Dienstag, 30. September 2008

Preisspannen

Als Dolmetscher und Übersetzer legen wir im Grunde ähnliche Preise zugrunde wie andere Freiberufler oder mancher Handwerker, nur, dass unser Werkzeug nicht so teuer kommt. Wenn ich von einem Stundenhonorar von 60 Euro für einen studierten, berufserfahrenen Menschen ausgehe, muss ich allerdings wissen, dass hinter Dolmetschen viel Arbeit steckt, das meiste in der Vorbereitung. Außerdem haben selbst wir, die wir unser "Mundwerk" verkaufen, Büro- und Akquisekosten und investieren in Material und Zeit für die Aufrechterhaltung unserer Kenntnisse und Fähigkeiten.

Beispiel: Ich schreibe einen Kostenvoranschlag für einen Filmverleih, für den ich Pressegespräche der Stars anlässlich der Premiere dolmetschen soll. Ich schaue nach, wer den Film gemacht hat, wer ihn geschrieben, inszeniert, gespielt hat etc. Dann stellt sich mir die Frage, ob ich Vorgängerfilme kenne (wenn nein, leihe ich mir später welche aus oder kaufe sie online in Frankreich); ich gehe, wenn ich den Film noch nicht in Frankreich gesehen habe, in die Pressevorführung - oder ich gehe selbst dann, wenn ich ihn bereits sah, zum Beispiel, wenn es sich um einen schwierig zu synchronisierenden Film handelt; ich prüfe, was ich an Infomaterial im Netz finde, lese die Texte schon mal an, und kann dann erst wirklich den Aufwand einschätzen. Zu den (sagen wir mal) "netto" drei bis vier Stunden Dolmetschen am Tag der Press Junkets genannten Gruppeninterviews muss ich diese Vorbereitungszeit hinzurechnen, außerdem die ca. anderthalb Stunden die ich brauche, um den aktuellen Film zu sehen. Hinzu kommen möglicherweise längere Wegstrecken und die Gestehungskosten für Filme, Technik zur Sichtung etc.

So komme ich mit vier Nettodolmetschstunden leicht auf einen ganzen, durchaus langen Arbeitstag, der, wenn der Regisseur/die Regisseurin viele mir bis dato unbekannte Filme gemacht hat, mit dem Faktor x zu multiplizieren ist. Und am Ende des Dolmetscheinsatzes in kleinen Gruppen bin ich oft genauso knülle wie nach einem Tag, in dem ich in der Kabine an der Verdolmetschung einer ganzen Konferenz mitgewirkt habe. Denn anders als in der Kabine, wo wir immer zu zweit sind, arbeite ich alleine und über weite Strecken konsekutiv. Pause hab ich dann, wenn ab und zu auch mal ein französischsprachiger Journalist "dran" ist.

"Was?", sagen Sie jetzt möglicherweise, "Filme schauen und dafür bezahlt werden?" Ja, aber es ist nicht zum Spaß: Ich mache mir Notizen, schlage Hintergründe nach, schreibe Redewendungen und Vokabeln auf, vergleiche Motive und Szenen mit bereits Gesehenem.

Am Ende hängt mein Honorar aber auch von der Qualität des Films ab. Ich erlaube mir, auch für kleine Filme, wenn deren Starts oder Premierenabende gering budgetiert sind, auch zu Preisen zu arbeiten, die von einer Flasche guten Weins (experimenteller Kurzfilmabend) bis zu 60, 70 % Preisnachlass gehen können. Dafür erwarte ich aber Ehrlichkeit - und Treue. Einmal macht's die Menge, zum Beispiel, wenn ich für kleine Festivals arbeite, ein andermal wächst die Firma oder werden die Filmemacher mit den Jahren noch besser und berühmter.

Das Gleiche gilt für Drehbücher und Korrespondenz, Projekte und Artikel, Bücher und Aufsätze. Dabei rechne ich am liebsten nach Zeichen ab, weniger nach Worten. Warum, wo doch unter Französisch-Übersetzern die Worte so sehr beliebt sind? 80 % meiner Übersetzungen gehen ins Deutsche, und das ist wortökonomischer. Sie glauben mir nicht? Nur ein Beispiel: kopfschütteln heißt auf Französisch "secouer la tête négativement" (4 Worte) oder "faire non de la tête" (5 Worte). Noch Fragen?

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Foto: Viele Faktoren bestimmen einen Kostenvoranschlag.
Das historische Foto befindet sich in Privatbesitz.

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