heißt eben Fortschritt, weil es in der Bewegung von einem Punkt weg geht, nicht unbedingt, weil es nach vorn geht, dann schriebe man das Wort ja mit "V" am Anfang — "Vortschritt" ;-)

Die Verachtung für die Dienstleister, die aus dem Schatten sprechen, teilen nicht alle, aber zu viele Veranstalter von Empfängen. Wenn mich nicht bekannte Pro­du­zen­ten zu diesen Abenden mitnehmen, trete ich erst gar nicht vor so manchen Zerberus an den verschiedenen Einlasskontrollen. Dort feist hingehen und mit der schicken Akkreditierung winken, wie es mir letztens einer der Veranstalter vor­schlug, mag ich nicht, das schien mir Übertretung meiner Befugnisse zu sein, solange ich drinnen nicht ganz konkret für einen Einsatz bestellt bin. Verschärft wird die Sache dadurch, dass die Krise auch hier zuschlägt: die Festivitäten werden kleiner. Und ich zehre ja auch noch von der Erinnerung an glanzvolle Abende.

Die kleinen Empfänge sind anders. Die sind vorrangig Arbeitstreffen, hier brauche ich oft weder Pass noch Einladungskarte, denn bei den Frühstücken zum Beispiel steht von den Veranstaltern meist selbst jemand mit an der Tür, da komme ich ausweislich meines Gesichts rein und kann selbst ausländischen Produzenten oder Regisseure mitbringen und ihnen ihre deutschen Kollegen vorstellen.

Das klingt jetzt verdammt nach Anti-Glamour-Programm. Die Berlinale ist in der Tat für über tausend Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter harte Arbeit, nicht nur für Nora, die ich heute, später am Abend, in der Urania kennengelernt habe und die seit Anfang Januar die Berlinale-Pässe aller gedruckt hatte. Sie hat noch immer ganz kleine Augen!

Geglitzert und gestrahlt hat heute etwas ganz anderes. Nach einem Früh­stücks­empfang bin ich mit einem Produzenten und einem Anwalt — anders ausgedrückt: mit Jacques aus Montréal und Peter aus Stuttgart — zur nächsten Vorführung geeilt. Davor hatten wir noch vierzig Minuten Zeit — und wanderten durch den zauberhaft ver­schnei­ten Tier­gar­ten, philosophierten über das echte Schillernde im Kino, die optischen Fehler der Silberbeschichtung bei echtem Filmmaterial, die dazu führen, dass der gute alte Film unserem Blick vertrauter ist als die übersauberen digitalen Bilder.

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Foto: C.E.

Montag, 15. Februar 2010

Berlinalegeflüster: 13 Arten, ein Festival zu dolmetschen

Hallo! Sie sind auf den Seiten einer Dolmetscherin und Übersetzerin für die französische Sprache gelandet. Hier schreibe ich in loser Folge über die Arbeit, beschreibe komplexe, aber auch komische Momente ... und antworte auf Fragen.  

Wieviele unterschiedliche Möglichkeiten, als Dolmetscher auf der Berlinale zu arbeiten, gibt es eigentlich?", fragt mich Manuel Feifel von der kanadischen Botschaft, als ich Montag am frühen Nachmittag für ein knappes Stündchen am Stand der AG DOK stehe und gerade einen polnischen Produzenten verabschiedet habe, der einen Koproduktionspartner in Berlin sucht. Da ich acht Jahre lang für den mitgliederstärksten deutschen Filmverband Marketing auf Messen und Märkten gemacht habe, komme ich ab und zu her, vor allem heute, in einer Pause zwischen zwei Dolmetscheinsätzen, denn die Verbandskollegen sitzen gerade bei der all­jähr­li­chen Mitgliederversammlung zusammen, da unterstütze ich unsere Stand­be­treu­er gerne als "Aushilfe".

Zurück zur Frage: Wieviele Arten des Dolmetschens gibt es beim Festival?

Normalerweise unterscheiden wir mit dem Begriff Dolmetscharten die Methoden der Übertragung, also konsekutiv, simultan, Begleit- und Verhandlungs­dol­­met­schen. Auch Bühnendolmetschen ist eine Unterart.

Selten wird bislang nach den Einsatzarten unterschieden, wie sie hier an ein- und demselben Ort gefragt sein können. Die Arbeit von Dolmetschern auf der Berlinale ist enorm vielfältig, wie eben gerade mit dem polnischen Kollegen, das geht auf basic market english, bei der Koproduzentensuche sind vor allem Fach- und Bran­chenkenntnisse gefragt, erster Dolmetschanlass also. Jemand, der nur als Dol­met­scher arbeitet, wird hier sein Glück nicht finden.
Zuvor habe ich für den Deutschland-Korrespondenten des mexikanischen Fern­sehens ein Einzelinterview mit Dokumentarfilmregisseur Nicolas Philibert ge­dol­metscht, für den ich das erste Mal Mitte der 1990-er Jahre tätig wurde, als sein Film "Le Pays des sourds" in Deutschland herauskam (der Film ist von 1992, aber ich glaube, dass es eher 1995 war, als wir "Im Land der Stille" in Berlin vorstellten ...) Das ist die zweite Dolmetschsituation.
Die dritte sind Publikumsgespräche wie sie in der Sektion "Internationales Forum des Jungen Films" üblich sind. Den alten Hasen Nicolas, der später mit "Etre et avoir" (Haben und sein) berühmt wurde, werde ich dort morgen wiedertreffen.
Der zweite Nachmittagstermin war eine Veranstaltung zwischen Kontaktanbahnung und Casting  — Regisseur sucht jungen Schauspieler, zwischendurch wurde fast ein wenig inszeniert, der Filmnachwuchs durfte auf meine Stichworte reagieren, mich anspielen. Das ist die vierte Art des Dolmetschens "bei Films", die im kreativen Prozess.  
Fünftens erwartet mich noch Ende dieser Woche, es sind die Gruppeninterviews (press junkets), eine Art kleiner Pressekonferenz, wo immer eine Handvoll Jour­nalisten einem Filmschaffenden Fragen stellen.
Die sechste Variante, wie Dolmetscher auf der Berlinale eingesetzt werden, ist auf den großen Pressekonferenzen des Wettbewerbs zu beobachten, hier sitzen wir in den Kabinen, jemand vom Auswahlkomitee oder ein Dramaturg moderiert, die internationale Presse stellt die Fragen.
Dem geht die siebente Art des Dolmetschens auf der Berlinale voraus, das simul­tane Einsprechen von Filmen, die im Festivalpalast nicht nur untertitelt gezeigt, sondern in einigen anderen Weltsprachen auch noch per Konferenztechnik verfolgt werden können.
Gefolgt von achtens, Mediendolmetschen, das werde ich diese Woche vermutlich wieder fürs französische und deutsche Radio erleben: Live-Verdolmetschung von Hörfunkinterviews. 
Die neunte Möglichkeit, als Dolmetscher das Festival zu unterstützen, wäre Flüsterdolmetschen für ein Jurymitglied, und zwar sowohl beim Filmesichten als auch in der Diskussion darüber, wer ausgezeichnet wird, das durfte ich mal vor Jahren für Catherine Breillat.
Gefolgt von zehntens: Kurze Reden und Danksagungen bei Preisverleihungen und sonstigen Ehrungen, hatte ich auch schon, von (Rabah) Ameur-Zaïmeche über (Jeanne) Moreau bis hin zu (Bob) Wilson.
Und unter elf möchte ich die klassische Arbeit als Konferenzdolmetscherin auf­füh­ren, es gibt Veranstaltungen zur Geschichte der Kinoarchitektur und zur me­di­a­len und technischen Zukunft des Kinos, Gespräche zwischen Film­pro­du­zen­ten und Filmfinanziers.
Für Punkt zwölf fällt mir noch das Dolmetschen für die Technik ein, für den Rück­ka­nal, zum Beispiel bei der Arte-Nachrichtensendung. Dazu kam neulich recht kurzfristig eine Anfrage rein, ich konnte aber leider nicht so schnell reagieren ...
Dreizehn gibt's jetzt auch noch: Das Abendessen im festlichen Rahmen und die Aufrechterhaltung munterer Plaudereien bei Tisch.

Hab' ich was vergessen? Dann bitte melden! Die Reihenfolge ist übrigens weder hierarchisch noch logisch motiviert, ich habe einfach eins nach dem andren aufgezählt, so, wie mir die Situationen einfielen.

Lustig, dass ausgerechnet das simultane Einsprechen von Filmen Platz sieben ab­be­kom­men hat.

Zusammen mit Dolmetschen am Set ist das die Königsdiziplin dessen, was unsereiner fürs Kino tun kann, das in Frankreich nicht zufällig "die siebente Kunst" heißt.

Danke, Manuel, für die Frage. Mir war selbst nicht bewusst, dass wir so viele un­ter­schiedliche Einsätze im Rahmen ein- und desselben Festivals haben können!

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Foto: Die siebente Art, für den Film zu dolmetschen, ist das simultane Einsprechen. Hier die Tür der Französischkabine im Berlinale-Palast.

Sonntag, 14. Februar 2010

Berlinalegeflüster: Julien Boisselier im Interview

Der Ort: ein Haus, das manche Journalisten "Luxusherberge" nennen würden. Wir befinden uns in einem Hotelzimmer, für das der Verleih für einen Tag soviel gezahlt hat, wie in Berlin eine Vierzimmerwohnung im Monat kostet. Das Bett wurde rausgeräumt, die Wände teilweise mit Stoff verhängt, die notwendigen Stangen und Stoffe hat das Kamerateam mitgebracht. Dann sitzen Schauspieler, Kameramann, Tonassistent und ich einen halben Nachmittag auf diesen wenigen Quadratmetern zusammen und ein Journalist nach dem anderen betritt den Raum, hat seine zehn Minuten oder auch mal 15 für ein Interview.

Der Rest ist Übung: Die Fragen ähneln sich, die Antworten manchmal auch, es gibt Versatzstücke, die immer wieder auftauchen, die für mich als Dolmetscherin aber auch gefährlich sind: Da ich das Gefühl habe, zu wissen, was jetzt kommt, muss ich doppelt so gut aufpassen, beim Hören ebenso wie beim Wiedergeben. Julien Boisselier, der den französischen König Henri IV im Film "Henri 4" von Jo Baier verkörpert, macht seine Sache super. Er erzählt spannend, komplex, lächelt, versucht, auch über die Sprachbarriere hinweg einen persönlichen Kontakt zum Interviewer aufzubauen, was ihm oft gelingt. Der Zeitverzug in der Kommunikation ist in der Vorabsprache und wenn die Fragen gestellt werden minimal, da dolmetsche ich simultan. Dann kommen die Antworten, die natürlich akustisch 'sauber', also ohne jede Parallelstimme, aufgezeichnet werden müssen. Hier mache ich mir Notizen und spreche anschließend allein ins Mikro.

Mit der Zeit wird im Raum die Luft knapp. In den kurzen Umbaupausen schütten wir Tee und Wasser nach, stellen Kataloge in die Tür, damit Luft über den Flur reinkommt, aber der Türheber ist zu stark. Die Pausen sind so kurz, dass wir es einmal für ein paar Minuten schaffen, die Vorhänge aufzuziehen und das Fenster zu öffnen, bevor sich der nächste Interviewer ankündigt. "Kurze Pause" ist übrigens eine der wenigen Dinge, die Julien auf Deutsch versteht ...

Zeitsprung: Weil jetzt Jo Beier vor der Kamera interviewt wird, tauschen wir die Räume. Julien und ich ziehen in ein etwas größeres Zimmer um, dort finden die Interviews für Printmedien statt. (Zuerst lüften aber wir den Raum mit Blick auf Scharouns Philharmonie, verbrauchte Luft auch hier.)

Spannend finde ich, wie Julien den Dreh mit deutschem Team in Deutschland, der tschechischen Republik und Frankreich beschreibt. Er hätte bei der Arbeit zum Film, der das Leben des Königs, der in Frankreich für eine frühe Phase der Aufklärung steht, in epischer Breite erzählt, wundervolle Schauspielerkollegen kennengelernt, berichtet er, die ihre Arbeit mit großer Ernsthaftigkeit betrieben hätten, ohne sich selbst zu ernst zu nehmen. "Le star système" sei hier nicht so ausgeprägt wie in Frankreich mit der schönen Folge, dass man am Set ruhiger und konzentrierter arbeite. Die deutschen Kollegen würden sich oft mehr als Handwerker verstehen denn als Künstler.

Auch vom Essen könne er nur Gutes berichten. Am ersten Drehtag zu "Henri 4" habe es ein phantastisches Buffet gegeben, wie er es bei französischen Drehs noch nicht erlebt habe. Überhaupt sei man in Essensdingen ihm als Franzosen gegenüber zunächst reserviert gewesen, habe seine Erwartungen überschätzt - und dann ganz wunderbare Mahlzeiten aufgetischt. Nur eines habe ihm in Deutschland beim Dreh gefehlt, sagt Julien: Das Glas Wein beim Mittagessen. In Frankreich dürften alle, Technik, Produktion und künstlerische Mitarbeiter, mittags ein Gläschen trinken, in Deutschland verbiete dies ein Gesetz. (Er habe sich aber mit ein, zwei Fläschchen in der Loge beholfen ...)

Die Liste mit Interviewwünschen des Presseagenten haben wir irgendwann abgearbeitet. Mir dröhnt der Schädel. Es war wieder ein kleiner Marathon, nur durch die kurzen Wechselphasen unterbrochen und erleichtert dadurch, dass ich für zwei Journalisten nur die Fragen ins Französische dolmetschen musste bzw. am Ende vielleicht noch einen Satz oder Begriff klären.

Mit der Zeit wird mir klar: Julien hat das Zeug zum Superstar. Ich sag' das mal so ungeschützt, aber als Dolmetscherin beobachte ich, dass es grob sortiert zwei Arten von Filmschaffenden gibt. Da sind auf der einen Seite jene, die sich enorm wichtig nehmen, ihre Selbstinszenierung die ganze Zeit kontrollieren und es unsereinem, ganz vorsichtig ausgedrückt, nicht immer leicht machen. Und dann sind auf der anderen Seite jene, die direkt, menschlich und achtsam sind, die ihr Gegenüber und seine Arbeit wahrnehmen, die auch den Tonmann begrüßen, sich anschließend bedanken und auf die Zwischentöne hören. Die historische Großproduktion der Ziegler Film, der um die 19 Millionen Euro gekostet haben soll, ist Julien Boisselier offenbar nicht zu Kopf gestiegen.

Vielleicht hat auch der Dreh in Deutschland dazu beigetragen, dass Julien sich der anderen so bewusst ist. Wie es denn gewesen sei am Set, wo doch jeder in seiner Muttersprache gespielt habe, wird er gefragt. Am Anfang sicher irritierend, war die Antwort, vor allem dann, wenn vierzig Leute um einen herum um einen Witz lachten und man selbst nichts verstünde. Da könne man schon paranoid werden! Ab und zu habe eine Assistentin für ihn gedolmetscht, aber nicht so Schlag auf Schlag wie hier. Und dann wisse man natürlich, was der Schauspielerkollege zu sagen habe, das stünde ja schließlich im Drehbuch ... alles weitere sei nach einer Zeit des Kennenlernens nonverbal verlaufen: Blicke, die körperliche Präsenz, das Erleben der professionellen Arbeitsweise der anderen und vor allem Gefühle, die man teile - das sei doch der Kern jeder Kommunikation.

Letzte Minuten: Bevor wir auseinandergehen, haben wir noch einen kurzen gemeinsamen Moment des Durchatmens. Julien bedankt sich und entschuldigt sich für drei lange Passagen, wo er einfach vergessen habe, dass er gedolmetscht wird. Und er fügt hinzu, er spüre, dass ich manches schöner ausgedrückt hätte als er und hier und da ein wenig gerafft. Offengestanden überrascht mich diese Bemerkung nicht. Julien hat mit seinem siebten Sinn mitbekommen, dass ich — nicht bei den TV-Interviews, da sind Ablauf und jeder Take wichtig — am Ende einige Redundanzen ausgelassen habe, die sich nach stundenlangen Interviews in ein- und derselben Gesprächssituation schon mal einstellen können.

Fazit: Ich bin sicher, wir werden uns wiedersehen - Au revoir, Julien, et merde pour vos prochains films !

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Foto vom Dreh: René Karich - Danke nach Leipzig!

Filminfo: Henri IV (2009), D/F 2009, Regie/Buch: Jo Baier, Drehbuch-Koautorin: Cooky Ziesche. Ein Film (bzw. TV-Zweiteiler) nach den Romanen "Die Jugend des Königs Henri Quatre" und "Die Vollendung des Königs Henri Quatre" von Heinrich Mann, deutscher Kinostart im März

Freitag, 12. Februar 2010

Berlinalegeflüster: Inextremitis

Die Welt der großen Festivals mit ihren Stars und glitzernden Roben auf roten Teppichen sieht hinter den Kulissen weniger glamourös aus. Hier beschreibe ich in loser Folge meinen Arbeitsalltag als Dolmetscherin der Berlinale. Zusammen mit hunderten anderer Mitarbeiter trage auch ich in diesen Tagen meinen kleinen Teil dazu bei, dass das Festival im 60. Jubiläumsjahr besonders strahlt.

Am Potsdamer Platz ist eine neue Seuche ausgebrochen, die wir aus der Wirtschaft leider schon kennen - es ist die Inextremitis.

Seit die Berlinale im Winter stattfindet, werden im Januar etliche Filme bereits den Fachkollegen von der Presse gezeigt, und auch Dolmetscher und Moderatoren von Publikumsgesprächen finden sich traditionell zu den Terminen ein. In diesem Zeitraum ging es auch mit den ersten festen Terminabsprachen für die Berlinale los. Dann rutschte dieses Suchen-und-Buchen in die Woche vor der Berlinale hinein, die einst ein ruhigeres Moment ohne viele Pressevorführungen war: Die Kataloge waren im Druck, die Termine standen grosso modo, unsereiner atmete vor der Eröffnung des Festivals nochmal tief durch. Mit dieser Ruhe ist es jetzt vorbei, inzwischen schnurren die Planungen auf die letzten Tage vor Festivalbeginn zusammen. Müde vom Jonglieren mit Terminen sitze ich also heute Morgen in der französischen Botschaft beim ersten Einsatz, einem Produzentengespräch, da läutet das Mobiltelefon gleich drei Mal während eines Panels. In der Pause versuche ich zu erfahren, wer mich da anrief - und telefoniere selbst ins Leere. Nach der Veranstaltung rufe ich erneut zurück, gewissermaßen im Davonrennen. Anruf eins und zwei wäre ein Einsatz für heute Abend gewesen, Anruf drei einer für morgen. Heute Abend hätte ich gekonnt, aber inzwischen hat man das anders gelöst, und morgen bin ich schon gebucht.

Warum muss alles immer in extremis sein, in letzter Minute? Warum haben viele keine Sekretariate mehr, die erreichbar sind, während Chefin oder Chefin selbst im Termin ist? Hier muss ich mich an die eigene Nase fassen, meine engste Kollegin hatte mal eine Assistentin - aber außerhalb der Festivals bleibt uns selbst genügend Zeit für Kostenvoranschläge, die ohnehin Chefinnensache sind, weil die Anfragen immer komplizierter und aufwendiger wurden. Jemanden anzuheuern, der ausschließlich Termine aufnimmt, auf die Idee bin ich noch nicht gekommen. Und die anderen offenbar auch nicht.

So rödeln wir alle in den knappen Zwischenzeiten des Sputens von Termin A nach Termin B, was einst Wegezeit und Pause war, ist nicht selten optimiert und wurde der Arbeitszeit zugeschlagen. Unschöner Nebeneffekt: kaum einer kann noch delegieren und manches, das dann mal eben so schnell wegorganisiert wird, geht, ohne viele Gedanken darauf zu verschwenden, rasch an irgendwen, weil die Nummer der Person, über die wir neulich sprachen, eben nicht greifbar ist ... Hier gebe ich wieder, wie uns dieser Tage ein Auftrag verlorenging: Veranstalter und Moderatorin einer Diskussionsrunde wollten mich engagieren, die oberste Chefin hat zwischen zwei anderen Terminen mal rasch jemanden angerufen, um den Punkt abhaken zu können. Das ist ein Nebeneffekt der Tatsache, dass wir alles selbst machen und es in der Hektik zunehmend schwerfällt, wichtig von dringend zu unterscheiden ...
Und mal kurz innehalten und nachdenken, wie wäre das? Scheint irgendwie nicht nötig, ist ja noch immer gut gegangen.

Der Dauerzeitdruck und die Überforderung die daraus resultiert, dass wir selbst unsere eigenen Assistenten ersetzen müssen, liegen sicher zu einem Großteil an der komplexer werdenden Welt. Der andere Teil geht aufs Konto der digitalen Büros: Wir ersetzen Mitarbeiter durch Maschinen, die natürlich nicht das gleiche können wie ein mitdenkender, kluger, lernender Mensch, wir geraten in Zeitnot, weil auch Fehlentscheidungen zu reparieren sind, wir erliegen der Illusion, dass alles und alle greifbar sind, dass wir sie auch noch in letzter Minute engagieren können, weil wir ja über ihre MobilnummermailadresseMSNkürzel und was weiß ich noch verfügen.

Inextremitis halt. Ich bin mal gespannt, was nächste Woche noch reinkommt. Bei meiner Telefonrunde Dienstag - telefonisches Nachhaken, nachdem zwei Mails hin- und hergegangen waren - bekam ich einmal die Antwort: "Du rufst viel zu früh an, wir buchen gerade fürs erste Berlinalewochenende, der andere Termin ist ja erst Ende nächster Woche, wir melden uns!" Hoffentlich nicht gerade wieder, wenn ich in der Kabine bin, und falls doch: Bitte übt Euch in Geduld, bis ich wieder telefonieren oder Textnachrichten schreiben kann, das klappt dann schon noch. Ist ja noch immer gut gegangen! Lächeln und weiterrennen, das ist das Motto, the show must go on.

Donnerstag, 11. Februar 2010

Preisgestaltung

Was kostet die Verdolmetschung eines Premierenabends mit gleichzeitiger Moderation? Nennen Sie doch 'mal 'ne Hausnummer!", so lautete in etwa eine Anfrage der letzten Woche. Es geht um einen französischsprachigen Film, und so einfach ist die Antwort nicht.

Auf solche Fragen antworte ich üblicherweise mit einer Gegenfrage. Ich möchte in derlei Situation stets wissen, wie groß der Filmstart ist, erst dann nenne ich meine Preise.

Gehen wir mal davon aus, dass eine Filmkopie um die 800 Euro in der Herstellung kostet. Klitzekleine Verleiher, die nur ein bis zwei Kopien auf den Markt bringen, können mich an einem Abend schon für 100 Euro buchen (in Worten: einhundert). Wer fünf Kopien in Umlauf bringt und damit für diesen Posten 4000 Euro ausgibt, kann mich für ein Fünfundzwanzigstel dieser Summe für den Premierenabend buchen, das sind 160 Euro. Der kleine Filmstart mit nur einer Kopie ist also relativ teurer, ich berechne eben eine Summe für 'Mindestaufwand'. Zehn Kopien kosten den Verleiher 8000 Euro, die Premiere zu dem Film begleite ich gerne für 320 Euro, bei 20 Kopien kommen 640 Euro fürs Dolmetschen und die Moderation hinzu, wir sind noch immer bei 1/25 als Rechentipp für meine Näherungswerte.

Dann flacht die Kurve ab, ca. 750 Euro würde Dolmetschen/Moderieren bei einem Filmstart mit um die 30 Kopien kosten ... bei richtig großen Filmstarts orientiere ich mich am Gesamtbudget des Abends. Anfahrt und Spesen berechne ich separat; der Preis ohne Moderation ist übrigens der Gleiche, denn es kostet mich ja die gleiche Zeit. Nur durch die Verringerung der Vorbereitung kann so ein Abend günstiger werden, wenn ich am Tag für press junkets und den darauffolgenden Abend gebucht werde beispielsweise.

Warum diese Staffelung? 1999 habe ich die Berliner Premiere von "Ressources humaines" (deutscher Verleihtitel: human ressources), den ersten Films von Laurent Cantet, für 300 DM verdolmetscht, den der Verleih "Neue Visionen" im zweiten Jahr seines Bestehens herausgebracht hat, dazu kamen noch drei Interviews. 2008 war mein Arbeitstag plus Abend anlässlich von Cantets Teilnahme am Filmfest München mit "Entre les murs" (Die Klasse) dann das Achtfache wert ...

Ich mag lange, von Vertrauen und gemeinsamem Wachstum geprägte Arbeitsbeziehungen ebenso sehr wie Treue. Und da es natürlich auch heute noch Leute gibt, die ihren ersten Film (oder den ersten internationalen Erfolg) vorlegen, dolmetsche ich auch weiter für Nachwuchspreise, wenn der Filmstart von entsprechender Größe ist.

So bitte ich meine Kunden zunächst um Ehrlichkeit in Selbsteinschätzung und Honorarverhandlung - und anschließend um kritische Evaluierung meiner Arbeit. In den allermeisten Fällen werden schöne, dauerhafte Kontakte daraus. Nur manchmal gibt es Ärger - meistens sind es gar nicht meine Endkunden, die dazu Anlass bieten, sondern die höchst vielfältige Vermittlerebene. Ein Beispiel: Wenn ich wie neulich erst wieder geschehen nicht nur extrem kurzfristig gebucht werde, man mir ohne zu fragen oder sich zu entschuldigen ein Honorar als "das-ist-alles-was-wir-haben!" vor die Nase knallt und dann die Überweisung auch noch Wochen bis Monate braucht, dann ist das nicht gerade comme il faut. Alles schon erlebt, in genau der Abfolge, leider. Und wenn wir im Team arbeiten, trifft es mehrere und wir müssen uns zu mehreren gedulden, was nicht immer einfach ist.

Und es gibt noch einen Grund für meine Preisstaffelung. Goldene Palmen gewinnen "meine" Regisseure nicht jedes Jahr (wie Laurent Cantet vor anderthalb Jahren). Und im Durchschnitt müssen eben Summen herauskommen, die "sich rechnen", ich kann nicht davon leben, nur VIPs zu dolmetschen. Außerdem muss ich als auf Film spezialisierte Dolmetscherin viel sehen. Das Schöne an der Mischkalkulation ist: so werden kleine, zarte Filmpflänzchen indirekt von den Großen gefördert - und ich habe stets den Logenplatz und darf alles aus nächster Nähe über Jahre hindurch beobachten. Auch damit fühle ich mich immer wieder reich entlohnt, aber bitte: Psst, nicht weitersagen!

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Foto: Laurent Cantet im Interview mit Rainer Gansera, Dolmetscherin: die Autorin (die nicht verstimmt dreinschaut, sondern nur konzentriert ;-)

Mittwoch, 10. Februar 2010

Notizentechnik

Hallo beim Blog einer Dolmetscherin und Übersetzerin! Hier können Sie mehr über unsere Arbeit erfahren. Heute geht es um die Frage: "Wenn Sie im Kino ein Pu­bli­kums­ge­spräch dolmetschen, schreiben Sie dann Steno oder wie sehen Ihre Notizen aus?"

Zwischen den Jahren und einigen Einsätzen habe ich mich mal wieder mit meiner eigenen Kurzschrift beschäftigt. Dolmetscher notieren beim zeitversetzten (kon­se­kutiven) Dolmetschen die wesentlichen Punkte - und zwar nicht in Steno, wie Sie, lieber anonymer Leser meines Blogs, vermuten (damit sind Sie übrigens in bester Gesellschaft, die Frage höre ich oft!)

An den Hochschulen wird Notizentechnik unterrichtet, es gibt Standardwerke da­zu, am Ende entwickelt jede/jeder von uns sein eigenes System. Da ich in Frank­reich studiert habe, bin ich sehr von der französischen Art des Aufschreibens beeinflusst, dazu kommen deutsche, englische und ein paar spanische Kürzel. Vieles stammt aus der Mathematik, die berühmten +, -, =, <, >, ->, =>, das dürfte bei allen von uns gleich sein. Aus dem Griechischen kommen Buchstaben wie Φ für Philosophie, θ für Theologie oder Theater, ψ für Psychologie usw.

Das einfachste Zeichen, das ich verwende, ist das I, das kürzeste Wort einer Welt­spra­che. Und dann lässt sich mit den An­fangs­buch­staben meiner Sprachen viel anstellen. Logisch, dass D und F meine beiden Arbeitsländer sind, dazu gehören die Adjektive dt und fz und nicht etwa d und f, weil das kleine da­hin­ge­schlän­gel­te Schreib­schrift-F ohne Unterstrich bei mir Film bedeutet ... (Wobei, auf Französisch notiert, heißt f-a durchaus deutsch-französisch, franco-allemand, das ist also kontextabhängig.)

Nehmen wir das E, das scheint einfacher gelagert. Hier habe ich viele Varianten, nur ein "richtiges" E hab ich nicht in Verwendung, weil England GB ist. Auch der Sinn eine auf dem Bauch liegenden Es entschließt sich mir noch nicht. Wer eine gute Idee hat - mit Begründung - bitte her damit! Es geht los mit dem kleinen e von e-Mail oder e-gouvernment: Das macht also sieben Mal "E", denn oben ab­ge­bildete das Zeichen für "europäisch" ist ja nur ein dekliniertes Kürzel.

Smileys "schreiben" viele Kolleginnen und Kollegen sehr detailliert auf, ich nutze sie in ihrer allereinfachsten Art, ohne Augen, das Smiley-Köpfchen grinst oder mault, und wenn etwas ungefähres über seinem Kopf schwebt, eine Tilde, dann denkt das Smiley nach. In der Praxis entstehen viele in­di­vi­du­elle Formen. Das, was notiert wird, ist am Ende oft sprach­un­ge­bun­den, aber nicht nur. Wenn es um wörtliche Wiedergabe geht, notiere ich mit " eingeführte Zitate. Dabei schreibe ich je nach Ent­spannt­heits­grad mehr in dieser oder in jener Sprache auf ...

Im Alltag beobachte ich, dass ich aus­führ­li­cher mitschreibe, je müder ich bin und/oder je länger das Festival dauert. Daher war es eine gute Idee, in den ruhigeren Momenten des Jahres mal wieder in die Bücher reinzugucken.

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Foto: Hier berichtet eine junge Regisseurin aus Paris über ihre berufliche Integration, aber es ist geschmiert, das q° von question/Frage (1. Zeichen viertletzte Zeile) sieht fast aus wie das Zeichen für Mensch, das ist ein I mit kleinem Kreisköpfchen oben drauf!

Dienstag, 9. Februar 2010

Bitten einer Dolmetscherin an ihren Redner

Lieber Redner (und natürlich auch: liebe Rednerin), also ..., was ich Ihnen schon lange mal in Ruhe sagen wollte: Ihr direkter Draht zum Ohr der Dolmetscherin beginnt beim Mikrofon. Behandeln Sie es bitte sorgsam, ganz so, als säßen wir vor Ihnen und Sie hätten wirklich und leibhaftig ein echtes menschliches Ohr vor sich. Pusten Sie also bitte nicht rein, klopfen Sie nicht dagegen, das würden Sie mit unserem Ohr ja auch nicht tun. Vertrauen Sie darauf, dass wir die Technik vorher überprüft haben, und wenn Sie sie dennoch testen müssen (manchmal gibt es in der Tat Gründe dafür, technische Umbauten zum Beispiel), dann sprechen Sie uns ganz leise einige freundliche Worte zu und prüfen Sie dabei, ob Sie sich selbst über die Lautsprecher hören - dann hören wir Dolmetscherinnen Sie in der Regel auch. (Die männliche Form, der Dolmetscher, sei hier immer mitgedacht; indes, unser Beruf wird so stark von Frauen dominiert, dass ich mir ausnahmsweise mal die weibliche Form als Überbegriff erlaube.)

Wie aktiv sind Sie bei Ihren Vorträgen? Ich will nicht wissen, ob Sie viel mit den Händen rudern (solange Sie uns keinen Schlag aufs Ohr, pardon!, das Mikrofon versetzen), sondern ob Sie zum Beispiel aufstehen, um am Flip Chart oder an der Leinwand, auf die Bilder der PowerPointPräsentation projiziert werden, etwas zu erklären. Dann müssten wir nämlich mit Ihnen mitkommen bzw. "das Ohr" - und das geht zum Beispiel mit einem Ansteck- oder einem mobilen Mikrofon. Sprechen Sie über Ihre Erfordernisse vorher bitte mit dem Veranstalter, denn manches bedarf der Vorbereitung. Und wenn Sie sich dann mitten in Ihrer Rede auf Ihre Dokumente beziehen und z.B. ein mobiles Mikrofon in der Hand halten, denken Sie bitte daran, auch hineinzusprechen. Viele Redner wenden den Kopf in Richtung Präsentationsmaterial und 'nehmen' dabei die Hand, die das Mikrofon hält, nicht mit ...

Sollten Sie noch nicht über viel Rednererfahrung verfügen, können wir Ihnen nur den Tipp geben: üben Sie! Fragen Sie Freunde, Verwandte und Kollegen, ob Sie bei ihnen 'vorsingen' dürfen. Bitten Sie sie, neben dem Inhalt auch auf die Form zu achten, zum Beispiel auf Vortraglänge und auf Ihr Sprechtempo. Wer ein Manuskript abliest oder aufgeregt ist, spricht in der Regel schneller als der- oder diejenige, der/die frei formuliert. Das bringt einen klaren Nachteil für das Publikum mit sich, das Ihnen in Ihrer Sprache zuhört: Das 'Mitdenken' erfordert größere Anstrengungen. Das bringt auch einen Nachteil für Ihr fremdsprachiges Publikum mit sich, denn auch wir Dolmetscher müssen uns eilen, haben aber nicht wie Sie stundenlang über Ihren Absätzen geschwitzt, an Ihren Gedanken gefeilt und Ihre Pirouetten geübt, kurz: Wir müssen zugleich verstehen, was Sie Neues zu sagen haben UND dieses auch noch übertragen. Das ist bei Normalsprechgeschwindigkeit schon eine anstrengende Arbeit, je schneller Sie sprechen, desto mehr Mühen haben wir, Ihnen zu folgen.

Ich hatte eben das Wort "ablesen" verwendet ... Darf ich Sie kurz einmal bitten, sich die schönste Erinnerung an einen Vortrag wachzurufen, die Sie als Zuhörer erlebt haben? Wodurch glänzte Rednerin oder Redner? Durch aktuelle Bezüge - zum Beispiel auch durch Anspielungen auf Dinge, die von anderen Rednern zuvor gesagt worden waren -, durch direkte Ansprache des Publikums, durch Geschliffenheit, Humor, Klarheit der Gedankenführung, oft auch dadurch, dass sie oder er zunächst den Weg vorstellte, den man nunmehr gemeinsam gehen würde und dass dann sie oder er in der Rede in kurzen Momenten des Innehaltens den jeweils letzten Gedanken auf diesem Weg immer wieder 'verortet' hat. Und last but not least, sicher auch durch prägnante Arbeit an Begriffen, Definitionen, Abgrenzungen und konkreten Beispielen ... und wie war das jetzt mit der freien Rede? Wie viel hat - über die Zitate hinaus, der oder die Musterrednerin vom Papier abgelesen?

Die besten Redner sind jene, die frei sprechen, souverän sind, eine Beziehung zu ihrem Publikum aufbauen und sich auf dessen Wissenstand einstellen können. Am wenigsten eingängig haben doch die meisten unter uns jene erlebt, die sich angestrengt an ihrem Manuskript festgehalten haben und dabei so chaotisch durch ihre Gedanken gestolpert sind, dass der Weg im Nachhinein für die geneigte Zuhörerschaft nur noch mit Mühen nachzuvollziehen war.

Nun ist es nicht jedem gegeben, ohne viel Lampenfieber souverän öffentlich zu reden, aber auch hier gilt: Übung macht den Meister. Und jetzt habe ich, Ihre Stimme aus dem Kopfhörer, noch eine kleine Bitte: Die Struktur Ihrer Rede, Ihre Stichworte, Zitate und Ihre digitalen Präsentationen oder Kurzfilme (bzw. dessen Skript) interessieren mich nicht erst dann, wenn Sie anfangen zu sprechen - ich denke mich gerne ein in das, was Sie mitzuteilen haben, und ich nehme mir auch gerne im Vorfeld Zeit dafür. Deshalb würde ich mich sehr freuen, von Ihnen beizeiten (z.B. eine Woche zuvor, spätestens am Vorabend) Informationen über den Inhalt Ihres Vortrags zu erhalten, damit ich mich einarbeiten kann. Dazu müssen Sie mich nicht direkt anmailen, oftmals kennen Sie mich ja gar nicht. Der Veranstalter wird Ihre Mail indes gern an mich weiterleiten.

Dann bis die Tage bei der Konferenz. Wir sind ganz Ohr!__________________
Foto: Wikipedia.fr / common license

Donnerstag, 4. Februar 2010

Der Dolmetscher, der doch einer war

Dolmetscher sind wie Produktionsleiter - ihre Arbeit fällt nur dann auf, wenn sie nicht gut gemacht ist. Was als Einwurf für Filmleute gedacht war, die unsereinen nicht so recht einschätzen können und auf den Gedanken verfallen, die PR-Mitarbeiterin, die vor dem Studium ein Jahr in Paris zugebracht hat, könne für den Chef des Festival du Film de Cannes mal eben so simultan Filme einsprechen (Gruß nach München!), hat erschreckend Aktualität gewonnen.

Seit dem 15. Januar lachen viele YouTube-Nutzer, etliche Blogger kommentierten bereits das Sprachvermögen eines Unbekannten, als die Kabinenkatastrophe einen halben Monat später auch die Süddeutsche Zeitung erreichte: sehr wohl fiel die Leistung eines völlig überforderten Dolmetschers aus Südostdeutschland auf, der die Worte von Michaels Schwester La Toya Jackson bei einer kurzen Rede anlässlich des Semperoperballs verhunzte, statt zu dolmetschen. Zugegeben, Frau Jackson gehört zu den berüchtigten Hochgeschwindigkeitssprechern, aber als ich den Ausschnitt der Sendung sah, die der MDR live übertragen hatte, war ich trotzdem entsetzt, und fragte mich betreten zusammen mit Arbeitskollegen auf internen Foren: "who done it?" Vermutlich eher der Hausmeister, als der Gärtner, denn ob die Semperoper über Gärten verfügt?

So muss echtes Angelsächsisch klingen - so klingt vor allem jemand, der wirklich kein Dolmetscher sein kann. Mein ganzer Ärger galt dem Sender bzw. jenen Einzelverantwortlichen, die wieder einmal den Dolmetscher zuletzt gebucht und möglicherweise im Honorar gedrückt hatten - oder denen entgangen war, dass ihr Dolmetscher eine Grippe ausbrütet, der dann höchst dramatisch im letzten Moment aus den Schuhen kippt, weshalb besagter Hausmeister in die Bütt' musste oder ein anderer älterer Herr von dem man weiß, dass der mal in England gewesen ist.

Kalauer beiseite, was nach elder Statesman klingt, ist zumindest kein junger Mensch mehr, und er arbeitet tatsächlich als Dolmetscher, erfuhr ich heute aus der Leipziger Volkszeitung. Die sächsische Stimme von Frau Jackson, Arndt Spindler aus Freiberg, gibt dort Folgendes als Ursache des Problems an: "Während der Danksagung von La Toya Jackson war neben ihrer Stimme meine eigene zugeschaltet. Ich habe also mich gehört und konnte die Dame nicht mehr richtig verstehen."

Die Antwort befriedigt mich nicht ganz. Wieso sitzt der Mann für Englisch in der Kabine, wo er im Berufsverband doch für Russisch und Polnisch auf der Liste steht? Wieso gab es keinen Technik-Check, da hätte die Fehlschaltung auffallen müssen? Was war zu Beginn der Verdolmetschung los, das klingt wie ein Fehlstart, als hätte man eine andere Kabine gehört (eine Frau) ... wo saß der Techniker - nicht in Sichtweite? Er hätte reinhören und reagieren müssen! Wieviel Medienerfahrung hatte der Mann? Und zu welchem Honorar wurde er mit welchem Vorlauf engagiert?

Es bleiben Fragen angesichts so vieler Ungereimtheiten!

Dienstag, 2. Februar 2010

Dolmetschmarkt für Russisch?

Heute fragt eine junge Frau aus Russland nach Berufsaussichten als Dolmetscher/Übersetzer:
Sehr geehrte Frau Elias,

als ich Informationen über den Beruf des Dolmetschers/Übersetzers gesucht habe, fand ich Ihren Blog. Ihre Art zu schreiben und Ihre Erfahrung, die Sie weitergeben, haben mir Mut gemacht Ihnen zu schreiben, um nach einem Rat zu fragen.
Ich komme aus St. Petersburg und bin bald mit meinem Studium (Slawistik und Deutsch) in Greifswald fertig. Ich habe einige Praktika als Übersetzer/Dolmetscher in Deutschland gemacht und hatte vor, nach meinem Studium, in St. Petersburg als Übersetzerin/Dolmetscherin zu arbeiten. In St. Petersburg habe ich, bevor ich nach Deutschland gekommen bin, auch ein Studium (Dipl. Englisch und Chemie) absolviert, um auch wissenschaftliche Texte übersetzen zu können.

Vor einem Jahr habe ich geheiratet und muss mich jetzt entscheiden, in welche Richtung ich mich weiterbilde, um in Deutschland erfolgreich arbeiten zu können. Mein Wunsch ist es, als Übersetzerin und Dolmetscherin zu arbeiten. Jedoch finde ich nicht die aktuellen Informationen, ob ich mit meiner Sprach/Fach-Kombination und Russisch als Muttersprache tatsächlich den Bedürfnissen des Marktes entspreche.

Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie Zeit finden würden, um zu antworten!
Vielen Dank,
Katja

Liebe Katja,

den Russisch-Markt kann ich leider nicht einschätzen. Ich kann nach der Berlinale gern mal ein paar Kolleginnen für Sie dazu befragen (die nicht auf der Berlinale arbeiten, sonst wäre es ein leichtes gewesen, dies' nebenbei zu tun.)

Schon heute möchte ich Ihnen dafür aber auch den Berliner Stammtisch des Bundes der Übersetzer und Dolmetscher (www.BDÜ.de) empfehlen, wo regelmäßig Kolleginnen und Kollegen zusammenkommen und auch sehr freundlich miteinander umgehen. Dort wird es sicher die eine oder andere Kollegin (wahlweise auch Kollegen) geben, der (die) Ihnen da mehr sagen kann. Von Greifswald aus ist Berlin ja gut zu erreichen. Vielleicht können Sie dann auch an der Humboldt-Uni vorbeischauen, der dortige Lehrstuhl für Translationswissenschaft/Dolmetschen für Slawistik scheint auf den ersten Blick nicht so sehr in Mitleidenschaft gezogen wie der für romanische Sprachen (zu meinem großen Unverständnis geht die Berliner Bildungspolitik in den letzten Jahren davon aus, dass wir in Berlin keine vollständige Dolmetscherausbildung mehr brauchen).

Ihre Voraussetzungen lesen sich für mich auf den ersten Blick schon einmal sehr gut - gerade auch, dass Sie neben Sprachen eine naturwissenschaftliche Fachrichtung studiert haben. Es hängt sicher auch von der wirtschaftlichen Entwicklung der kommenden Jahre ab, wie die Nachfrage nach Russisch wächst; Dank Internet können Sie später leicht bei potentiellen Auftraggebern in Russland auf sich aufmerksam machen, die ja oft ihre Endkunden sein dürften, hier denke ich vor allem ans Übersetzen, das sich ja von überall her anbieten lässt. Um ausreichend Dolmetschaufträge zu erhalten, ist in der Regel ein bestimmtes Einzugsgebiet nötig ...

In der Hoffnung, ein klein' wenig zur Antwort beigetragen zu haben, sende ich einen herzlichen Pausengruß nach Greifswald!

Caroline

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Foto: Mein Wasserball für den Französischunterricht. Rumwerfen, blind mit dem Finger auf ein Land zeigen und einen Satz bilden, dann weiterwerfen ...

Montag, 1. Februar 2010

Frage: Wie werde ich Filmübersetzer?

Bon­jour auf den Sei­ten mei­nes Blogs aus der Spra­chen­welt. Wie schon letztes Jahr antworte ich vor und zum Teil auch während der Berlinale auf Leserfragen. Den Anfang macht eine junge Frau, die in Wien studiert.

Sehr geehrte Fr. Elias!



Ich werde dieses Jahr mein Spanisch und Linguistik Studium in Wien beenden und habe schon seit längerer Zeit versucht Informationen über den Beruf des Film Übersetzers und den Möglichkeiten diesen auszuüben herauszufinden. Dabei bin ich jetzt auf Ihren Artikel in Germanopolis gestoßen und wollte Sie fragen, ob Sie mir einen Rat geben könnten, was ich tun muss oder kann, um dieses Ziel zu erreichen. Danke im voraus!



MFG Romana

Liebe Romana,



der Artikel bei Germanopolis ist nur insoweit von mir, als dass es sich um eine Zusammenfassung eines Vortrags handelt, den ich vor Jahren in der Humboldt- Universität zu Berlin gehalten habe. 



Dass Sie sich für unseren Beruf interessieren, finde ich schön. Indes, "Filmübersetzer und -dolmetscher" ist kein Beruf, sondern eine Spezialisierung, die sehr mühsam zu erlangen ist — wie alle Spezialisierungen, denke ich. Der dazugehörige Grundberuf lautet "Übersetzer und Dolmetscher" und wird heute im Studium oft zusätzlich belegt — oder eben in der neuen Form als Master, nach einem Bachelor in Sprachen, wobei eine grundständige akademische Ausbildung (oder das, was die Franzosen cycle long nennen) meiner Meinung nach mit dem neuen BA- und MA-System nicht zu vergleichen ist. (Ich selbst habe zwar nicht sehr lange Dolmetschen studiert, aber lange studiert und dann einen Beruf gelernt und ausgeübt, und das im Land meiner zweiten Sprache.)



Viel Fachliteratur ...Dann ist es wichtig, gut und gerne zu übersetzen und zu dolmetschen und sich auch in der Muttersprache ständig mit viel Liebe zum Wort weiterzubilden.
Paradoxerweise funktioniert das auch über das Selberschreiben. Dazu kann ich Ihnen nur raten, ohne gleich anderweitige Ambitionen zu entwickeln ...


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Sie ahnen es wohl schon: das alles braucht Jahre, die arbeitsam, anstrengend und entbehrungsreich sein können.



Welche Sprache ist Ihre Muttersprache? Sie sollten sich ernsthaft die Frage stellen, wie viele Drehbücher in ihre Muttersprache übersetzt werden, ob es im Land ein großes Festival gibt usw., um die wirtschaftliche Tragfähigkeit einer solchen Entscheidung zu prüfen. Und dann ist es natürlich Grundvoraussetzung, ein Filmfreak zu sein, viele Festivals zu besuchen, zu sehen, zu lesen und zu lernen ... sich als Praktikant auf dem Set herumzutreiben und zu schauen, bei welchen Kursen an der Filmhochschule auch Gasthörer zugelassen sind.



Soviel zum Filmschwerpunkt — indes, kaum jemand in unserem Bereich hat nur einen Schwerpunkt, es sei denn, er oder sie ist festangestellt. Auch ich habe weitere Fachgebiete, in denen ich arbeite, aber die Medien bilden schon meinen Schwerpunkt.



Bei den meisten Kolleginnen und Kollegen stellt sich übrigens irgendwann auch in der Arbeit ein Schwerpunkt heraus, am Ende übersetzen die einen mehr, die anderen sie verbringen mehr Zeit in der Kabine. Mein Weg aus der Medienpraxis in die Vermittlung — ich unterrichte auch — ist sehr selten. Ebenso ist es selten, dass jemand wie ich gleichermaßen dolmetscht, übersetzt und selbst schreibt. Ich kenne sonst niemanden, der so arbeitet ... 



Entgegen der landläufigen Vorstellung hat der Schwerpunkt Film und Medien übrigens wenig Glamouröses zu bieten. Klar, ich treffe auf Stars, aber in der Arbeit sind es "Menschen wie du und ich", und da werden nur die Ärmel hochgekrempelt.



Auch Filmparties waren gestern. Seit ich Festivals vor allem als Dolmetscherin besuche, bekomme ich keine Einladungen mehr zu Empfängen, oder nur noch ganz selten. Ich sage es mal mit dem bösen Wort, das angeblich auf einen früheren Botschafters aus dem Bouquet der Frankophonie zurückgeht: "On ne demande pas les laquais à sa table" — man bittet seine Lakaien nicht zu Tisch oder frei übersetzt: man lädt Lakaien nicht zu sich zum Essen ein.

Dieser Satz sagt sehr viel darüber aus, wie viel Verachtung uns Dolmetschern auch entgegenschlagen kann, wenn wir für andere "nur" Sprachrohr sind, das ist das Anti-Glamour-Programm. Ich stehe drüber ... nun, meistens, so ehrlich muss ich sein, und kompensiere durch journalistische Arbeit und den einen oder anderen Film, den ich alle zwei Jahre koproduziere. Als ich "nur" Filmmitarbeiterin war, tanzte ich übrigens auf (fast) allen Berlinale-Parties. 



Falls Sie weitere Fragen haben, erreichen Sie mich unter caroline(at)adazylla.de



Gruß,

Caroline

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Foto: C.E. (Nur ein halbes Brett eines
ganzen Filmbücherschranks ...)
Mehr zum Thema hier und hier.