Montag, 16. Juni 2008

Respekt, Mann!

Charakter ist eine Sache - Respekt für die Berufsausübung des Nächsten eine andere. Wer meint, Extravertiertheit ausleben oder tolerieren zu müssen, darf sich nachher nicht über die Folgen beschweren oder Beschwerden zulassen, wenn der entsprechende Charakter derart raumgreifend wurde, dass einem Zeitgenossen kaum davon blieb zur vereinbarten Berufsausübung.

Ich erkläre mich. Neulich, in einem Berliner Kulturhaus: Ein Gespräch zu Buch, Malerei, Film, was auch immer, es tut nichts zur Sache. Vorne standen ein Moderator, der ausländische Gast und ein Dolmetscher. Der Gast sagte nach ein paar Worten, dass er es nicht gewohnt sei, mit Übersetzung vorzutragen und dass er derlei auch nicht wolle. Worauf sich Unmut im Saal regte, denn etliche brauchten den Dolmetscher mindestens zur Vervollständigung dessen, was sie verstanden hatten.

Dann sprach der Gast drauflos, machte keine Pausen, forderte Publikumsreaktionen heraus, antwortete sogleich - und würdigte den Dolmetscher keines Blicks. Jeder Bühnenmensch hätte die Sachlage allein schon an der Körpersprache erkannt: Der Dolmetscher sah nur den Rücken des Gasts, ihm war am Stehtisch nicht auch nur ein kleines Eckchen vergönnt, und so musste er immer um seinen Raum kämpfen, wenn er die bestellte Dienstleistung an die Kunden bringen wollte.

Hier war der Moderator gefordert, er hätte das Wort erteilen und entziehen müssen, ausgleichend wirken (moderat eben) - und konzentrierte sich aber eine knappe Stunde auf den eigenen Fragekatalog, bevor er die Diskussion öffnete. Das Publikum stellte nun seine Fragen. Inzwischen war der Sauerstoffanteil am fensterlosen Ort in dem Maße gesunken, wie die Raumtemperatur gestiegen war. Die Extravertiertheit des Gasts, kein Künstler, sondern ein vermittelnder Fachmann, führte langsam weg von Erläuterungen hin zu einer witzig gemeinten Selbstinszenierung (jemand ließ das Wort 'Diva' fallen). Diese Art von Inszenierung machte auch Teilen des Publikums Spaß, aber der Dolmetscher bekam sofort noch weniger Zeit zum Sprechen. Wer auf die Form achtete, sah und hörte: Reinreden, Stimme lauter werden lassen, Faxen machen - der Gast - und indifferentes Schweigen - der Moderator.

Andere fanden die Sache wohl weniger witzig. Sie gingen, vielleicht, weil sie immer weniger verstanden. Ich konnte auch nicht so richtig mitlachen ... Nach 80 Minuten war der Spuk vorbei. Für den Dolmetscherkollegen, der alle auf Deutsch gestellten Fragen dem ausländischen Gast geflüstert und Antworten konsekutiv übertragen hatte, war der Abend sicher frustrierend. Geärgert hat mich als Beobachterin vom Fach, dass am Ende der Dolmetscher von einem besserwisserlichen Publikumsgast wegen einer missverständlichen Passage kritisiert wurde und nicht das Setting.

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Meine Tipps, aus der Erfahrung:

- Gast und Dolmetscher treffen sich vorher zum Kaffee, lernen einander kennen und respektieren
- Der Ablauf mit Frage/Antwort und Verdolmetschungen wird erst "trocken", dann vor der Veranstaltung auch noch mal vor Ort allen Beteiligten erklärt
- Der Moderator weiß, dass er im Auftrag des Publikums fragt und sollte jeden erreichen wollen. Er beginnt die Veranstaltung mit seinen Fragen, öffnet dann, hakt nach, fragt quer und greift ein, wenn es sein muss - charmant und bestimmt

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