Freitag, 5. Dezember 2008

Laurent Cantet in Berlin

Viele Dolmetschkunden betreue ich über Jahre. Zum Beispiel Regisseur Laurent Cantet, den Gewinner der diesjährigen "Goldenen Palme" von Cannes. Er war um das Jahr 2000 zum ersten Mal mit einem Film in Berlin. Schon damals dolmetschte ich ihn, als er im "Cinéma Paris" die Arte-Koproduktion "Ressources humaines" (wörtlich: Personalabteilung) vorstellte.

Zwischen beiden Filmen liegen vier andere Streifen, für die ich zum Teil auch tätig wurde. Und letzten Sommer war Laurents Film der Eröffnungsfilm des Münchener Filmfests, und ich durfte für ihn in den Süden reisen.

Gestern sahen wir uns in Berlin wieder zu Presseinterviews - nach dem Tag in München der zweite deutsche PR-Tag für den Film, der hierzulande im Januar startet. Seit dem Sommer war Laurent fast ohne Pausen auf Promo-Tour für den Film unterwegs, der in 60 Länder verkauft wurde. Vor dem Dolmetscheinsatz habe ich die Notizen aus dem Sommer nochmal überflogen und konnte sehr viele Partien rekonstruieren, so evident war das Gesagte, so klar hörte ich seine Stimme noch in meinem inneren Ohr.

Dieses Mal bricht mir gleich bei der ersten Interviewrunde der kalte Schweiß aus. Ich versuche für die Radiokollegen so wortgetreu wie möglich zu übersetzen, gebe auch Wiederholungsschleifen wieder, manchmal nur angedeutet, damit sie sich im Tonmaterial später leichter orientieren können, zeichne Laurents Pausen in die Notizen, versuche, auch diese mitzusprechen. Aber in den letzten Monaten hat der Regisseur so häufig über seinen Film gesprochen, dass seine Sätze wie Brühwürfel wirken: hoch konzentriert und fertig für den Aufguss, derart voller Andeutungen und Nebenlinien ... Oder liegt es daran, dass ich viel weiß über den Film nach der intensiven Beschäftigung mit ihm letzten Sommer, so dass sich mit jedem Nebensatz für mich eine neue Bedeutungsebene auftut? Den Sommereinsatz hatte ich ja auch noch jeweils einen Tag lang vor- und nachbereitet (was die Vorbereitung dieses Mal gewaltig minimierte, siehe oben).

Kurz: Es ging alles gut, aber war enorm anstrengend und richtig harte Arbeit. Ich sehe das an der Handschrift, die eckiger ist als sonst. Außerdem fehlt mein angestammter Füller, und das Ersatzwerkzeug erweist sich als ungenügend. Da ich viel notiere, ist das ein wichtiger Aspekt. Schlechtes Arbeitsgerät kann mich immer wieder sekundenlang "rausbringen".

Erst, als der Füller per reitendem Boten nachkommt und sich die Routine wieder einstellt, finde ich zu meiner gewohnten Leichtigkeit zurück. Mein Umfeld hat übrigens nichts von all'dem mitbekommen, derlei spürt nur, wer mit mir über viele Tage nacheinander zusammenarbeitet. Dabei ist Laurent sehr aufmerksam, aber selbst auch in den eigenen Gewohnheiten verfangen: Wenn er lange Passagen am Stück spricht, muss ich auch lange dolmetschen, bis zu drei Seiten Notizen "abarbeiten". Das will er mir ersparen und versucht, seinen Gedankenfluss zwischendurch kurz zu unterbrechen - aber er hat Mühen, den Einsatz wieder zu finden, selbst, als ich Stichworte gebe. Das Problem ist dabei am Ende nicht er, sondern die Interviewsituation mit mehreren ungeduldigen Journalisten: Jeder möchte seine Fragen loswerden und freut sich immer, seine rasch auch noch stellen zu können, wenn ein Aspekt erledigt scheint ...
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Foto: Ines Kappert von der taz kam mit Fotograf

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