Dienstag, 21. Juli 2009

Probleme beim Drehbuchübersetzen

Drehbücher sollen in der Übersetzung so klingen, als seien sie in der Zielsprache verfasst worden. Das führt dazu, dass ich immer wieder lese, spontane Übersetzungslösungen ausblende, mir stattdessen die Szenen vor dem geistigen Auge vorstelle, sie sehe - und dann auf Deutsch wiedergebe. Kurz, es ist eine andere Art des Übersetzens als bei einem Fachtext. Es geht um Prägnanz in der Zielsprache, das Vermeiden komplizierter Begriffe, um die Verwendung situativ und technisch richtiger Worte, die sich auf Requisiten beziehen, die Berücksichtigung sozialer und kultureller Eigenarten und darum, dass beide Texte, Original und Übersetzung, die gleiche Wirkung haben, die gleiche Welt 'erschaffen'. Da kommt es schon mal zu Verschiebungen. Beispiele.

D'un mouvement de tête pas très assuré, Gérard fait comprendre que non. Das bedeutet wörtlich: "Mit einer nicht sehr selbstsicheren Kopfbewegung gibt Gérard zu verstehen, dass es 'Nein' ist". Daraus habe ich in der Arbeitsfassung erstmal gemacht: Gérard nickt zögerlich, wirkt unsicher dabei.

Das Telefon klingelt, dann steht da Gérard décroche. Ich schreibe also: "er geht dran" und nicht "er hebt ab". Gérard befindet sich auf der Straße, er nutzt das Handy und kein Tischtelefon mit Telefonhörer.François regarde quelques instants la photo - "Er wirft einen kurzen Blick auf das Foto" anstatt: "Er sieht das Foto einige Augenblicke lang an", das ist viel zu kompliziert.

Auf einem Schreibtisch steht ein Faxgerät, das leise knatternd die Seiten einer Fernkopie freigibt. Auf Französisch kotzt es die Seiten aus (vomir) und entschleiert (dévoiler) sie nach und nach, im Nebensatz wird das Geräusch angedeutet, das ich hier explizit werden lasse. Das Kotzen war mir dann doch zu viel für die sensiblen Redakteure und Geldgeber, zumal mit diesem Wort im Drehbuch kein neues Thema, etwa eine Abstoßungsreaktion, eine Technikphobie oder derlei mehr angedeutet war, es schien lediglich der Absicht des Autors zu folgen, flapsig zu formulieren. So dass ich nach dem Umschnitt, wenige Zeilen später, aus "steigt schnell ins Auto" ein "springt ins Auto" gemacht habe, immer mit dem Ziel, dass beide Fassungen im Ganzen gleich wirken.

Man mag einwenden, dass ich hier sehr stark eingreife und mir zu viele Gedanken über die Redakteure mache. Nämliche haben bei besagtem Projekt in der Treatmentstufe auf das Wort "Bulle" hochsensibel reagiert, obwohl es im Treatment mehrfach vorkommt. Doch hierzu einen kleinen Exkurs.

Bei der Übertragung von Büchern in englischer Sprache gibt es ein zentrales Problem, es heißt "DuSie". Das englische you als einzige Form der Ansprache müssen wir Übersetzer adäquat rüberbringen, haben also immer die Frage im Hinterkopf, wann es ein höfliches "Sie" bedeutet und wann das vertraute "Du". Eine Grundregel, die z.B. für die Kategorie boy meets girl gilt, für Filme, in denen eine Liebesgeschichte eine wichtige, wenn nicht die zentrale Rolle spielt: Gesiezt wird so lange, bis man sich ... näher gekommen ist. Für die "Zigarette danach" darf also gefragt werden: "Hast du Feuer?" (obwohl das ja gerade getestet wurde ;-)

Im Krimi, den ich gerade übertrage, ist sehr oft ist vom flic die Rede. Das ist eben nicht das Wort für 'Polizist', sondern die umgangssprachliche Variante, die auch negativer konnotiert sein kann. Das englische Wort cop kommt dem recht nahe - aber französische Umgangssprache in einem Film, der in Paris spielt, durch einen Anglizismus übertragen? Da graust es nicht nur die Mitglieder der Académie Française!

Ich nehme die DuSie-Regel, überlege immer den Grad der Vertrautheit, die Intentionen, den Kontext. Und bei dem nächsten Dolmetscheinsatz im Terrain, bei der Begegnungen von Sozialarbeitern, Lehrern, Jugendrichtern und 'flics' aus Neukölln und Clichy-sous-Bois frage ich den entsprechenden Gewährsmann.

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