Mittwoch, 15. September 2010

Tischvorlage

In der Welt der Politiker und der Diplomaten - und damit auch jener der Dolmetscher - gibt es  so komische Worte wie "Tischvorlage". Das Wort ist kein Oberbegriff für "Schreibtischunterlage", sondern bezeichnet ein aktuelles Papier. Wie aktuell, durfte ich mal wieder (leidvoll) erfahren.

Dieser Tage war ich in Berlin mit einer Delegation in Ministerien unterwegs, und dazu sollte ich Vorlagen bekommen. Aber zunächst verhandelten wir die Anzahl der Arbeitstage und den Preis, denn im Vorfeld war nicht klar, ob man mich nur einen oder gar drei Tage brauchen würde. Dass es zu einem Einsatz kommen könnte, weiß ich seit Mitte/Ende August.

Als nun die letzte Woche alles weiter in der Schwebe war, bat ich dennoch um die rechtzeitige Zusendung von Informationsmaterial. "Kommt aus Straßburg", hieß es erst in Berlin, « on vous enverra les textes depuis Strasbourg » dann in Paris.

Ich aber wartete.

Drei Tage später war weiter Stagnation angesagt, denn am Programm wurde noch gestrickt. Von der Möglichkeit, die deutschsprachigen Termine zusammenzufassen, sollte meine Einsatzdauer abhängen. Ich bat darum, mir in der Zwischenzeit wenigstens erstes Informationsmaterial zuzusenden, damit ich mich würde einlesen können. Denn bislang kannte ich bis auf die Überschrift, unter der dieser Einsatz firmieren sollte, nichts. Normalerweise lerne ich für solche Termine und Themen - EU-Haushalt! - eine Woche lang täglich mindestens zwei Stunden lang. Ich fühlte mich ausgebremst.

Um's kurz zu machen: Ich bekam das Hintergrundmaterial 18 Stunden vor dem Termin, am Nachmittag für den nächsten Morgen. Die Tischvorlagen waren gar nicht erst dabei. Es seien aktuelle Dokumente, die Beteiligten erhielten sie erst am Morgen selbst, wurde ich auf Nachfrage belehrt.

Nun stand bei uns für den Abend vor dem Dolmetscheinsatz schon seit längerem ein kulturelles Ereignis auf dem Programm, auf das ich ungern verzichten wollte. Ich druckte also alles aus, überflog die Texte eine Stunde lang, kreuzte alles an, was nicht einfach schien - und arbeitete eine weitere Stunde an einer Lexik.

Lexiken sind selbstgebastelte "Wörterbücher", Ergebnis der Vokabelrecherche für das betreffende semantische Feld. Mangels Zeit hatte ich kurz darauf ein Kondensat des Ganzen, das ausgedruckt ins Abendhandtäschchen wanderte, später unters Kopfkissen, am Morgen war es der Leitfaden auf der Zweitreise durch das Material, eine Stunde vor Aufbruch sowie im Taxi zum Ministerium. Last but not least tut ein solcher Zettel beste Dienste als "Spickettel" ...

Zum Glück für mich an diesem Tag: Das Arbeitspapier für das Gespräch, eben jene Tischvorlage, war nicht so weit entfernt vom Vorbereitungsmaterial.

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Foto: Der Notizblock von der deutschen
EU-Ratspräsidentschaft passte zum Thema

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