Dienstag, 26. Januar 2010

Räuspertaste

Bonjour, hello und guten Tag! Hier bloggt eine Übersetzerin und Dolmetscherin.

Am Dolmetschpult gibt es einen Knopf mit dem schönen Namen "Räuspertaste". Wenn die Anlage eingeschaltet ist können wir damit für die Dauer eines Räusperns oder Hustens akustisch auf Distanz gehen. Das ist sehr sinnvoll, denn laute Geräusche, die einem beim konzentrierten Zuhören plötzlich ins Ohr |ploppen| knallen, sind störend und können schmerzen. Ich erlebe das selbst regelmäßig, wenn ich auf internationalen Festivals der Live-Verdolmetschung zum Beispiel asiatischer Filme oder Theaterstücke lausche. Jeder und jede, die diese auch "Einsprechen" genannte Arbeit gelegentlich leistet, sollte sich regelmäßig anhören, wie es klingt. Das kann sogar lustig werden. Unvergesslich ist die Begleitakustik, die ich einmal bei einem sehr meditativen und entsprechend wortkargen Film aus einer Dolmetschkabine vernommen habe, die im Kabuff des Filmvorführers gleich neben dem Projektor stand: Dolmetscherin und Vorführer parlierten bei offener Kabinentür munter miteinander und flirteten, was das Zeug hielt. Das gab dem Film eine ganz andere, unerwartete Ebene. (Die Kollegin kannte offenbar den Film und hatte hoffentlich nur vergessen, in den stummen Phasen die Anlage auszuschalten.) Seitdem vermeide ich Geräusche, über die ich mir zuvor in der Kabine nie 'nen Kopp' gemacht hatte, auch auf normalen Konferenzen: Gluckern, wenn Wasser nachgeschenkt wird, Trink- und Schluckgeräusche, Naseputzen und derlei. Für all'das gibt es wie gesagt die Räuspertaste.

Den gestrigen Tag werde ich allerdings auch nicht vergessen. Wir dolmetschten eine Sitzung von Menschen, die auf höchster Ebene in einem meiner kulturwirtschaftlichen Fachgebiete tätig sind. Drei ausländische Kollegen waren zur Tagung eingeladen worden, je ein Gast aus zwei französischsprachigen Ländern und ein Vertreter der Verwaltung aus Brüssel. Die Arbeitssprachen waren somit Deutsch und Französisch, obwohl die Muttersprache des Beamten der EU nicht Französisch ist.

Der Vormittag war kein Problem, wir übertrugen alles, was auf Deutsch gesagt wurde, in die Sprache der Gäste. Vor dem Mittagessen kamen unsere zwei Französisch-Muttersprachlerinnen dran, ebenfalls kein Problem. Beim Essen lernten wir kurz unseren letzten "Dolmetschkunden" kennen, was sehr gut war, um sich schon mal auf den Akzent des Euro-Herren einzuhören.

Was dann folgte, war sehr anstrengend. Monsieur hielt seinen Vortrag, mit einer PowerPointPräsentation (PPT) unterstützt, die im Vorfeld von jemandem übersetzt worden war, der kein Fachmann des Themas ist. Meine Kabinenkollegin hörte also die Ausführungen des Redners, wobei sie immer wegblenden musste, was da auf Deutsch parallel zu lesen stand, wunderte sich über fehlende Satzenden, schlecht ausgesprochene, kaum verständliche Vokabeln und über Widersprüche, die sich zu den doch nicht ganz von ihr ausgeblendeten '"Dias" der PPT ergaben. Zum inhaltlichen Kuddelmuddel gesellte sich noch große Hektik und Nervosität des Vortragenden, die zu einer Sprechgeschwindigkeit führten, die mindestens das 1,5-fache des normalen Sprechtempos war.

Dann war die Rede vorbei. Ich übernahm das Mikro für die Diskussion in der Hoffnung, dass die freie Rede des werten Herrn etwas weniger hastig ausfallen möge. Aber weit gefehlt, er holte aus, gestikulierte, knallte mit der Hand ans Mikrophon, dass mir fast das Trommelfell platzte ... und setzte seine chaotische Art des Sprechens fort.

Bei der Übergabe des Mikros nutzten meine Kollegin und ich die kurze Pause, die durch den — zum Teil der Höflichkeit geschuldeten — Applaus entstand, gossen Mineralwasser nach und lästerten ... natürlich unter Betätigung der bereits erwähnten Räuspertaste. Ich lästere höchst ungern, weil ich mich als jemand, die sich die Worte einer oder eines Fremden buchstäblich einverleiben muss, damit selbst gegen ihn oder sie aufbringe. Indes, ab einem gewissen Level ist der kurze, bissige Kommentar zwingend notwendig: Einmal Dampf ablassen und der Kollegin Anteilnahme zeigen, das hilft! Zack und weiter! Jetzt war ich dran, jetzt litt ich, kämpfte und nach getaner Arbeit griff ich wieder nach der Räuspertaste.Was später geschah, fing merkwürdig an. Nach der Konferenz stand ein Empfang mit hohen Kommunalpolitikern auf dem Programm, aber erst saßen wir gemeinsam im Reisebus und besahen uns im Warmen einige touristische Höhepunkte der tiefgefrorenen Stadt. Beim Warten auf die Abfahrt, unterwegs und in der Schlange der Garderobe erhielten wir so viele Bemerkungen wie selten zuvor zu unserer Arbeit, und zwar des Tenors, dass der Beamte aus Brüssel ja wohl fürchterlich gewesen sein müsse und dass wir uns aber wacker geschlagen hätten. Wir waren über so viel Verständnis des Publikums begeistert und haben es leise schmunzelnd zur Kenntnis genommen. Nach den Reden wurde noch getrunken und gegessen. War es der Wein, der noch mehr Vertrauen entstehen ließ? Oder lag es an der Dauer des gemeinsam verbrachten Abends (dadurch befördert, dass jeder Gedanke an die strenge Kälte draußen Aufbruchgedanken lange unkonkret werden ließ) ... kurz, die Bemerkungen zu unserem bürokratischen PowerPoint-Durchstolperer rissen nicht ab, Monsieur sei ja wohl besonders ... wir bejahten dies stets und hielten dann die Klappe. Bis einer unserer Zuhörer anfügte, dass er sich derlei schon gedacht habe, das wäre ja aus dem Gespräch von uns Dolmetscherinnen im Anschluss an den Vortrag messerscharf zu schließen gewesen - eine von uns hätte den Begriff "Höchststrafe" verwendet.

Sie können sich vorstellen, dass wir am liebsten im Boden versunken wären, so peinlich war das. Unser Gegenüber versicherte uns aber, man habe es ganz amüsant gefunden und meinte nur trocken: "Wir Kulturleute haben vollstes Verständnis!"

Soviel zum Thema Räuspertaste, die offenbar auch mal kaputt sein kann. Künftig werden wir schriftlich husten und ausschließlich mimisch kommentieren. Augenrollen, erschrecktes Aufreißen derselben, Vogel zeigen — die Geste überträgt sich unserer geneigten und geschätzten Hörerschaft maximal als das Rascheln eines Jacketts.

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2. Foto: Ein anderes Technikproblem: Beim Umschalten sprang
mir bei einem anderen Einsatz der Knopf für Französisch entgegen.
Solche Pannen müssten eigentlich nicht sein, aber offenbar wird
auch hier "gespart" ...

2 Kommentare:

Thomas hat gesagt…

Hallo Frau Elias,
das ist ja mal ein lustiger Beitrag! Ich denke, weniger für Sie, als Sie es erlebt haben, aber die Situation ist schon urkomisch! Und den Sinn für Komik haben Sie ja auch erfasst, so, wie Sie das beschreiben.
Sie sollten ein Buch daraus machen!
Viele Grüße und eine schöne Berlinale wünscht,
Thomas

caro_berlin hat gesagt…

Lieber Thomas (ich glaub', ich weiß, welcher Frankfurter T. mir hier schreibt ;-),

Danke für die Anregung. Diesen Vorschlag höre ich jetzt immer häufiger, vielleicht auch, weil jetzt so viele Artikel zusammengekommen sind. Ich hätt' auch schon Ideen, wie det Janze zu erweitern und allgemeingültiger zu machen wäre. Wenn Sie von einem Verlag hören, den das interessieren könnte, lassen Sie es mich wissen!

Gruß, auch an Ihre liebe Frau,
Caroline