Mittwoch, 16. Juni 2010

Die Konkurrenz schläft nicht/doch (Unzutreffendes bitte streichen)

Bon­jour und gu­ten Tag! Hier bloggt eine Dol­metsch­erin und Über­setzerin für die fran­zö­si­sche Spra­che. Ich beschreibe an dieser Stelle die Besonderheiten unseres Berufs, stets unter Wahrung dienstlicher Geheimnisse.

Die Konkurrenz schläft nicht, davon bin ich bislang immer ausgegangen. Gestern wurde ich eines Besseren belehrt.

Unter den Berliner Filmjournalisten, die oft französischsprachige Regisseure und Schauspieler interviewen, bin ich in­zwi­schen persönlich bekannt. So passiert es regelmäßig, dass ich, wenn ich mal nicht für einen Gast aus Frank­reich ge­dol­metscht habe, anschließend Tonschnipsel zugemailt bekomme mit der Bitte, doch mal kurz zu sagen, was denn in diesem oder jenem O-Ton erzählt worden sei oder aber wie jener Regisseur denn nun heißen würde, in dessen Namen jemand aus Versehen hineingeräuspert hat.
Dass mir ein Lieblingseinsatz entgeht, kommt schon mal vor. Letzte Woche war ich in Paris, also nicht greifbar für Berliner Kunden, und ja, es gibt Konkurrenz sowie etliche, die frisch diplomiert oder selbstberufen in die Haut eines Kon­se­ku­tiv­dol­met­schers von Stars schlüpfen möchten. Und da auch die Kinobranche von der Krise betroffen ist, vermittelt der eine oder andere Verleihmitarbeiter vielleicht sogar mal den Spez'n.

Was wir gestern in den Tonschnipseln hörten, sorgte immerhin für beste Laune im Büro. Wie mir nachher der Journalist erzählte, war der fürs Übersetzen An­ge­heu­er­te schon in der Vorstellungsrunde derart wortkarg gewesen, dass der Regisseur die englische Sprache als lingua franca des Gruppeninterviews vorschlug. Dann warf der Journalist unseres Vertrauens die Bandmaschine an oder ein Gerät aus dem späten 19. Jahrhundert (Wachsplatten?), dessen Grundrauschen die Auf­schlüs­selung des Aufgezeichneten kurzweilig erschwerte.

Interviewraten 
 ein neues Spiel. Aber auch vor Ort wurde oft nachgefragt. Wie­der­holt stellt dort ein deutscher Journalist eine Frage in wärry dschärmen Inglisch, und der Franzose bittet um Übersetzung. Diese wird geflüstert, den Antworten zufolge hat das noch mehrheitlich geklappt. Dann aber sucht der Gast aus Frank­reich nach englischen Begriffen. Ob er politisch sei, wird er von den Journalisten beim Press Junket gefragt, und antwortet sinngemäß und auf Französisch, dass er auf den Politiker warte, der sein Amt mit Leib und Seele und aus Überzeugung ausfülle, ja quasi wie ein Priesteramt, und den nicht nur und vor allem das Ego antreibe. Der Künstler wandte sich mit seinem französischen Satz hörbar an eine im Raum befindliche dritte Partei ... die aber schwieg.

Nun sind Begriffe wie "le sacerdoce" und "être mu" beileibe kein All­tags­fran­zö­sisch 
 aber jener Regisseur ist auch ein Ausnahmeregisseur, und ein solcher darf schon mal in einem Interview gehobenes Französisch sprechen. Dafür gibt's ja Dolmetscher. Eigentlich. Hier saß ganz offenbar "ein Dolmetscher/eine Dol­met­scherin" als schmückendes Beiwerk im Raum. Die Konkurrenz schläft leider manch­mal wohl doch. Und bei näherem Hinhören kann es auch ein Hör­funk­jour­nalist gewesen sein, der so ganz OK Französisch spricht (und offenbar noch nicht in die Funktionsweise eines Wörterbuchs eingeführt wurde).

Ich gelobe, mich fortan mit nachträglichen, ehrenamtlichen “Reparaturarbeiten” zurückzuhalten. Ja, ich gebe zu, ich wurde in den letzten Jahren wiederholt in diese Richtung tätig, aber nur, damit die Worte der Filmschaffenden bestmöglich übertragen werden, weil es schnell gehen musste und überhaupt.
|Nicht einfach, wenn | Schon doof, wenn man mit Leib und Seele Sprachmittlerin ist, oder?

______________________________
Foto: natürlich eine andere Dolmetschsituation, 

in der mir das Bild misslungen ist, daher hab 
ich mit der Grafik experimentiert!

3 Kommentare:

Vega hat gesagt…

Was für ne heiße Story! Kommt wohl öfter vor in Eurem Gewerbe, dass da Leute sitzen, die da nicht hingehören, Stichwort: Jackson/Semper Oper!! Hihi ...

Schomma gut, dass Du Dich nicht ärgern lässt, Süße! Qualität setzt sich am Ende eben doch durch!

War schön neulich, großes Kino, bald wieder!
A bientôt,
Bine

caro_berlin hat gesagt…

Moin!
Nee, nee, das DARF eigentlich nicht vorkommen unter Dolmetschern! Aber bei Jackson war's unüberhörbar, da gibt's nichts zu leugnen. Der Mann wohl schon nicht mehr jung an Jahren und er hat sich offenbar verschätzt, denn für Englisch steht/stand er nicht im Dolmetscherverzeichnis. (Ich weiß nicht, ob er nach der Sache im Berufsverband bleiben durfte.)

Denn eins ist klar: Ein Dolmetscher, der sich gemäß dem Berufsethos verhält, setzt sich einfach nicht für eine Sprache vors Mikro, die er nicht kann. Außerdem fehlte offenbar ein Technikcheck. Nee, nee, völlig untypisch und nicht zu verallgemeinern!!

Die Sache von gestern ist mir aber noch nicht klar. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es eine Nachwuchskraft gewesen sein soll, die macht sich ja den Ruf kaputt - und das geht schnell in dem Gewerbe. Ich fürchte, dass es die berühmte Spez'n-Sache war, "wir kennen jemanden, der hat auch mal was mit Sprachen gemacht ... Außerdem hat der Regisseur mal in den USA gearbeitet, der spricht ohnehin meistens Englisch."

Die Ausschnitte waren schon krass, und ich denke, das war KEIN Dolmetscher. Also bitte auch kein Dolmetscherbashing jetzt hier, das wollte ich nicht provozieren!!

Dir einen schönen Tag mit Deinen Mäusen, grüß' schön, auch Monsieur!

Ich hau mal weiter in die Tasten!
Salut,
Caro

caro_berlin hat gesagt…

P.S.: Einer der betroffenen Journalisten hat die Wachsplattenqualität der Aufnahme digital verbessert und alle konnten den Sprecher einwandfrei erkennen. Es handelte sich übrigens um die Interviews zu Jean Pierre Jeunets "Micmacs" aus dem Kinowelt-Filmverleih. Und um den Verleih noch in Schutz zu nehmen, die ich ja oben indirekt "gebasht" habe: In der Regel heuern Presseagenturen die PR-Mitarbeiter an und die wiederum befinden sich angesichts steigender Konkurrenz der Filme und Agenturen immer mehr unter Lieferzwängen. Ich kann soweit alle verstehen.

Ich hab jetzt übrigens das Angebot auf dem Tisch, ins Management einer Film-PR-Agentur einzusteigen. Soll ich das als Kompensation verlorener Aufträge oder als *räusper* Angebot der Vorteilsnahme begreifen? Das mal nur so nebenbei ...

Nein, ich werde weiter die Klappe halten, nur hier im Arbeitstagebuch schreibe ich ab und zu Tacheles, denn mein Tagebuch hätte diesen Namen nicht verdient, würde ich mich hier selbst belügen. (Im digitalen Rauschen geht das ohnehin unter.) Auf direkte Nachfrage dekonspiriere ich, ansonsten habe ich keine Lust, als Verräterin gebrandmarkt zu werden.

Andererseits sind die Politikaufträge gerade zu spannend, der etwas andere Wirtschaftskrimi eben ...